Luxus bedeutet für Nicole Da Silva, in ihrem Haus fliessend heisses Wasser zu haben und die Wäsche mit einer Maschine zu waschen, statt sie auf einem Stein zu schrubben. Seit 15 Jahren kommt sie nicht mehr von Goa los – dem kleinsten indischen Bundesstaat.
«Nach den ersten zwei Wochen in Goa rief ich heulend zu Hause an und teilte meiner Familie mit, dass ich meinen Einsatz hier niemals aushalten werde. Ich war für Esco Reisen aus Basel nach Indien gekommen und hatte fünf Monate vor mir. Fünf Monate, die mich verwandelt haben. Von der Tussi mit Minirock und hohen Absatzschuhen wurde ich zur Frau mit kurzen Shorts und flachen Sandalen. Ich weiss selber nicht mehr genau, wie das passiert ist, aber irgendwie hat mir Goa immer besser gefallen. Ich glaube, es waren vor allem die Menschen, die mir imponiert haben. Trotz ihrem einfachen Leben schienen alle so glücklich, so unschuldig und unverbraucht. Das finde ich heute noch. Und ich bin jetzt seit 15 Jahren hier.
Meine erste Saison in Goa war auch aus einem anderen Grund prägend: Ich habe meinen Mann, Charles Da Silva, einen Goaner, kennengelernt. Wir haben zusammen gearbeitet. In den ersten Jahren verbrachte ich nur die Winter in Goa – zuerst als Reiseleiterin für deutsche Veranstalter, später auch für Hotelplan, der 1999 mit Esco fusionierte. 2006 haben Charlie und ich dann geheiratet. Zwei Jahre später kam unser Sohn Ethan zur Welt, 2011 unsere Tochter Emma. Wir haben ein wunderschönes Haus gebaut, das an die typischen alten portugiesischen Häuser in Goa erinnert. Wir haben einen kleinen Garten und zwei Gästezimmer, die wir auch vermieten. Ich liebe unsere Aussicht auf die Reisfelder. Der grösste Luxus aber ist für mich, dass wir im Gegensatz zu vorher im Haus fliessend heisses Wasser haben, eine Klimaanlage das Hauptschlafzimmer kühlt und ich unsere Wäsche in einer Waschmaschine und nicht wie davor – ganz indisch – auf einem Stein waschen muss. Sonst im Alltag mischen wir die beiden Welten, aus denen wir stammen. Bei uns gibt es Fischcurry mit Reis, aber auch mal eine Rösti mit Salat. Mit den Kindern folgen wir den indischen Traditionen, aber auch den Schweizer Bräuchen. Sie sprechen Schweizerdeutsch, Englisch und Konkani, die einheimische Sprache.
Reisen für den eigenen Katalog
In der Saison von November bis April arbeite ich normalerweise vier bis fünf Tage die Woche in den Hotels in Südgoa. Ich betreue Feriengäste aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich mag es sehr, mich um Menschen zu kümmern, die sich hier nicht auskennen. Sei es nur, ein Badetuch zu organisieren oder ihnen im Krankheitsfall zur Seite zu stehen. Es bereitet mir Freude, den Gästen die schönen, manchmal aber auch die weniger schönen Seiten Goas näher zu bringen.
Seit vergangenem Jahr arbeite ich neben der Reiseleitung auch als Contracting Manager India für die Marke Travelhouse von Hotelplan. Das heisst, ich bin zuständig für die Verträge und die Produktion des Kataloges Inditours, dem Spezialisten für Indien, Nepal und Bhutan. Dieses Engagement ist ein Glücksfall für mich: Erstens kann ich so mehr Monate im Jahr arbeiten als nur in der Touristensaison, und zweitens habe ich die Möglichkeit, zu reisen, was ich für lange Zeit aufgeben musste. Und am Schluss habe ich «meinen» Katalog aus «meinem» Land in den Händen. Ein schönes Gefühl!
Ich glaube, das Spezielle an Indien ist, dass es seine Besucher im tiefsten Herzen berührt, weil alle Sinne angesprochen werden. Man kann hier wirklich Dinge erleben, sehen, riechen und hören, die man sich nicht im Traum vorstellt. Goa ist innerhalb Indiens aussergewöhnlich, weil hier eine nette Mischung aus Indien und Europa entstanden ist. Oft wird Goa als wilde Partydestination dargestellt, mit Moonlight Partys und Drogen. Das ist aber eher Vergangenheit. Natürlich kann man im Norden in ein pulsierendes Nachtleben eintauchen. Aber im Süden geniesst man vor allem Ruhe. Hier ist man noch Mensch und trifft auch Menschen.
Schulter an Schulter Geld einzahlen
Natürlich gibt es auch Dinge, die mir hier weniger zusagen und die mich nerven. Dass wir mit vielen Elektrizitätsausfällen leben müssen, zum Beispiel. Oder die Abfall und Schmutzprobleme. Die meisten Inder stört der Abfall nicht. Amüsant, aber nicht gerade angenehm finde ich zudem den regelmässigen Gang zur Bank. Man muss schon ziemlich frech sein, damit man überhaupt beachtet wird. Auch Abstandslinien oder so gibt es nicht. Alle stehen Schulter an Schulter und jeder bekommt mit, wieviel Geld ich auf mein Sparkonto einzahle. Ziemlich ungewohnt für eine Schweizerin. Von zu Hause fehlt mir manchmal die Sicherheit und wie un kompliziert das tägliche Leben in der Schweiz ist. Hier muss man teilweise Stunden verbringen, wenn man etwas Bestimmtes sucht.
Dafür habe ich in Goa gelernt, geduldiger zu sein, vieles mit Humor zu nehmen und nicht immer alles planen zu wollen. Ich habe auch gelernt, nicht immer alles zu hinterfragen. Manchmal ist es halt einfach so wie es ist. Die Goaner geniessen das Leben im Jetzt. Sie lächeln mehr als wir, kümmern sich um Familie und Nachbarn und kommen irgendwie leichter mit dem Leben zurecht, weil sie Probleme und auch Dinge wie den Tod als Teil des Lebens annehmen. Ich hoffe, das kann bewahrt werden. Darum wünsche ich mir für Goa, dass nicht zu viele Luxusgüter Einzug halten, dass die Abfallentsorgung endlich organisiert wird, die korrupten Beamten verschwinden und – die Autofahrer endlich Verkehrsregeln lernen.»
Von Stefanie Schnelli