Die Nordostecke Spaniens ist Dalí-Terroir. Zudem ist Katalonien ein einziges Schlaraffenland. Für eine Erkundung bietet sich das Hotel Camiral als perfektes Pied-à-terre an.
Mitten unter dem dichtesten Michelin-Sterne-Himmel Europas, im Herzen einer der besten Golfanlagen Spaniens und auf der Kreuzung der modernen Radelroute Via Verde und des historischen Königsweges Camí Real liegt das Hotel Camiral. In den 80er-Jahren war auf dem 300 Hektaren grossen, leicht hügligen Gelände eine Formel-1-Rennstrecke geplant, jedoch nie realisiert worden. In den späten 90ern dann hätte hier das prestigeträchtige Ryders-Cup-Golfturnier ausgetragen werden sollen. Weil sich die Bauarbeiten allerdings etwas verzögerten, hat schliesslich Valderrama in Andalusien den Zuschlag erhalten. Doch der Course stand und sollte die Grundlage für den heutigen Ausnahme-Circuit bilden.
Nach ein paar Jahren Dornröschenschlaf im Schosse der Meliá-Hotelgruppen kam mitten in der spanischen Immobiliennungkrise der irische Visionär und Investor Denis O’Brian. Er brachte 33 Millionen und den verspielten katalanischen Innendesigner Lázaro Rosa-Violán mit. Sie haben aus dem eher schlicht-kühlen halbmondförmigen Hotelgebäude ein elegantes Nest gezaubert mit einer lichtdurchfluteten Lobby, die auf ihren kaskadenartig angelegten drei Ebenen so viele gemütliche Sitzgelegenheiten bietet, dass es eine Qual ist, sich zwischen den wuchtigen Ohrsesseln, den englischen, klassischen Chesterfields, den weichen erdfarbenen Stoffcouches und den Vintage-Ledersesseln entscheiden zu müssen. Auch die Augen hüpfen freudvoll von einer ausgefallenen Lampe zur nächsten, von den Vitrinen mit Keramiktellern und Glasvasen zur riesigen Bibliothekswand und nach draussen von den Pinien zum Pool.
Vor ein ähnliches Dilemma versetzt einen das Menü, die Weinliste und die Gin-Tonic-Variationen. Egal, was man wählt, die katalanischen Köche sind immer für eine positive Überraschung gut. Wo sonst gibt es Thon-Tomaten-Tatar auf Manioktoast, Pinienkerne-Ratatouille mit Wachteleiern, Brotpudding aus Ferkelfüssen oder Gazpacho mit Ziegenkäse-Eis? Langweiler halten sich vielleicht eher an die Austern oder den Kabeljau-Carpaccio mit Seegras. Experimentierlust jedenfalls kann man den Katalanen nicht absprechen. So ist es wohl kein Zufall, dass das unweit gelegene kleine Küstenbistro «El Bulli» fünf Jahre lang als bestes Restaurant der Welt galt. Mit seiner Molekularküche hat der Ausnahmekoch Ferran Adriá dort seinen Hang zu aussergewöhnlichen gastronomischen Kombinationen und Aggregatszuständen auf die Spitze getrieben. Das Lokal ist unterdessen zwar geschlossen, doch die Schule der Hexenmeister lebt weiter. Und die Michelin-Sterne sowie die Auszeichung als weltbestes Restaurant sind an den «Celler de Can Rocca» in Girona weitergereicht worden – keine Viertelstunde vom Camiral entfernt. Ein Ausflug in die Provinzhauptstadt Girona lohnt sich. Die malerische Altstadt und ihr moderneres Pendant jenseits des gemächlich dahinfliessenden Riu Onyar ist eine äusserst lebendige Food-, Shopping- und Biker-Destination.
Das Highlight für Kunstinteressierte ist dabei Dalí, der berühmteste Sohn Kataloniens. Seine Spuren führen auf die zerklüftete kleine Halbinsel Cap de Creus, wo er im malerischen Fischerdorf Portlligat sein halbes Leben verbrachte, nach Figueres, seinem Geburts- und Todesort, wo er das ehemalige Stadttheater in ein Gesamtkunstwerk und viel besuchtes Museum umgestaltete, und nach Púbol, wo er seiner vergötterten Muse Gala eine kleine Burg aus dem 11. Jahrhundert schenkte. Das Gemäuer, die zum Teil surrealistische Ausstattung der heimeligen Räume, die asymmetrischen Innenhöfchen, schattigen Terrassen und verwunschenen Gärten geben dem Ensemble eine anrührende Intimität, die etwas von der überschäumenden Gestaltungslust und der grossen Liebe dieses Genies zu seiner russischen Frau Gala erfahrbar machen.
Von Lucie Paska