Ich packe meine Koffer… «artundreise» fragt Christa de Carouge.
Madame de Carouge, Sie haben einmal gesagt, Kleider müssen Geschichten verkörpern. Aktuell zeigt das Kunsthaus Zug noch bis am 18. Februar Ihr Lebenswerk. Welche Geschichten erzählen Sie den Besuchern da?
Die Ausstellung ist eine Gesamtschau, ein Rückblick auf mein Leben. Sie zeigt eine riesige Bandbreite von Erlebnissen, Emotionen und Dingen, die mich geprägt haben. Sie erzählt, woher ich – meine
Ideen – kommen, was mich beflügelt hat, was mir Freude bereitete.
Auch ferne Länder spielen dabei eine Rolle. Wie haben Reisen Ihre Arbeit, Ihre Werke, geprägt?
Ich bin viel gereist, es war immer Inspiration. Ich interessiere mich für Menschen auf der Strasse, für Fahrende, Nomaden und ihre Welten. Auch die asiatischen Kulturen, insbesondere Tibet, Nepal und Japan, faszinieren mich. Schon bei meiner ersten Japan-Reise 1984 bin ich der Klarheit des Landes, dem Ästhetischen und Minimalistischen nachgegangen.
Wie haben Sie das gemacht?
Indem ich beobachtet habe. Reisen bedeutet für mich in erster Linie, zu beobachten. Schauen wie die Menschen essen, schlafen, wohnen, welche Träume und Bedürfnisse sie haben. In Japan habe ich in Ryokans und Klöstern gewohnt. Haben Sie sich einmal damit auseinandergesetzt, wie japanische Häuser konstruiert sind? Das ist einmalig. Diese Verwandlung vom Tages- zum Nachtraum, wenn die Tische zur Seite gestellt und Futons ausgerollt werden. Nichts ist zuviel. Natürlich haben mich auch immer die Kleider fasziniert. In Japan vor allem die Kimonos der Zen-Nonnen und Mönche, in Marokko die der Nomaden. Ihre Mäntel sind richtige Vorratskammern. Sie sind praktisch und schützen die Menschen vor Hitze und Sonne.
Sind so Ihre «wohnbaren Kleider» entstanden? Ihr Grundsatz, dass Kleider Häuser für den Körper sind?
Kleider sind Begleiter für alle Lebenslagen. Sie schützen und wärmen uns. In ihnen muss man sich zu Hause fühlen. Kleider müssen praktisch und bequem sein. Die Mönche und ihre Kimonos haben mich sehr inspiriert. Sie haben meist nur ein Gewand, das reicht. Für wichtige Zeremonien schmücken sie sich mit wundervollen Umhängen, wenn es kalt ist, ziehen sie wärmere Sachen unter dem Kimono an. Ein Kimono ist einfach geschnitten, mit wenig Nähten und Details an den wichtigen Stellen. Ich habe meine Kleider ähnlich entworfen, schlicht und reduziert, aus hochwertigen, langlebigen Materialien und mit perfekten Schnitten.
Sind Sie Buddhistin geworden?
Nein. Ich habe mich mit dem Zen-Buddhismus auseinandergesetzt und vieles gelernt und mitgenommen, aber ich bin nicht Buddhistin. In meiner Zeit in Genf habe ich vier Jahre lang Kyudo geübt,
japanisches Bogenschiessen. Da wird jede Bewegung sehr achtsam ausgeführt. Man läuft nicht einfach irgendwie auf den Platz und zieht nebenbei den Handschuh an – es gibt für alles Rituale, alles wird ganz bewusst zelebriert. Das hat mich geprägt und gelehrt. Wenn ich arbeite oder koche, achte ich darauf, wie ich mit den Dingen umgehe. Das ist eine Art Meditation. Ich meditiere, indem ich nach draussen gehe, spaziere und atme. Ich muss dafür nicht in einer Gruppe im Kreis sitzen. Aber ich gehe jeden Tag mit meinem Hund in den Wald. Ich liebe den Wald und die Bäume. Da hole ich Kraft und Ruhe. Es braucht nicht mehr.
Sie sind lange Zeit gependelt, haben viel Zeit unterwegs verbracht und eine Reisetasche entworfen. Gibt es die noch zu kaufen?
Beim ständigen Unterwegssein hatte ich die Idee, eine mobile Kommode zu entwerfen. Entstanden ist eine Art Tasche auf Rädern mit einer Art Schubladen, in denen die einzelnen Kleidungsstücke verstaut sind. Bei einer Pause dienen diese Schubladen als Sitzkissen, aus dem Rollbrett wird ein Tisch für ein Picknick. Oder man funktioniert die Tasche und ihren Inhalt zu einem Bett um: ihre Hülle ist der Futon, der langärmlige Mantel der Überwurf, der kurzrärmlige Mantel oder ein grosser Schal die Decke. Ich bin damit gereist, aber ich habe den Prototypen nie weiterentwickelt.
Ist Reisen generell einfacher geworden in den vergangenen Jahren?
Nein, ganz und gar nicht. Die Technologie erleichtert das Reisen nicht, sie macht es kompliziert und vieles geht verloren. Die Menschen sind zu Ameisen geworden. Wir eilen umher. Es ist alles schrecklich kurzatmig.
Was haben Sie immer dabei, wenn Sie reisen?
Nicht viel. Es braucht ja auch Platz für kleine Souvenirs. Meist waren das bei mir Gewürze für die Küche, ein Stück Stoff oder schönes Handwerk.
Wo würden Sie gerne noch hin?
Ich träume vom Norden. Die Kargheit, die Reduktion der Farben und die Landschaften reizen mich. Aber ich reise nicht mehr. Nicht mehr physisch, nur noch im Kopf. Wenn ich auf meinem Bänkli auf dem Zürichberg sitze, reise ich in die Ferne, erinnere mich an die schönen Orte, die ich besucht habe, die berührenden Begegnungen. Das ist das Schönste, was einem vom Reisen bleibt – all die schönen Erinnerungen. Ich habe ein ganzes, wundervolles Bilderbuch in mir.
Interview: Stefanie Schnelli (im Dezember 2017)
Christa de Carouge ist eine der wichtigsten Modedesignerinnen der Schweiz mit internationalem Renommee. Die ersten Arbeiten der Künstlerin, die in Basel als Christa Furrer geboren wurde und in Zürich aufwuchs, reichen in die 1970er-Jahre zurück. 1978 eröffnete die heute 81-Jährige ihr erstes eigenes Atelier im Genfer Vorort Carouge. Das Städtchen und das Leben dort prägten die Modeschöpferin stark, sodass sie ihm ihren Künstlernamen widmete. Die Kollektionen von de Carouge, fast ausschliesslich in Schwarz und charakteristisch durch weite Schnitte und hochwertige Materialien, sind ein zeitloses Markenzeichen geworden. 2016 hat de Carouge ihre Schnittmuster und ihr geistiges Erbe an ihre langjährige Schneiderin Deniz Ayfer weitergegeben, die das Werk in ihrer eigenen Formsprache als Marke De Niz weiterführt. Im Kunsthaus Zug zeigt Christa de Carouge bis am 18. Februar 2018 zum ersten Mal eine Gesamtschau ihres Werkes.