Mit der Jasmin-Revolution wurde in Tunesien eine Entwicklung angestossen, die grosse Teile der arabischen Welt verändert hat. Jetzt braucht das Land Touristen. Es gibt viele Gründe, warum wir unsere nächsten Ferien dort verbringen sollten!
Es ist ein berauschendes Gefühl. Den Wind im Gesicht und das Brausen des Meeres im Ohr, fliegen wir im gestreckten Galopp über den schier endlosen Strand von Sidi Mehrez im Norden von Djerba. Schon lange haben wir die Hotels hinter uns gelassen, vor uns liegt nur noch weite und unberührte Dünenlandschaft.
Viel hat man schon gehört von den Berbern und ihren aussergewöhnlichen Pferden. Jetzt bekommen wir selbst eine leise Ahnung davon, wie geschmeidig und sensibel diese Tiere sind – und wie schnell! Aber selbst den etwas aus der Übung gekommenen Reitern gelingt es ohne Mühe, wieder in eine ruhigere Gangart zu wechseln. Die Hengste reagieren auf das kleinste Kommando, darauf ist ihr Besitzer besonders stolz. Zouhair, so heisst der kühn aussehende Berber, begleitet den Ausritt auf einem noch jungen und unerfahrenen Hengst. Bei ihm kann man genau beobachten, wieviel Geduld und Ausdauer es braucht, um ein Pferd so gut zuzureiten, dass es «touristentauglich» ist.
Seelen-Massage
Reiten ist nur eine der vielen Freizeitmöglichkeiten auf Djerba. Die meisten Besucher kommen hierher, um die Kombination aus Wärme, Wellness, Sonne und Strand zu geniessen. An der Nordküste der Insel nahe der Hauptstadt Houmt Souk liegen die schönsten Hotels des Landes, sagt man. Eines davon ist mit Sicherheit das Fünf-Sterne-Resort «Hasdrubal Thalassa & SPA». Auf 11 000 Quadratmetern kann man sich hier an Körper und Seele verwöhnen lassen, sei es bei einer Thalasso-Therapie, einer Behandlung mit Meerwasser, Algen und anderen Meeresprodukten oder einer Massage. Drei Indoor-Seewasser- und fünf in eine Lagune gebettete Aussenpools konkurrieren mit dem schönen Sandstrand. Jede der 219 Suiten hat eine grosse Terrasse mit Meerblick – da fällt es schwer, das Hotel auch einmal zu verlassen. Doch es lohnt sich! Nicht nur, um den nahegelegenen Golfplatz (27 Loch) zu besuchen, über den Markt von Houmt Souk zu schlendern oder am Hafen frisch zubereiteten Fisch zu probieren, sondern vor allem, um die Menschen Tunesiens kennenzulernen.
Ein Land im Aufbruch
Immerhin waren es die mutigen Tunesier, die den arabischen Frühling vor anderthalb Jahren zum Erblühen gebracht haben. Während der Jasmin-Revolution haben sie den verhassten Despoten Ben Ali aus dem Land getrieben und die Diktatur beendet. Seitdem haben Wahlen stattgefunden und ohne viel Aufhebens lenkt inzwischen eine gemässigte Regierung unter Präsident Moncef Marzouki, einem ehemaligen Oppositionellen, die Geschicke des Landes. Auch wenn vieles noch nicht zur Zufriedenheit der Tunesier läuft, die Arbeitslosigkeit ist hoch und Lebensmittel sind teuer, sind doch alle froh über die wieder gewonnene Freiheit. Jetzt braucht das Land aber vor allem Investitionen und Gäste aus Europa, denn der Tourismus ist Tunesiens wichtigste Einnahmequelle. Im vergangenen Jahr ist die Besucherzahl um 60 Prozent eingebrochen. Zwar ist keinem Touristen je etwas zugestossen und die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert. Trotzdem sind die Europäer verunsichert. Wer die Revolutionäre von Tunesien aber unterstützen will, sollte seine nächsten Ferien dort planen.
Kultureller Reichtum
Tunesien ist ein attraktives Reiseziel, nicht nur wegen seiner 1300 Kilometer langen Küste mit unzähligen schönen Sandstränden, sondern vor allem wegen seiner 5000 Jahre alten Kultur. Die UNESCO hat bereits acht historische Stätten zum Weltkulturerbe erklärt, das sind sogar mehr als im Nachbarland Ägypten. Die gut erhaltene Altstadt von Tunis aus dem 13. Jahrhundert gehört dazu, ebenso die Medina von Sousse und die von Kairouan. Ausserdem das Kolosseum von El Jem, natürlich die Ruinen von Karthago und die punische Stadt Kerkouan samt ihrer Totenstadt. Ganz im Norden des Landes noch der Ichkeul-Nationalpark sowie die Ruinen der antiken Stadt Dougga am Rande der Berge von Teboursouk.
Aber als kulturelles Reiseziel ist Tunesien nicht wirklich bekannt. Familien zieht es bislang vor allem an die Badestrände von Hammamet und Sousse oder eben nach Djerba. Das ist verständlich, denn die Tunesier sind nicht nur sehr kinderlieb, auch das Preis-Leistungs-Verhältnis der meisten Hotels ist bestechend. Aber es gibt in diesem Land so viel mehr zu entdecken als Strand und schönes Wetter.
Le Grand Sud
Will man den «Grossen Süden» Tunesiens beschreiben, beginnt man am besten auf dem wöchentlichen Viehmarkt der Wüstenstadt Douz. In einem Palmenhain im Zentrum drängen sich Schaf- und Ziegenherden, Hühnerkäfige stapeln sich in ungeahnte Höhen, Hasen werden gewogen, befühlt und wieder abgesetzt, dazwischen das eine oder andere Pferd. Überall feilschen Männer miteinander, mal laut, mal leise, streiten und versöhnen sich wieder, trinken Tee und gehen schliesslich zufrieden auseinander, ein oder mehrere Tiere hinter sich herziehend. Ein Bild, das an vergangene Zeiten erinnert. Douz ist damals wie heute ein Treffpunkt, ein Handelszentrum für die Nomaden und Bauern der Region – und das Tor zur Wüste. Denn hinter Douz beginnt sie, die sagenumwobene Sahara. Auch wenn es auf den ersten Blick wie eine grosse Touristenfängerei wirkt: Jeder Besucher Tunesiens, den es hierhin verschlägt, sollte doch einmal auf dem Rücken eines Dromedars über die Sanddünen reiten. So kann man immerhin eine leise Ahnung vom Leben der Beduinen bekommen. Ob der Ausritt eine Stunde oder mehrere Tage dauert, hängt von der Abenteuerlust und dem Portemonnaie des Einzelnen ab, aber natürlich ist eine Übernachtung in der Wüste unter dem funkelnden Sternenhimmel ein einzigartiges Erlebnis.
Land der Palmen
Verlässt man Douz in Richtung Tozeur, durchquert man zuerst den ausgetrockneten Salzsee Chott El Jerid, 150 Kilometer lang, 75 Kilometer breit und mit funkelnden Salzkristallen bedeckt. Dann, nach knapp zwei Stunden Fahrt, am Horizont eine leuchtende, grüne Insel. Aus über 200 Wasserquellen wird diese Oase gespeist, die weitläufigen Palmengärten sind im klassischen Drei-Stufen-Bau angelegt: Am Boden auf der «1. Stufe» wachsen Obst und Gemüse, in der Mitte auf der «2. Stufe» Bananenstauden, Orangen-, Feigen- und Grenadinenbäume und die «3. Stufe» bilden die Palmen. Die weiblichen tragen Datteln, aus den männlichen wird Palmensaft gewonnen. Die Gegend, in der sowohl Tozeur als auch die nicht weit entfernte Wüstenstadt Nefta liegen, heisst Jerid, und das bedeutet übersetzt soviel wie «Land der Palmen». Rund 150 verschiedene Dattelsorten gibt es alleine in Tozeur. Als beste weltweit gilt die «Deglet-Nour», der «Finger des Lichts». Datteln schmecken nicht nur gut, aus ihnen werden auch zahlreiche Produkte hergestellt wie Dattelzucker, Butter, Sirup, Konfitüre, sogar Schokolade, ausserdem Kosmetika und Medizin. All das kann man im Dattelmuseum «Eden Palm» lernen und die entsprechenden Produkte natürlich auch gleich probieren – und kaufen. Der perfekte Tag in der Oase endet für viele mit einem Candle-Light Dinner in einem Berberzelt unter Palmen und Sternen, zum Beispiel in der Residenz Dar Tozria.
Filmreife Kulisse
Nicht nur wegen der Palmenhaine lohnt der Besuch von Tozeur, auch wegen der gut erhaltenen und noch von Einheimischen bewohnten Medina, die mit ihrer Lehmziegel-Architektur samt Reliefmustern wie ein Museum wirkt. Wären da nicht die Kinder, die in den frühen Abendstunden durch die Gassen toben und die Touristen necken. Bei einer Fahrt mit dem Geländewagen in die Berge, die schon die Ausläufer des Atlasgebirges sind, passiert man zahlreiche verlassene Berberdörfer und beeindruckende Bergoasen. In Chebika beispielsweise ergiesst sich ein kleiner Wasserfall in einen Wadi, zahlreiche Tümpel und Palmengärten laden zu einem Picknick ein. Das alte Dorf Tamerza klebt am Hang eines gigantischen Canyons, von dem aus man eine hervorragende Sicht auf die weite Ebene bis hin zum grossen Salzsee hat. Auch die westlichste der drei Oasen, Midès, ragt in einen schwindelerregenden Canyon hinein. Kein Wunder, dass diese Landschaft immer wieder als Filmkulisse für Western und Abenteuerfilme dient.
«Tunesien – neu erleben» ist der Slogan des tunesischen Fremdenverkehrsamtes. Und tatsächlich, wenn man sich aufmacht, das Land abseits seiner Strände zu erkunden, überraschen die vielen Gesichter des Landes: die Vielfalt der grandiosen Landschaften, das reichhaltige kulturelle Erbe, vor allem aber die überbordende Gastfreundschaft der Tunesier.
Von Alexandra Karle