Eine blühende Wiese bedeute für ihn Glück. Und um dieses Glück zu erleben, brauche er nicht zu verreisen. Reisen sei Eskapismus, Weltflucht. Die Worte eines Lesers von artundreise haben uns nachdenklich gestimmt. Obwohl – und wahrscheinlich weil – wir einiges zu entgegnen haben: Die Welt zu bereisen ist aus unserer Sicht gerade das Gegenteil von Weltflucht. Reisende geben sich der Welt hin, sie flüchten nicht vor ihr. Reisen können also gar nie Eskapismus bedeuten. Ausser man flieht vor sich selbst.
Yuval Noah Harari, der Autor des lesenswerten Bestsellers «Eine kurze Geschichte der Menschheit» steht dem modernen Tourismus ebenfalls kritisch gegenüber: «Den alten Ägyptern wäre es nie eingefallen, eine Beziehungskrise mit einem romantischen Weekend-Trip zu bewältigen.» Die moderne Tourismusbranche bezeichnet Harari als «Erlebnisökonomie», in der kapitalistische Unternehmen den Mythos des «romantischen Konsumismus» bewirtschaften, um Kasse zu machen. Reisen als Tanz um das Goldene Kalb, wie Harari es sieht?
Dem Historiker würden wir mit dem Blick in die Geschichte des Tourismus entgegnen. Deren Wegbereiter waren alles andere als abgebrühte, zynische Kapitalisten, sondern Abenteurer, Wissenschaftler, Entdecker, Eroberer, Missionare. Viele davon in der Tat leidenschaftliche Romantiker, auf der Suche nach neuen Horizonten, unberührten heilen Welten, Inseln der Lebensfreude im Meer des rauen Alltags, hungrig auf Begegnungen mit Menschen, denen es gelungen ist, ihre Ursprünglichkeit und ihr bescheidenes Glück fernab der westlichen Zivilisation zu bewahren.
Statt zu reisen rät Harari zu meditieren und auf Konsum zu verzichten. Natürlich meint der Bestseller-Autor damit nicht die Lektüre seiner Kultbücher und die damit verbundenen Millionenerträge. Von diesem Widerspruch abgesehen: Ob eine fromme Seele und braves Meditieren wirklich glücklich machen? Die Erlösten müssten schon etwas erlöster wirken, wenn man ihrem Erlöser glauben sollte, sagte einst Nietzsche. Dazu kommt: Die kontemplative Reise zu sich selbst ist ebenfalls mit einigen Risiken verbunden. Der ungeschönte Blick auf das eigene Ich könnte einigen Seelentauchern einen gehörigen Schrecken einjagen. Ironie beiseite: Wo wir mit Harari einig sind: Die Jagd nach immer wieder neuen Kicks und (Selfie-)Klicks interessiert uns ebenfalls nicht. Auch der rasant wachsenden Berieselungs- und Bespassungsindustrie stehen wir kritisch gegenüber. Was uns bewegt und inspiriert, sind Begegnungen, Leidenschaft, Begeisterung, Kreativität, das Interesse am Gegenüber. Auch ausserhalb unseres blühenden Gartens.
Reisen ist Begegnung. Leben ist Begegnung. Der Mensch ist ein interessiertes und wissbegieriges Wesen und er will neue Horizonte entdecken. Es sind diese Gene, die uns antreiben, wenn wir uns in Indien mit Le Corbusier auseinandersetzen, in Nepal und Namibia vom Aussterben bedrohte Nashörner aufspüren, die einzige lebende Kindsgöttin Asiens besuchen oder uns von den Geschichten Crocodiles, einer Himba-Frau im Norden Namibias, verzaubern lassen.
Text Markus Weber
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