Im Gegensatz zu den touristischen Zentren in Bali und Sumatra ist der kulturelle Reichtum und der Charme Zentral-Javas viel weniger bekannt. Semarang, die Hauptstadt der Provinz, lockt mit kolonialem Zauber und reicher Geschichte.
Was in anderen asiatischen Städten oft der Abbruchbirne zum Opfer fällt, nämlich architektonische Zeugen kolonialer Vergangenheit, hat in Indonesien durchaus Überlebenschancen. Beispielsweise die 1753 entstandene reformierte Blenduk-Kirche, eines der wenigen historischen Wahrzeichen Semarangs, der Provinzhauptstadt von Zentral-Java. Sie ist gut instand gehalten und vereinigt zahlreiche Architekturstile und Gebäudeelemente, die sich an grosse Vorbilder anlehnen, seien es nun Petersdom oder Sacré Cœur. Die Kirche ist nicht nur das älteste Gotteshaus der Provinz, sondern sie symbolisiert auch das friedliche Nebeneinander verschiedener Religionen und Ethnien.
Ein Schmelztiegel
Gerade Zentral-Java war und ist ein Schmelztiegel – dies aufgrund der chinesischen, indischen, arabischen und europäischen Einflüsse und Elemente. Wichtigster Grund dafür war der florierende Gewürzhandel. So stieg Semarang – heute mit 1,5 Millionen Einwohnern die mit Abstand grösste Stadt der Provinz – während der holländischen Kolonialzeit zum wichtigen Handelshafen auf und beherbergte ab dem 17. Jahrhundert die Depots und Umschlagplätze des Gewürzhandels, der Reichtum, Macht und Bedeutung brachte. Bis ins 20. Jahrhundert hielt der Boom an – so ausgeprägt, dass man dem touristischen Profil wenig Beachtung schenkte. Gerade dieser altertümlich-anheimelnde Charme der Multi-Kulti-Vergangenheit ist es nun, der Zentral-Java und Semarang zur Renaissance verhilft.
Am besten startet man die Entdeckungstour in der Hauptstadt. Hier im Quartier Kota Lama weht kolonialer Duft. So findet man in Little Netherlands elegant designte und grosso modo recht gut unterhaltene architektonische Zeugen der holländischen Kolonialzeit – darunter neben Gotteshäusern, einem Bahnhof und Büros auch Wohnungen. Eine wohltuende Oase der Ruhe ist die 2006 fertiggestellte Grosse Moschee, die sich an der berühmten Nabawi-Moschee in Medina, Saudi-Arabien, orientiert. Zum beeindruckenden Gebäudekomplex gehören auch ein 99 Meter hoher Aussichtsturm, ein Auditorium, eine Bibliothek sowie überraschenderweise ein bescheidenes Hotel mit 22 Zimmern. Ebenso besuchenswert ist Sam Poo Kong, ein reich geschmückter chinesischer Tempelkomplex, gebaut zu Ehren von Zheng He, dem legendären Entdecker, Seefahrer und Admiral (1371–1433 oder 1435). Nicht zu vergessen all die originellen Restaurants überall in der Stadt, wo man erstaunlich preiswert und schmackhaft verpflegt wird.
Sobald man die Hauptstadt verlässt, erahnt man die nach wie vor grosse Bedeutung der Landwirtschaft, werden doch in riesigen Plantagen Reis, Zuckerrohr, Getreide und Tabak angepflanzt. Bisweilen glaubt man sich in alte japanische Tuschzeichnungen versetzt, denn nirgendwo spürt man Hektik, sondern es liegt eine eigentümliche, manchmal fast sakrale Ruhe und Harmonie über weiten Teilen Zentral-Javas. Daran muss man sich als auf Effizienz und Tempo getrimmter Gast erst gewöhnen.
Imposante Tempelanlagen
Während sich heute 96 Prozent der Bevölkerung zum Islam bekennen, der im 15. und 16. Jahrhundert in die Provinz kam, ist aus gerechnet der grösste touristische Magnet ein Relikt der buddhistischen Vergangenheit: Borobudur. Die gewaltige Tempelanlage – man schätzt ihre Entstehungszeit auf das Jahr 800 – ist eine der grössten im südostasiatischen Raum und zählt seit 1991 zum Weltkulturerbe. Glücklicherweise wurde sie restauriert, nachdem sie fast 1000 Jahre dem Verfall preisgegeben war und arge Blessuren davongetragen hat. Die eigentliche Wiederentdeckung ist Thomas Stamford Raffles zu verdanken, dem damaligen englischen Gouverneur Javas.
Das Gleiche gilt für den hinduistischen Tempelkomplex Gedong Songo. Er liegt an den Abhängen von Mount Ungaran und umfasst neun idyllisch in die sanfte Landschaft eingebettete Tempel. Sie stammen aus der gleichen Zeit wie Borobudur. Wer es bequem haben will, besteigt ein Pferd, kann so uneingeschränkt den Zauber hinduistischer Sakralarchitektur auf sich wirken lassen und wird ohne eigene Muskelleistung durch den ganzen Komplex geführt. Ist Borobudur längst kein weisser Fleck mehr auf der Landkarte kulturbeflissener Reisender, findet man sich in Gedong Songo oft fast allein auf weiter Flur. Niemand drängt sich auf, der koloniale Charme wirkt auch hier und lässt erahnen, was bei geschicktem Marketing an Entwicklungspotenzial vorhanden ist.
Text Werner Knecht, Bilder Fotolia