Die grüne Insel ist auf der touristischen Landkarte zurück. Sachte, sachte erholt sich die gebeutelte Wirtschaft nach der schweren Bankenkrise. Auch der Tourismus hat das Formtief überwunden.
Irland bemüht sich darum, dass die wirtschaftlichen Negativmeldungen abgelöst werden durch positive Schlagzeilen über landschaftliche, kulturelle und historische Besonderheiten der Feriendestination. Das ist keine ganz leichte Aufgabe, wie ein Blick in die Gazetten zeigt, auch wenn es manchmal nur diskrete Indikatoren für die allgemeine Lage sind. Da heisst es beispielsweise, das Statistische Amt Irlands habe zum Jahresbeginn den Warenkorb zur Bemessung der Konsumentenpreise angepasst und dabei den bisherigen Champagner weggelassen, neu hingegen einen Velohelm aufgenommen. Doch Irland spürt langsam wieder Boden unter den Füssen. So ist die grüne Insel als einziges englischsprachiges Euro-Land – zudem noch gesegnet mit einer jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung – attraktiv geblieben für amerikanische Multis, die kräftig investieren, sodass die multinationalen Exporte für eine allmähliche Wiedererstarkung der gebeutelten Wirtschaft sorgen. Auch und gerade die Tourismusverantwortlichen wissen um die Bedeutung des Fremdenverkehrs. Dementsprechend putzen sich die Regionen und Städte heraus. Beispielsweise die pittoreske mittelalterliche Hafenstadt Kinsale mit ihrem stimmungsvollen historischen Zentrum, dessen knallig bunte Häuserfassaden eine fast mediterrane Heiterkeit verströmen. Überhaupt zelebriert man hier an der Südwestküste Irlands die Freuden des Lebens und hat sich selbstbewusst zur Gourmet-Hauptstadt der Grafschaft Cork, ja von ganz Irland ausgerufen. Was ist darunter zu verstehen? Einer der Organisatoren, Hal McElroy von der Kinsale Chamber of Tourism, meint im Gespräch: «Unser Land leidet kulinarisch nach wie vor unter einem schlechten Ruf; dem wollen wir entgegenwirken und zeigen, dass wir nicht nur Landschaft, Strände, Museen und eine wechselvolle Geschichte haben, sondern eine vielfältige, gesunde und naturnahe Küche.» Sagt’s und lässt eine leckere Platte mit Meeresfrüchten auffahren, die gleich um die Ecke geerntet worden sind. Der kühle Muscadet fehlt ebenso wenig wie der abschliessende Kaffee. Man fühlt sich wie am Mittelmeer und staunt über den kulinarischen Quantensprung. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins verstärkt sich noch beim Blick auf den idyllischen Jachthafen und die wie eine Perlenkette aufgereihten schmucken Boutiquen, die neben Firlefanz auch recht ansprechendes Kunsthandwerk aus der Gegend anbieten: vor allem Keramik und Glaswaren vom nahen Waterford.
Preiswerte Freuden des Lebens
Was in der Grafschaft Cork auf Anklang stösst, ist kein Einzelfall. In ganz Irland finden Food-Festivals statt, gibt es besuchenswerte Wochen- und Bauernmärkte, Käse- und Weinausstellungen, Kochkurse und -schulen. Fast überall dominiert die ungekünstelte rustikale Note, und das ist gut so. Weder die Wochen- und Bauernmärkte noch die Restaurants, Pubs und Cafés sind Austragungsorte übersteigerten Raffinements, sondern Spiegelbild der von der Wirtschaftslage hart betroffenen Bevölkerung. Die Bankenkrise wirft immer noch Schatten. Da besinnt man sich auf die preiswerten Freuden des Lebens. Auch die immer populärer werdenden Märkte gehören dazu. Wir besuchen den Country Market in Skibbereen, der südlichsten Stadt Irlands, der vor 35 Jahren erstmals durchgeführt wurde und seither eine enorme Popularität erlangt hat. Hausfrauen und lokale Produzenten verkaufen hier jeden Freitag zwischen 12 und 14 Uhr ihre eigenen Erzeugnisse. Früchte, Gemüse, eigenes Brot, Wähen, Honig, Süsswaren, Chutneys, Konfitüre, Gestricktes, Gemaltes, Schmuck. Man kennt sich, tauscht Neuigkeiten aus, probiert kleine Häppchen und erfreut sich am Charme des Provinziellen.
Sauerstoff ins Gehirn
Ein etwas anderes Kaliber hat der gleichenorts gelegene Liss Ard Estate. Dieser gediegene Herrensitz liegt inmitten einer 80 Hektar grossen Gartenanlage mit Brücken, Stegen, Wäldern und dem 20 Hektar grossen See «Lough Abisdealy». Es handelt sich um einen der stilvollsten und exklusivsten Rückzugsorte, einen alten Herrensitz, der umfassend renoviert und restauriert worden ist – und sich in Schweizer Hand befindet. Roman Stern, ein ehemaliger Schweizer Banker, hat Liss Ard Estate zusammen mit seiner Frau gekauft und unter anderem eine exklusive, «slow food»-inspirierte Küche integriert. Eindrücklich ist auch der Irish Sky Garden, der sich wie ein aus Erde und Stein geformter Krater präsentiert. Hier legt man sich in der Mitte auf einen Steinsockel, betrachtet am Tag den irischen Himmel und des Nachts die eindrucksvolle Sternenwelt: mystisch, entrückt, jenseits des nervenaufpeitschenden Geschäftsalltags und erfreut darüber, dass man sich hier Sauerstoff ins Gehirn fächern kann. Und dann der beruhigende Gedanke: In Irland scheint wieder die Sonne.
Von Werner Knecht