150 Jahre ist es her, dass der ehemalige Zuckerbäcker Gian Saratz in seiner Heimat eine Pension eröffnete und eine Hotelgeschichte ins Rollen brachte, die Gegensätze vereint und Atmosphäre schafft.
Das ist selten: Kein Mensch sitzt an diesem frühen Morgen auf der Terrasse des Hotels Saratz in Pontresina. Die neuen Gäste sind noch nicht angereist und die Glücklichen, die bereits im Haus wohnen, scheinen sich gerade am grossartigen Frühstücksbuffet im Jugendstilssaal zu erfreuen. Dabei kündigt sich draussen ein prächtiger Tag an und die Terrasse ist einer der schönsten Orte des «Saratz». Wer sich hier auf einem der Korbstühle niederlässt, geniesst die freie Sicht auf das Val Roseg mit seinem Gletscher, auf das Bernina-Massiv und den grossen Hotelpark. Die Ruhe und die frische Luft sind eine Wohltat für angespannte Unterländer. Nur das gleichmässige Rauschen der Flaz, die unterhalb des Parks vorbeifliesst, und das Zwitschern singfreudiger Vögel in den hohen Bäumen sind zu hören. Eine Idylle, ein Kraftort vielleicht. Und doch, irgend etwas lenkt von Kaffee und Zeitung ab. Das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Der Eindruck täuscht nicht. Nicht ganz zumindest. An der Hauswand auf der linken Seite der Terrasse haben zwei eindrückliche Herrschaften aus Holz ihren Platz. Ein Mann mit kariertem Blazer und Hut blickt durch den Feldstecher ins Tal. Sein Kollege, ein stattlicher Herr mindestens in Originalgrösse, sitzt im Anzug und mit Brille auf einem Stuhl. Zwar sind die beiden still und starr, und doch nimmt man sie aus dem Augenwinkel immer wieder wahr und verfällt der Täuschung, es könnte sich um zwei echte Gäste handeln.
Die beiden sind nicht die einzigen hölzernen Besucher im «Saratz». An verschiedenen Orten im Hotel sitzen oder stehen solche Skulpturen und Objekte von den Bündner Kunstschaffenden Maria und Peter Leisinger mitten unter den Gästen. Schon bei der Ankunft fällt vor dem Haupteingang der charismatische Portier in Uniform auf. Nur ein paar Meter von ihm entfernt warten reglos ein russischer Grossfürst und seine Gattin. Und in der Lobby ist ein untersetzter Holzmann auf einem Stuhl eingenickt. Die meisten der Figuren sind aus Zedernholz, massige Körper mit markanten Linien und starker Wirkung – nicht nur wegen ihrer Grösse, sondern auch wegen der Geschichten, die sie erzählen. Die Geschichte eines 150 Jahre alten, stolzen Hotels und seiner Menschen.
Zuckerbäcker wird Hotelier
Es passt zum Saratz, dass es sein Jubiläumsjahr auch mit Kunst feiert. Sie gehört im Vier-Sterne-Superior-Hotel sozusagen zum Inventar. Der Komponist Richard Strauss, zum Beispiel, war mehrmals zu Gast, weil er die Ruhe so schätzte. Und der erste Besucher überhaupt war ein Maler, aber dazu später. Zu jeder Saison wird im Hotel eine neue Ausstellung gezeigt. Die Figuren der Leisingers, aber auch Installationen sowie Bild und Tonobjekte des jungen Zürcher Künstlers Pascal Suprapto Schmid bleiben länger stehen als gewöhnlich. Sie feiern das Jubiläum. Und so treffen die Hotelgäste am Eingang zum Speisesaal auch noch heute auf Gian Saratz, den Mann, auf den alles zurückgeht.
Dabei wollte dieser einst gar nicht Hotelier werden. Er war einer der vielen Engadiner, die Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Heimat verliessen, um als Zuckerbäcker in Europa Karriere zu machen. Das gelang ihm auch, und er kehrte als gemachter Mann nach Pontresina zurück. Mit 40 Jahren übernahm er im Dorf das Amt des Landammanns und lebte mit seiner Familie in einem schönen Bauernhaus. Als er den deutschen Maler Wilhelm Georgy kennenlernte, der die Engadiner Alpenwelt dokumentierte, und dieser ihm klagte, wie einsam er sich im Hotel fühle, nahm Saratz den Künstler kurzerhand in seinem Haus auf. Die Rolle des Gastgebers gefiel Gian Saratz, und als seine gute Nase fürs Geschäft auch noch den aufkommenden Tourismus im Engadin witterte, baute er den Heustall seines Hauses in eine Pension mit Gästezimmern um. Damit legte er 1865 den Grundstein für das heutige Hotel Saratz, das sich mit einer bewegten Geschichte von einer Pension zu einem beliebten Hotel entwickelte und heute noch in Familienbesitz ist. Ein Haus, in dem Alt und Neu fliessend ineinander übergehen, in dem sich junge Familien genauso wohlfühlen wie Pensionierte. Zwischen der Bibliothek, einem der Räume im schönsten Jugendstil, und der modernen, hellen Eingangshalle rennen auffallend viele Kinder hin und her. «Sie bringen Leben ins Hotel», findet das Direktionsehepaar Anuschka und Thierry GeigerStarkloff. Es ist beeindruckend, wie die beiden die verschiedenen Ansprüche ihrer Gäste aneinander vorbei bringen. Im Spa sind Kinder beispielsweise während des Tages herzlich willkommen, abends aber ist der Wellnessbereich den Erwachsenen vorbehalten. Im Restaurant haben die Kleinen ihr eigenes Buffet, wer ihre Begeisterung darüber nicht teilen will, kann auch in einem Saal essen, in welchem Kinder keinen Zugang haben. Und falls die Eltern selbst Ruhe brauchen: Für Knirpse ab einem Jahr gibt es zweimal wöchentlich eine Betreuung. Nachwuchs ab drei Jahren darf ins Spielparadies, wo jeden Tag ein spannendes Programm auf sie wartet. Selbst ein elterliches Tête-à-Tête beim Mittag oder Nachtessen ist dank Babysitter möglich.
Richtig austoben können sich die Kinder im wunderschönen Hotelpark. Mit 35 000 Quadratmetern ist auch er genugend gross, dass sich Ruhe suchende Gäste und junge Wildfänge nicht in die Quere kommen. Während die Kleinen auf dem Robinson-Spielplatz mit Trampolin und Tipizelt oder im Naturpark mit Schlucht ihre ganz eigene Welt haben, kommt bei Erwachsenen auf dem Tennisplatz oder dem Pitching und Putting Green, dem Sandbunker und Abschlagplatz für Golfer, ebenfalls Spiellaune auf. Wieder ein gemeinsamer Treffpunkt ist der 20 Meter lange, beheizte Aussenpool im Sommer. Er wurde bereits 1960 gebaut und war damals der erste beheizte Aussenpool im Engadin. Unter alten Bäumen mit Sicht auf die gewaltigen Berge und ewiges Eis lässt es sich darin wunderbar Längen schwimmen – das Bad ist ein grosses Plus für alle, die Wassersport mögen. Wenn dann im lauschigen Café Bagnera direkt am Wasser noch der Grill angeworfen wird, kommt definitiv Ferienstimmung auf.
Eine zweite Pionierleistung
Letztes Jahr konnte das Hotel Saratz nach dem beheizten Aussenpool ein zweites Pionierprojekt in seinem Hotelpark einweihen: Im Oktober 2014 wurde die geothermische Anlage in Betrieb genommen. Zum ersten Mal in der Schweiz wurde dafür eine Tiefenbohrung von 1347 Metern durchgeführt. Mit der durch Erdwärme gewonnenen Energie werden das Hallenbad, die Wellnesszone und Teile der Hotelanlage geheizt. Rund 70 000 Liter Heizöl oder 180 Tonnen CO2 können so eingespart werden. Für die allgemeinen Bemühungen, mit Wasser und Energie sparsam umzugehen, wurde das Saratz 2010 mit der ISO-Norm 14001:2004 zertifiziert. Es ist ein Beitrag, um die schöne Natur, in der das Hotel steht, zu schützen.
Insgesamt hat die Besitzerfamilie seit den 1990er-Jahren rund 50 Millionen Franken in das Hotel investiert und damit den Glanz der alten Tage, der eine Zeit lang etwas verstaubt war, wieder poliert. Das Chesa Nouva, das mittlerweile 140 Jahre alte Stammhaus, verfügt über 30 Junior-Suiten und Zimmer, die 2007 komplett renoviert wurden – ein Hauch Belle Epoque aus der Entstehungszeit wurde zum Glück aber bewahrt. Immer noch in seiner ganzen Pracht zeigt sich der Architekturstil im Hauptrestaurant mit 14-Gault-Millau-Punkten. Eine Freude für alle, die gerne in der Eleganz vergangener Zeiten schwelgen.
Alle anderen durchqueren die Lobby und wohnen im Gebäudeteil Ela Tuff, der mit seinen 63 modernen, hellen Zimmern 1996 die bestehenden Gebäude ergänzte. Der neuste Teil des Hotelkomplexes ist das 2007 angebaute Punt Ota, wo Gäste Appartements buchen können. Es ist fast unmöglich, im «Saratz» nicht das passende Zimmer für die eigenen Ansprüche zu finden.
In den einstigen Stuben der Gründerfamilie schläft allerdings niemand mehr. Dort schlürft man heute Bündner Gerstensuppe, geniesst andere regionale Spezialitäten oder einen Burger. Im ältesten Gewölbekeller des Hauses ist die schnucklige Fondue und Raclette-Beiz La Cuort untergebracht. Mit Platz für nur 16 Personen ist man hier sozusagen unter sich. Anders geht es in der Bar zu und her, die das Herzstück der gemütlichen Räume des ehemaligen Bauernhauses bildet: Jeden Donnerstag wird Live-Musik gespielt und gefeiert. Das Pitscha Scena hat sich zu einem Treffpunkt für Einheimische und Hotelgäste entwickelt. Der perfekte Ort, um auf das historische Haus und die eigenen Ferien anzustossen.
Von Stefanie Schnelli