El Greco lebte vor über 400 Jahren. Doch sein Malstil war so ungewöhnlich, dass er uns noch heute ins Staunen versetzt.
El Greco: «Fernando Niño de Guevara», ca. 1600. 171 ×108 cm (Bild: New York, Metropolitan Museum of Art)
Wer eines der religiösen Gemälde gesehen hat, die El Greco (1541–1614) in Spanien malte, wird es kaum mehr vergessen – und andere Werke des Künstlers danach auf Anhieb erkennen. So individuell, so verblüffend ist seine Bildsprache: Die lang gezogenen Figuren, die grell leuchtenden Farben, die weissen Höhungen, die wie Blitze über die Stoffflächen zucken und sie metallisch schimmern lassen, sind unverkennbar. Man fragt sich unwillkürlich: Ist das ein Traum, eine Halluzination? Fast: Es sind religiöse Visionen. Die Motive, die El Greco malte, sind nicht von dieser Welt, sondern Teil der göttlichen Sphäre. So wollte er sie auch darstellen: überirdisch, nicht realistisch. Dafür erfand er einen neuen Malstil, geprägt von «unnatürlichen» Farben und Formen. Dank dieser Unwirklichkeit erscheinen die Werke bis heute modern, auch wenn der tiefe Glaube, aus dem sie entstanden, vielen fremd geworden sein mag.
El Greco war auch ein gesuchter Porträtmaler. Die Bildnisse lebender Personen gestaltete er anders, irdisch. Hier dominieren feine psychologische Einsichten und realistische Farben: Braun, etwas Weiss und viel Schwarz, die Farbe, die der Spanier von Welt damals trug. Es kann auch einmal Rot sein, wenn das Porträt einen Kardinal zeigt, wie «Fernando Niño de Guevara» (um 1600).
El Greco war ein Mann mit Migrationshintergrund. Der spanische Zuname El Greco, der Grieche, verweist auf seine Herkunft: 1541, als Domínikos Theotokópoulos auf Kreta geboren brachte er es dort zum Meister der Ikonenmalerei. Doch offenbar wollte er mehr. 1568 wanderte Domínikos nach Italien aus, zuerst nach Venedig, wo Tizian und Tintoretto lebten. Der Kreter eignete sich ihren Malstil an, bevor er weiter nach Rom reiste. Dort sog er die humanistischen Ideale der Renaissance auf, hatte aber wenig Erfolg als Künstler. So zog er um 1576 weiter nach Spanien.
In Toledo, wo El Greco sich niederliess, stellte sich mit seinem neuen Malstil auch der Erfolg ein. Er wirkte bis zu seinem Tod 1614 als vielbeschäftigter Künstler. Die realistisch gemalte Wahlheimat Toledo taucht in den religiösen Werken zuweilen im Hintergrund am unteren Bildrand auf, also dort, wo die irdische Welt liegt, so in «Der heilige Martin und der Bettler» (1597– 99) und in «Unbefleckte Empfängnis» (1607–13).
Nach seinem Tod ging El Greco vergessen. Erst um 1900 entdeckte ihn die Avantgarde als grossen Maler wieder. So bezog sich etwa Pablo Picasso in seiner «blauen Periode» wiederholt auf El Greco; auch Amadeo Modigliani dienten die gedehnten Figuren als Vorbild. Später inspirierte der Grieche die Surrealisten. Wer El Greco selbst (wieder-)entdecken will, konnte dies 2020 in Paris tun, wo ihm das Grand Palais eine Ausstellung mit 76 Werken widmete. Jederzeit ist El Greco zudem in Madrid zu bewundern: Der Prado verfügt mit 42 Werken über die grösste El-Greco-Sammlung der Welt.
Text: Regula Weyermann
Gut zu Wissen
Im Museo del Prado in Madrid gibt es eine Dauerausstellung mit Werken von El Greco. museodelprado.es/en/the-collection