Miami ist bunt, laut und heiss. Doch lässt man die Partymeile hinter sich, gibt das Viertel Coral Gables Einblicke in eine gediegene Welt verflossener Grandezza. Dessen Wahrzeichen ist das Hotel Biltmore.
Dort, wo sich heute die Drei-Millionen-Stadt Miami in die topfebene Landschaft Floridas frisst, lebte einst der Stamm der Miccosukee-Indianer. Ihre in den unendlichen Everglades-Sümpfen verstreuten Siedlungen waren nur mit Kanus zu erreichen. Bis vor 150 Jahren die ersten weissen Glücksucher mit einigen Hundert Sklaven an den Stränden landeten. Die meisten der Arbeiter stammten von den Bahamas und wussten deshalb, wie man den karstigen Boden des Hinterlandes urbar machte. Das tropische Klima war ideal dafür.
Die Plantagen gediehen, die Gemeinde wuchs, und die Indianer wurden immer weiter zurückgedrängt. 1895 gab es einen verheerenden Frost, der die grossen, weiter im Norden liegenden Früchteplantagen vernichtete. Horden von Farmern, Händlern und Spekulanten strömten in das frostsichere Südflorida. Der Eisenbahnmagnat Henry Flagler verlängerte seine East Coast Railway bis nach Miami, die Regierung verschenkte und verkaufte Land an Neuansiedler.
Oase der Ruhe neben dem Stadtzentrum
Wer damals etwas wagte, gewann: Früchte, Konserven und Marmelade fanden in den boomenden Industriezentren des Nordens reissenden Absatz, der Transport per Bahn und Schiff war gesichert, und die Land- und Wasserreserven waren schier unerschöpflich. Bald schon stand den Pionieren der Sinn nach mehr als nur nach Pflücken und Einmachen. Sie mauserten sich zu Selfmade-Banquiers, -Hoteliers und -Stadtplanern. Einer von ihnen, George Merrick, machte sich auf dem Höhepunkt des Booms in den 1920er Jahren daran, neben der von ihm gegründeten Universität seine Vision einer idealen Stadt zu verwirklichen. Es sollte ein Hort urbaner Schönheit und Harmonie werden – eine westlich von Downtown Miami gelegene Gartenstadt mit kleinen Haziendas an breiten Alleen. Diese sollten nicht Nummern tragen, wie in den Staaten üblich, sondern Namen mit iberischem Flair: Alhambra Circle, Granada Boulevard und Cortez Street. Merrick hatte ein Faible für alles Spanische, obwohl er es nur von Bildern her kannte.
Ins Zentrum dieses idealen Villenviertels stellte er ein monumentales Luxushotel, dessen fast hundert Meter hoher sevillanischer Glockenturm alles überstrahlt. Der Prunkbau und die zwei Kirchen zu seinen Füssen sollten das gesellschaftliche und spirituelle Herz der Gemeinde bilden, wo man sich zur Andacht, zu gesellschaftlichen Anlässen oder zum Golfen traf. George Merrick ist finanziell zwar gescheitert und als ärmlicher Postangestellter gestorben, doch sein Traum ist wahr geworden und lebt fort. Das von ihm begründete Viertel Coral Gables und das Biltmore Hotel bilden ein ruhendes Ensemble, wo die Zeit stillzustehen scheint. Während in Downtown Miami Geschäftsleute und Banker in ihren klimatisierten Wagen durch die backofenheissen, menschenleeren Hochhausschluchten kreuzen, sich die Autos auf den wenigen Brücken zwischen dem Festland und den dicht besiedelten Inseln stauen, Yachten und Kreuzfahrtschiffe das suppenwarme Meer durchpflügen und an der vor Hitze flimmernden South Beach Massen von aufgedonnerten Partygängern zu wummernder Musik vor den bonbonfarbenen Art-Deco-Hotels defilieren, herrscht hier schattiger Frieden. Die Bäume in Coral Gables sind so gross, dass sie über den breiten Strassen ein geschlossenes Blätterdach bilden. Ihre monumentalen Stämme sind wie Skulpturen – in Bewegung erstarrte riesige Giraffenbeine, Schlangenkörper und Elefantenrüssel.
Amerikanisch neomediterran
Halten sich die Privathäuser architektonisch wohltuend zurück, trumpft das leicht erhöht stehende massige Biltmore dafür schamlos auf: Wer aus der schweren, schwülen Hitze der grosszügig geschwungenen Auffahrt in die kühle Lobby des Grandhotels tritt, wähnt sich ins Europa der alten Herrschergeschlechter zurückversetzt: hohe Säulen mit verzierten Kapitellen, bunt bemalte Bogen- und Kassettendecken, wuchtige Kamine und Mahagoni-Volieren voller Prachtfinken. Für Hochzeiten und Events stehen Säle in maurischem, barockem oder mittelalterlichem Stil zur Verfügung. In den Zimmern hängen Lüster mit Dutzenden Achaten, so gross wie Wachteleier, und aus den Fenstern geht die Sicht auf eine sattgrüne Golflandschaft und den riesigen Pool, in dem Bademeister Johnny Weissmuller alias Tarzan in den 1930er Jahren den ersten seiner 25 Weltrekorde im Schwimmen aufgestellt hatte. Sein bekannter Urwaldschrei soll übrigens ein abgewandelter Jodler aus seiner österreich-ungarischen Heimat gewesen sein. Seither hat alles, was im Show- und Politbusiness Rang und Namen hat, dem bald hundertjährigen Haus seine Aufwartung gemacht. Restlos ausgebucht ist das Hotel, wenn ein Tornado naht. Denn nicht nur ist es Hurrikan-beständig, sondern die Zeit des Wartens verfliegt im Spa und in anregender Gesellschaft einfach angenehmer.
Für die illustre Klientel wird nicht nur die Ausstattung, sondern auch die Küche des Hotels auf Weltniveau gehalten: Ein italienisches und ein französisches Restaurant servieren von Gnocchi über Carpaccio bis Froschschenkel alle nur erdenklichen Delikatessen. Doch die reichste Auswahl an dem, was das Biltmore zu bieten hat, zeigt sich beim legendären Sonntagsbrunch: Austern aus Maine, Königskrabbe aus Alaska, Kaviar und alles andere, was das Herz begehren könnte – à discrétion. Dabei würde es völlig genügen, mit einem Glas Zitronenwasser, im kühlen, mit Palmen, Farnen und Asparagus bestandenen Innenhof zu sitzen, zuzusehen, wie am bemoosten Brunnen Spatzen und grüne Papageien trinken und zu lauschen, wie sich das Vogelgezwitscher mit dem Klimpern von Eiswürfeln, Gitarrenklängen und Geplauder mischt.
Text: Lucie Paska
Bild: Biltmore Hotel