Regine Mosimann /© Diogenes Verlag
Ich packe meine Koffer… «artundreise» fragt Donna Leon.
Donna Leon, vor Kurzem ist Commissario Brunettis 25. Fall auf Deutsch erschienen. Wie haben Sie das Jubiläum gefeiert?
Indem ich direkt mit Brunettis 26. Fall angefangen habe. Das Buch ist fast fertig.
Das aktuelle Buch heisst «Ewige Jugend». Ist Brunetti auch alterslos oder denken Sie manchmal darüber nach, ihn zu pensionieren?
Solange ich Freude habe, die Bücher zu schreiben, wird auch Brunetti weiter arbeiten. Wenn ich keinen Spass mehr habe, höre ich auf. Denn dann würden die Geschichten ziemlich sicher auch den Lesern nicht mehr gefallen.
Brunettis Heimatstadt und Arbeitsort ist Venedig, wo Sie auch selber wohnen. Wie hat sich die Stadt seit Ihrem ersten Buch verändert?
Erstens hat die Zahl der Touristen enorm zugenommen. Inzwischen besuchen jährlich 30 Millionen Gäste die Stadt, bei 56 000 Einwohnern. Ich versuche, im Frühling und im Sommer zu flüchten und nicht da zu sein, weil Venedig dann jeweils hoffnungslos überlaufen ist. Zweitens hat sich das Strassenbild verändert. Es verschwinden immer mehr Geschäfte, die für die Einheimischen nützlich sind, wie Bäckereien, Wollläden oder Käsetheken. An ihrer Stelle eröffnen Shops, die in China hergestellte Souvenirs verkaufen. Kein Venezianer braucht so etwas.
Stimmt also die Behauptung, Venedig verkomme zu einem Disneyland?
Das ist die Realität. Im Sommer ist auf den Strassen nicht mehr an ein Durchkommen zu denken. Auch auf den Booten ist es schwierig, noch einen Platz zubekommen. Zudem liegt viel Abfall rum.
Am Anfang von «Ewige Jugend» ist Brunetti zu einem Nachtessen in illustrer Gesellschaft eingeladen. Dort wird die Frage nach der Schuld der vielen Touristen diskutiert. In Ihren Büchern spielt die Schönheit Venedigs eine wichtige Rolle. Haben Sie den Tourismus der Stadt beeinflusst?
Keine Ahnung. Aber ich finde, die Gäste sollten ver-suchen, die Stadt mit eigenen Augen zu sehen. Sie sollten sich vorstellen, wie die Venezianer die Stadt betrachten, statt nur Souvenirs zu kaufen.
Sie haben mehrere Jahre in Rom und Vincenza gearbeitet. Was fasziniert Sie an Italien und warum leben Sie in Venedig?
Ich wählte Venedig, weil sehr gute Freunde, die für mich inzwischen wie eine Familie sind, hier leben. Ich mag die Lebensfreude, die Grosszügigkeit und die Wärme der Italiener sowie die physische Schönheit des Landes.
Sie haben auch in Iran, Saudi Arabien und China gearbeitet. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Destinationen?
Ich würde sehr gerne in den Iran zurückkehren, wo ich als Lehrerin gearbeitet und vier gute Jahre erlebt habe. Ich habe grössten Respekt und viel Bewunderung für das Land und nur gute Erinnerungen. Das gleiche gilt für China, wo ich eine Gastprofessur innehatte. An Saudi Arabien erinnere ich mich weniger gerne. Da fallen mir vor allem die mühsamen sexuellen Anspielungen ein, die anfingen, sobald ich das Haus verlassen hatte, und nicht aufhörten, bis ich wieder zu Hause war.
Was haben Sie immer in Ihrem Koffer, wenn Sie verreisen?
Mindestens zwei Bücher, eine Jeans und ein paar weisse Shirts.
Wo verbringen Sie Ihre nächsten Ferien?
Ich hoffe, ich kann im September wieder für ein paar Tage auf die Insel Usedom fahren.
Wie sehen perfekte Ferien aus?
Auf dem Sofa liegen und lesen.
Interview und Übersetzung: Stefanie Schnelli (Juni 2016)
Bild: Regine Mosimann /© Diogenes Verlag
Die Kriminalfälle des sympathischen Commissario Guido Brunetti sind Erfolgsgeschichten und haben die amerikanische Schriftstellerin Donna Leon berühmt gemacht. Vor Kurzem ist sein 25. Fall mit dem Titel «Ewige Jugend» auf Deutsch erschienen. Seit dem Debut «Venezianisches Finale» 1993 hat Leon jedes Jahr einen Brunetti-Krimi veröffentlicht. Im deutschsprachigen Raum landen die Bücher regelmässig auf den Bestseller-Listen: Sie wurden in 34 Sprachen übersetzt – auf Wunsch der Autorin jedoch nicht auf Italienisch. Leon, die seit 1981 in Venedig lebt, möchte in der Stadt unerkannt bleiben und weiterhin einen ungezwungenen und unvoreingenommenen Umgang mit den Venezianern pflegen, die ihre Quelle und Inspiration sind. Donna Leon kam 1942 in New Jersey auf die Welt, hat englische Literatur studiert und als Dozentin unter anderem im Iran, in China, der Schweiz, Saudi Arabien und Italien gearbeitet. Hätte sie ihre Dissertation über Jane Austen fertig geschrieben, hätte Leon vielleicht eine akademische Karriere eingeschlagen. Doch sämtliche Notizen, Entwürfe und Aufzeichnungen, an denen sie fünf Jahre lang gearbeitet hatte, gingen 1979 auf ihrer Flucht vor der Revolution im Iran verloren. Neben der Literatur, vor allem Klassikern, interessiert sich Leon speziell für barocke Musik. Donna Leon fördert das Orchester Il Pomo d’Oro und geht mit ihm auf Lese- & Konzerttour. Zudem hat sie die Texte für die Booklets mehrerer Händel-CDs verfasst und einen Roman über den italienischen Komponisten Agostino Steffani geschrieben.
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