Der griechische Wein hat sich vom lieblichen Begleiter in der Taverne zum Qualitätsprodukt gewandelt, das international für Furore sorgt. Eigenartigerweise ist die Griechenlandkrise mitverantwortlich für den Erfolg griechischer Weine.
Bereits Mitte der 1970er-Jahre sang Udo Jürgens: «Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde. Komm, schenk dir ein und wenn ich dann traurig werde, liegt es daran, dass ich immer träume von daheim; du musst verzeih’n.» Damals mag der griechische Wein einzig idealer Seelentröster gewesen sein. Heute spielt er vermehrt im Konzert der grossen Weinnationen mit. Der «Wine Advocate» beispielsweise bewertete den Thalassitis 2012 vom Weingut Gaia mit 92 Punkten, «Wine & Spirits» gab dem Assyrtiko by Gaia 2008 sogar 94 Punkte. Und das gleiche Magazin setzte Alpha Estate auf die Liste der 100 besten Weingüter der Welt. Angelos Iatridis (47), Weinmacher und Besitzer von Alpha, nimmt Mitte Oktober an einer Feier in San Francisco teil, zu der nur die Besten der Welt geladen sind. Auch für Robert Parker gehört Alpha zur Weltelite, viele der Weine erzielen beim «Weinpapst» 90 bis 93 Punkte.
Alpha Estate mit einer Jahresproduktion von 420 000 Flaschen ist bestes Exempel für den Wandel des griechischen Weins. Das Weingut befindet sich in der Region Florina im Norden Griechenlands, unweit der albanischen Grenze. In dieser bergigen Umgebung gedeihen die Reben auf 85 Hektaren und gegen 700 Metern über Meer. Iatridis hat Önologie in Bordeaux studiert, bei Château Montus mit seinem Top-Winzer Alain Brumont im Südwesten Frankreichs ein Praktikum absolviert, ist weitergezogen ins Rhonetal und ins Elsass. Kurz: Er hat das Weinhandwerk bei den Besten der Welt erlernt. Und er hat gut aufgepasst: Wie Brumont arbeitet er bei seinem Wein Alpha Utopia vorwiegend mit der Traubensorte Tannat, die einen beeindruckenden, grossartigen Rotwein hervorbringt (lesen Sie dazu die Degustationsnotizen). «Viele junge griechische Winzer haben in den letzten Jahren in Bordeaux, in den USA oder in Australien studiert und mit ihrem Wissen zur sprunghaften Qualitätssteigerung griechischer Weine beigetragen», sagt Iatridis.
Er selbst ist heute 180 Tage pro Jahr in aller Welt unterwegs, um den griechischen Wein bekannt zu machen. Wenn er in Deutschland, Kanada, Australien, China, Singapur oder Russland sei, habe er jeweils eine Karte Griechenlands dabei und erkläre, dass bereits in der Antike Wein angebaut wurde. «65 Prozent unserer Weine verkaufen wir in Griechenland, 35 Prozent exportieren wir in 22 verschiedene Länder», erklärt Angelos Iatridis. Der Schweizer Markt gehöre für Alpha dabei zu den sieben wichtigsten Auslandmärkten.
Während Alpha mit seinem Sauvignon Blanc und dem Tannat auf internationale Traubensorten setzt, konzentriert sich Gaia Wines – der Name heisst übersetzt «Erde» – bei einer Jahresproduktion von 280 000 Flaschen auf autochthone Traubensorten, die ausserhalb Griechenlands wenig bekannt sind. Erst 1994 durch die Agronomen Leon Karatsalos und den 53-jährigen Yiannis Paraskevopoulos gegründet (bei damals noch 9800 Flaschen!), hegt Gaia Reben auf dem Peloponnes und der Badeinsel Santorini. In Nemea, 35 Kilometer südwestlich von Korinth auf dem Peloponnes, wächst die Rotweintraubensorte Agiorgitiko, während Assyrtiko auf den vulkanischen Böden von Santorini schöne Weissweine hervorbringt. Paraskevopoulos schwärmt: «Der Assyrtiko ist wie ein versteckter Schatz Griechenlands. Er sorgt für strukturierte mineralische Weissweine mit einer gewissen Säure und hat den Charakter eines Rotweins.» Manche Assyrtikos würden sehr gut altern, müssen dekantiert werden und lassen sich sogar mit fettigem Fleisch kombinieren! Der Agiorgitiko wiederum sei sehr vielfältig, könne bereits nach fünf bis sechs Jahren getrunken, aber auch mehr als zehn Jahre gelagert werden, um ein komplexeres Resultat zu erhalten. «Wir setzen auf autochthone griechische Traubensorten, weil wir glauben, dass die Welt keine weiteren Cabernets oder Chardonnays braucht», sagt der Önologe.
Die Reben von Kir-Yianni, einem weiteren griechischen Spitzenweingut mit einer Produktion von 600 000 Flaschen pro Jahr, wachsen in Naoussa, das als Piemont des Landes gelobt wird, sowie in Amyndeon im Nordwesten. Der dreifache Familienvater Stelios Boutaris (48) ist seit 2004 als Önologe und Berater im Weingeschäft. Seine Familie arbeitet seit den 1950er-Jahren hier, in der Nähe von Alpha Estate, und konzentriert sich in dieser Region mit ihrem fast schon kontinentalen Klima vorwiegend auf Weissweine sowie einen Rosé-Schaumwein, der ein überraschender Schmeichler ist. Die sandigen Böden bringen leichte und trotzdem würzige Weine mit einem intensiven Bouquet hervor. Für den Auftakt der diesjährigen Ernte Mitte August hat allerdings der Merlot gesorgt. Über den Jahrgang 2013 urteilt der studierte Mathematiker Boutaris: «Wir hatten ein schwieriges Jahr mit einem ungewöhnlich warmen April und einem kalten und nassen Mai, gefolgt von Hagel im Juni. Seither war es tagsüber mehr als 30 Grad und nachts unter 20 Grad. Dieser Temperaturunterschied förderte den Reifeprozess der Trauben.» Deshalb konnte Kir-Yianni die Merlot-Trauben rund zehn Tage früher als normal lesen.
Ähnlich wie Paraskevopoulos ist Mathematiker Boutaris überzeugt: «Wir müssen uns auf autochthone Traubensorten konzentrieren. Diese geben der Weinwelt viel mehr als ein griechischer Syrah.» Die Xinomavro etwa sei eine noble Traubensorte, die an Nebbiolo erinnere. Kir-Yianni vinifiziert sie bewusst nach dem Geschmack moderner Konsumenten und bringt mit dem Diaporos einen Wein hervor, der mit seiner dunklen Farbe, seinen weichen Tanninen, dem fruchtigen Charakter und einem relativ hohen Alkoholgehalt auffällt. Xino heisst übrigens sauer, Mavro schwarz. Und just die gut eingebundene Säure und die kräftigen Tannine ermöglichen es, den Wein bis zu 15 Jahre altern zu lassen. «Die Qualität der griechischen Weine hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren dramatisch verbessert», ist Stelios Boutaris überzeugt. Wie Angelos Iatridis von Alpha sieht er den Grund in den jungen Winzern, die das Weinhandwerk in grossen Weinanbaugebieten wie dem Bordeaux lernten und nachher mit ihrem Wissen in die griechischen Rebberge investierten. Boutaris selbst, dessen Bruder nach Shanghai aus wanderte und sich nun um Rebberge westlich von Peking kümmert, möchte Kir-Yianni in «eine Weltklassemarke» verwandeln. Allerdings steht auch sein Weingut angesichts der Griechenlandkrise vor grossen Herausforderungen. «Nach dem Kollaps des Bankensystems ist die Finanzierung schwierig geworden. Die Krise hat den lokalen Markt stark getroffen», räumt Boutaris ein. Nur: «Für den Export ist die Krise gut, denn Griechenland ist in allen Medien. Viele sind auf der Suche nach positiven Storys über unser Land.» Kir-Yianni exportiert 20 Prozent seiner Weine – Tendenz stark steigend. Der Export ist eine echte Alternative zum kriselnden Heimmarkt geworden. Insgesamt werden im Mittelmeerland jedoch noch immer 83 Prozent der griechischen Weine getrunken – bei einem durchschnittlichen Konsum von 37 Litern pro Jahr (genauso viel wie Herr und Frau Schweizer). Angelos Iatridis von Alpha sagt ebenfalls: «Die Krise hat für unsere Verkäufe einen positiven Effekt, weil wir gute Distributionskanäle haben. Und in solchen Zeiten ist der Absatz von Weinen mit höherer Qualität stabiler.»
Text: Reto E. Wild
Ein sehr interessanter Artikel, der Griechenlands Weine gut präsentiert. Griechischer Wein ist unter den Weintrinker noch nicht so bekannt/beliebt wie zum Beispiel Italienische Weine, obwohl gewisse Weine aus Griechenland sich problemlos mit Italienischen Weine messen können.