Nicht für alle ist die Freiheit über den Wolken grenzenlos: Laut British Airways hat eine von vier Personen Angstgefühle beim Fliegen. Hier hilft die Airline mit dem Kurs «Flying for Confidence».
Die Stimmung an Bord der A320 von British Airways ist beklemmend. Frauen weinen, Fremde halten einander die Hände, Passagiere sitzen steif auf ihren Stühlen. Ein Bild, als würde das Flugzeug durch wildeste Turbulenzen steuern. Oder als ob der Captain gerade eine Notlandung auf dem Atlantik angekündigt hätte. Doch vor dem Fenster zeigen sich weder Sturmwolken noch das Meer, sondern die Lichter des Flughafens London Heathrow. Die Maschine steht ruhig am Boden und wird gerade fertig getankt.
Es ist kein gewöhnlicher Flug, der an diesem Samstagabend auf dem Plan steht. Der Rundflug ist der Abschluss eines eintägigen Kurses gegen Flugangst von British Airways. «Flying with Confidence» heisst das Programm, mit dem die Airline seit 25 Jahren Personen unterstützt, die ihre Angst vor dem Fliegen bekämpfen wollen. Über 40 000 Personen konnte British Airways nach eigenen Angaben schon helfen. Unter anderem mit engagierten Mitarbeitern wie Captain Steve Allright, dessen Stimme durch den Lautsprecher zu hören ist, während das Flugzeug zur Startbahn rollt. «Okay guys, wir atmen jetzt alle aus, atmen ein und kneifen den Po zusammen.» Die Übung sitzt längst. Sie wurde während des Tages mehrmals wiederholt. «So kann die Kette von körperlichen Reaktionen, die bei einer Panikattacke auftreten, durchbrochen werden», hat der Psychologe Dr. Keith Stoll ein paar Stunden vorher das kollektive Po-Training erklärt.
12 Stunden auf dem Schiff
An Bord sind überdurchschnittlich viele Crewmitglieder, die sich intensiv um die rund 130 Passagiere kümmern. Frauen und Männer jeden Alters, angereist aus den verschiedensten Ecken des Königreichs. Sie alle verbindet eine mehr oder weniger starke Angst vor dem Fliegen, die sich bei manchen auf ein mulmiges Gefühl in der Magengegend beschränkt und sich bei anderen zu Panikattacken auswächst. «Das letzte Mal, als ich in einem Flugzeug sass, wurde ich völlig hysterisch und habe nur noch geweint», erzählt Lila auf dem Weg durch die Sicherheitschecks. Die 34-Jährige ist halb Engländerin, halb Jamaikanerin und bis zum Alter von 26 Jahren ist sie mehrmals im Jahr zwischen ihren beiden Heimatländern hin und her geflogen – ohne Probleme. Bis zu jenem einen Flug, auf welchem sie eine Freundin mit Flugangst neben sich hatte. «Da begann ich auch plötzlich zu überlegen, warum ein Flugzeug eigentlich fliegen kann, wie sich ein Absturz anfühlen würde und überhaupt.»
Sie ist nicht die einzige, bei der die Flugangst aus heiterem Himmel einschlug. «Ich bin früher sehr viel gereist. Aber seit 09/11 habe ich Angst», schildert Emma. «Ich habe das Gefühl, ich bekomme keine Luft, und beginne zu schwitzen.» Die Angst sei über die Jahre so gross geworden, dass sie schon Tage vor der Abreise nichts mehr geniessen könne. Phil hat sich dem Stress gar nicht erst ausgesetzt: Der grosse, kräftige Ire, der nicht aussieht, als könnte ihn irgendetwas erschrecken, hat die Reise zum Kurs mit dem Schiff und dem Zug in Angriff genommen. Zwölf Stunden war er unterwegs mit dem Ziel, den Weg nach Hause mit dem Flugzeug anzutreten.
Know-how vertreibt Angst
«80 Meilen pro Stunde, 120, 180…», das Flugzeug rast über die Startbahn und hebt langsam ab. Captain Steve Allright kommentiert jeden Schritt aus dem Cockpit. «Angst macht vor allem, was unbekannt ist», hat er am Morgen gesagt. Zusammen mit dem Piloten Gordon Black, beide sind schon seit über zwanzig Jahren für British Airways in der Luft, hat er darum ausführlich die technische Seite des Fliegens erklärt. Mit viel britischem Humor und einer erfrischenden Passion für die Fliegerei haben die beiden zu physikalischen Gesetzen, der Funktion der Vorflügel, zur Kraft der Turbinen, den Bremsklappen und den Kontrollinstrumenten referiert. Horrorszenarien von sich öffnenden Türen und abbrechenden Flügeln haben sie damit den Garaus gemacht. Jeder an Bord erkennt jetzt das Geräusch der einfahrenden Räder.
Doch die Geräusche sind im Moment nicht das Hauptproblem. Gemeinerweise bläst ein starker Wind und die Bewegungen der Maschine sind ziemlich ruppig. Captain Steve Allright liest die Gedanken seiner Passagiere. «Ich kann euch versichern, die Piloten haben völlig entspannte Gesichtszüge. Das hier ist überhaupt nicht schwierig für sie.» Das Gefühl, ertappt worden zu sein, löst bei einigen ein Lächeln aus. Allright kennt die ängstlichen Passagiere. Und er hat grossen Respekt vor ihnen: «Den grössten Schritt haben Sie bereits getan, nämlich sich ihrer Angst zu stellen. Ich bewundere diesen Mut.»
Mutig haben sich am Morgen wohl noch die wenigsten gefühlt, als sie sich zum Kurs eingefunden haben. «Die gefährlichste Handlung des Tages, nämlich sich in den Strassenverkehr zu begeben, haben Sie hinter sich», hat Gordon Black begrüsst. Es war die einzige Statistik, die sich die Angstgeplagten anhören mussten. Jedem Teilnehmer ist klar, dass seine Angst in Anbetracht von Unfallstatistiken unlogisch ist.
Warum sie trotzdem so stark werden kann, dem ist Psychologe Stoll auf die Spur gegangen. Er erläuterte den Mechanismus von Angst, aber auch die Frage, warum einige Personen ängstlicher sind als andere und er machte bewusst, dass Angst nichts Schlechtes ist. Im Gegenteil: Studien haben ergeben, dass sich ängstlichere Menschen besser in andere einfühlen können als furchtlose Helden. Es geht also nicht darum, die Angst zu verneinen, sondern zu lernen, mit ihr umzugehen. Das ist leider meist nicht an einem einzigen Tag möglich, sondern erfordert Arbeit.
Nach dem ruppigen Start gleitet das Flugzeug nun ruhig über den Himmel. Wirbel entsteht jetzt in der Kabine. Fast alle stehen auf, gehen auf die Toilette und unterhalten sich. Und fast verpassen sie den beeindruckenden Blick aus dem Fenster: London in schönstem Abendlicht. Kaum einer kann sich der Schönheit des Bildes entziehen und es wird etwas verständlicher, warum sich Steve Allright und Gordon Black jeden Tag freiwillig in ein Flugzeug setzen. Und obschon bei den meisten die Angst auch nach der Landung noch nicht ganz verflogen ist, sind viele glückliche Gesichter zu sehen. Vielleicht, weil man heil am Boden angekommen ist. Sicher aber auch aus Triumph, dieses Mal über die Panik gesiegt zu haben.
Swiss bietet ebenfalls ein Seminar gegen Flugangst an: www.fit-to-fly.ch
Text Stefanie Schnelli