Der Wunsch, neue paradiesische Oasen zu entdecken und sich im Einklang mit der Natur verwöhnen zu lassen, scheint ein tief verankertes menschliches Bedürfnis zu sein. Und dies – zum Glück für die Reisebranche – nicht nur bei einer Minderheit träumerischer Weltverbesserer und Ökofreaks. Während noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts Gefahren und Beschwerlichkeiten das Reisen prägten, stehen heute die sorgenfreie Musse und das genussvolle Abenteuer im Zentrum erholsamer Ferientage. Dennoch ist der Weg ins vermeintliche Paradies noch immer steil, mühsam und unbequem. Zumindest was das Gewissen angeht. Der Begriff des «klimaneutralen Reisens» wäre sonst wohl nicht erfunden worden. Das Angebot ist bekannt. Mit ein paar Franken kann man sich bei www.myclimate.ch ein gutes Gewissen kaufen, insbesondere dann, wenn man nicht gerade zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs ist. Praktisch alle grossen Reiseveranstalter in der Schweiz vermitteln CO2-Zertifikate, doch die Zahl der Kritiker wächst, die sich über Sinn und Unsinn des modernen Ablasshandels Gedanken machen. Was nützt es denn beispielsweise den smoggeplagten Einwohnern in Los Angeles, wenn Flugpassagiere sich dafür einsetzen, dass in Madagaskar Bäume gepflanzt werden?
Umweltschutz-Ansätze, welche nicht die Ursachen der Emissionen im Fokus haben, sind zumindest fragwürdig. Offenbar sind Kompensations-Modelle der menschlichen Seele aber bestens vertraut. Das System, schlechtes Gewissen gegen Geld einzutauschen, um dann frischfröhlich weiter zu sündigen, ist schliesslich eine bewährte Erfindung der katholischen Kirche, die über Jahrhunderte ihren Gläubigen gegen gutes Geld den Erlass von Sünden versprach. Kritiker sind sich einig: Streng genommen kann man bei Kompensationssystemen – wie sie beispielsweise myclimate.ch anbietet – von Klimaneutralität gar nicht sprechen. Ökologisch ganz ehrlich wäre es, auf Reisen komplett zu verzichten, wenn man die Umwelt nicht belasten wolle. Eine solche Radikalität wäre der Tourismusbranche allerdings wenig förderlich, und auch wir möchten uns unsere Reiselust nicht ganz verbieten lassen. Zwischen den Polen des «Greenwashing» und der grundsätzlichen Ablehnung aller Sauerstoff fressenden und CO2-produzierenden Emissionsquellen liegt ein weites (Spannungs-)Feld. Zweifellos stellen Flug und Schiffsreisen hinsichtlich Energieverbrauch und Umweltbelastung eine grosse Herausforderung dar. Und selbstverständlich sind alle Bemühungen zur Effizienzverbesserung und zur Verminderung des Schadstoffausstosses zu unterstützen. Denn: Die Klimaerwärmung ist eine Realität. Die Ursachen dafür sind bekannt. Aber ist es wirklich nötig, so zu tun, als könnte man dank myclimate den Wald retten, der in den achtziger Jahren gar nicht gestorben ist?
Von Markus Weber
Super Text. Finde das auch
Trotzdem sollte man etwas tun gegen die Klimaerwärmung!