Bild: Klaus Einwanger / © Diogenes Verlag
Ich packe meine Koffer… «artundreise» fragt Schrifsteller Martin Walker.
Herr Walker, Sie sind mit Ihrem Buch «Grand Prix» auf Tour in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Setzen Sie sich danach in Frankreich ab?
Martin Walker: Noch nicht. Nach dem deutschsprachigen Raum setze ich meine Tour in Frankreich, England und den USA fort. Im Juli und August aber werde ich ein paar Tage im Périgord verbringen und dort Familie und Freunde unterhalten.
Und ein neues Buch schreiben? Wie finden Sie immer wieder Arbeit für Ihren Chef de police Bruno?
Ich werde auch schreiben, ja. Die Story für «Grand Prix» hat mir meine Tochter Kate auf dem Silbertablett serviert. Sie ist Motorsport-Journalistin und auf die Formel 1 spezialisiert. Eines Tages hat sie mich gefragt, ob ich die Geschichte der Rennfahrer William Grover-Williams und Robert Benoist kenne. Die beiden leiteten während des Zweiten Weltkrieges im besetzten Frankreich ein Résistance-Netzwerk. Zudem hat mir Kate ein Bild einer Bugatti Type 57 SC Atlantic gezeigt. Ein wunderschönes Auto! Eines der teuersten der Welt, es wurden nur vier davon gebaut. Eines gehört dem Modemacher Ralph Lauren, eines kollidierte in Frankreich mit einem Zug, das Dritte steht in Kalifornien – ein Museum hat es für 37 Millionen Dollar gekauft – und das Vierte ist in den Wirren des Zweiten Weltkrieges in Frankreich verschwunden.
Sind Sie Autoliebhaber?
Nein. Ich fahre in Frankreich eine Ente und bin nie schnell unterwegs. Autos interessieren mich nicht, aber der Bugatti Atlantic ist aussergewöhnlich und sehr schön. Ich bin übrigens für die Recherche zu «Grand Prix» tatsächlich mit einem Ralleypiloten mitgefahren. Es war grausam. Zwar war ich als Journalist im Krieg in Afghanistan und Irak, aber ich hatte nie solche Angst um mein Leben wie in diesem Ralleywagen. Sie sehen, ich nehme viel in Kauf für meine Leser (lacht).
Wie stark inspiriert Sie das Périgord für Ihre Geschichten?
Zu 120 Prozent. Das Périgord ist in mancher Hinsicht der wichtigere Charakter als Bruno. Es ist das kulinarische Herz Frankreichs, es bietet unglaublich schöne Landschaften und mehr Geschichte als jede andere Region. Wir haben 26 Höhlen mit prähistorischen Malereien und eine Grabstätte von Neandertalern, die ihre Toten rituell und mit Respekt begraben haben. Zudem zeigen die Überreste einer behinderten Person, dass sich die Gemeinschaft um sie gekümmert hatte. Das berührt mich. Die Römer waren im Périgord, die Araber, die Wikinger und – am schlimmsten – die Engländer. Während der Religionskriege war es eine Hochburg der Protestanten, die Französische Revolution hinterliess ihre Spuren und während des Zweiten Weltkriegs war das Gebiet wichtig in der Résistance.
Stimmt es, dass Sie einen ruhigen Ort suchten, um abschalten zu können, als Sie nach Frankreich zogen?
Ich war Korrespondent für «The Guardian» und wir haben in Moskau, Washington und Brüssel gelebt. Meine Frau Julia war der Meinung, dass unsere Kinder Wurzeln brauchen. Das Haus im Périgord haben wir vor rund zwanzig Jahren gekauft, um ein Zuhause zu haben.
Warum Frankreich?
Meine erste Reise ins Ausland führte mich mit 13 Jahren nach Frankreich, in den Norden von Paris. Es war ein Schüleraustausch, ich trug noch kurze Hosen und hatte noch keinen Stimmbruch. Trotzdem erinnere ich mich gut an meine Ankunft, an die Gerüche und Eindrücke, die Métro und den Bahnhof. Damals erschien mir der Ort unglaublich exotisch. Dieses Gefühl habe ich nie verloren. Heute ist es auch die Lebenseinstellung der Franzosen, die mich fasziniert. Dieser fast religiöse Glaube an die Pflicht, das Leben zu geniessen.
Statt das schöne Leben zu geniessen, haben Sie Bruno erfunden.
Ja! In Frankreich habe ich meinen ersten Roman verfasst. Vorher hatte ich ausschliesslich journalistische Sachbücher geschrieben. Die Region hat eine gewisse Magie, etwas Inspirierendes. Und dann lernte ich meinen lieben Freund kennen, Tennislehrer, Trainer der lokalen Rugby-Mannschaft, Feinschmecker, Jäger. Diesen intelligenten, feinen Polizisten, der alle im Dorf kennt und zu jeder Taufe und Beerdigung geht.
Was, Bruno gibt es wirklich?
Ja, er ist mein Tennispartner Piero. Oder sagen wir, Piero hat mich zu Bruno inspiriert. Danach ist er in meinem Kopf organisch gewachsen, hat sich entwickelt und verselbständigt. Aber es ist schön, darüber zu schreiben, wie viel ein guter Polizist in einem Dorf für die Gemeinschaft bewirken kann.
Und wie findet es Piero, dass er nun der wohl bekannteste französische Chef de police ist?
Anfangs war er etwas verblüfft. Er wusste lange nicht, was ich schreibe. Am meisten besorgt war er über die Reaktion seiner Frau (lacht). Denn im Gegensatz zu Bruno, der immer wieder in komplizierte Liebschaften stolpert, ist Piero glücklich verheiratet.
Wie haben Ihre Bruno-Bücher den Tourismus beeinflusst?
Ziemlich stark. Piero wird jetzt immer wieder von Besuchern gefragt, ob er Bruno sei. Der Anteil von Gästen aus der Schweiz ist im Périgord um 75 Prozent gestiegen. Insgesamt sind die Besucherzahlen um rund 30 Prozent gewachsen.
Freut das alle?
Ja, denn der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig im Périgord. Die Region ist statistisch gesehen eine der ärmsten des Landes, gilt aber als diejenige mit der höchsten Lebensqualität. Bei uns ist der Tauschhandel noch verbreitet. Ich habe zum Beispiel einen schönen, ergiebigen Gemüsegarten. So tausche ich im Sommer frisches Gemüse gegen Fische, die mein Nachbar aus dem Fluss zieht, oder gegen ein Rehbein vom Jäger.
Gärtnern Sie wie Bruno nach dem Mondkalender?
Selbstverständlich! Das machen bei uns alle. Hätte mir das früher jemand prophezeit, hätte ich laut gelacht. Ich habe vorher ausschliesslich in Städten gelebt.
Jetzt reisen Sie in Städte, um Brunos Geschichten vorzulesen. Was haben Sie auf Reisen immer dabei?
Mein Notizbuch. Hier halte ich fest, was ich beobachte, lerne und sehe. Schauen Sie, hier stehen Dinge drin wie der Ausdruck 08/15. Den hat mir ein Schweizer nähergebracht. Toll!
Interview: Stefanie Schnelli
Martin Walker, 1947 in Schottland geboren, ist Historiker, politischer Journalist und Schriftsteller. Er war 25 Jahre lang für «The Guardian» tätig und hat unter anderem in Moskau, Washington und Brüssel gelebt. Heute wohnt er einen Teil des Jahres im Périgord in Frankreich, wo auch seine Figur Bruno, Chef de police, wirkt. 2017 ist im Diogenes Verlag mit «Grand Prix» Brunos neunter Fall auf Deutsch erschienen. Zwei weitere Bücher erscheinen 2018 und 2019. Der sympathische Bruno, Feinschmecker, Koch, Gärtner, Tierliebhaber, Frauenversteher und engagierter Dorfpolizist, hat Fans auf der ganzen Welt. Walkers Bücher wurden in 15 Sprachen übersetzt, auf dem deutschen Markt hat er über zwei Millionen Exemplare verkauft. Neben den Krimis gibt es ein schön gestaltetes Bruno-Kochbuch sowie einen Reiseführer.