Noch vor zwanzig Jahren war die Zahl kleiner Weingüter in Israel an einer Hand abzuzählen. Heute tummeln sich im Markt gegen 300 Boutique-Weinbaubetriebe.
Das Boutique-Weingut Château Golan am südöstlichen Ufer des Sees Genezareth steht beispielhaft für die enormen Veränderungen im israelischen Weinanbau. Mitinhaber Itzhak Ribak (61) erinnert sich: «1967, im Jahr des Sechstagekriegs, begannen Bauern im Golan Wein anzubauen. Ich habe meine ersten Erfahrungen im Weinanbau hier gemacht. 1973, damals war ich 18 Jahre alt.»
Bis 1995 gab es nur sieben Boutique-Weingüter in Israel. Im Jahr 2000 zählte man schon 100, und heute steht Château Golan einer landesweiten Konkurrenz von knapp 300 Weingütern gegenüber. Der Verkauf israelischer Weine sorgt für einen jährlichen Umsatz von 315 Millionen Dollar. Heute werden israelische Weine im Wert von 30 Millionen Dollar exportiert, hauptsächlich in die USA, nach Frankreich, Grossbritannien, Kanada, Polen, Deutschland und in die Niederlande.
Doch nach wie vor, so Ribak, seien viele lokale Weinmacher nicht sicher, welche Trauben unter der israelischen Sonne am besten gedeihen. Château-Golan-Chefwinzer Uri Hetz (48), der sein Handwerk im US-Bundesstaat Oregon erlernte und seit 2001 im Golan arbeitet, sagt dazu: «Wir experimentieren im Rebberg und im Keller und lernen nach und nach den Charakter der Weine im Süden des Golans kennen. Cabernet Sauvignon sorgt für tolle Weine, aber das genügt nicht, weil die weltweite Konkurrenz mit dieser Traube gross ist.» Bei Syrah verhalte es sich ähnlich. Hetz setzt mehr und mehr auf Petit Verdot als Komponente in einer Cuvée. Und Touriga Nacional, die portugiesische Traubensorte, finde hier ebenfalls ideale Bedingungen vor. Mit dem Anbau von Pinot Noir und Cabernet Franc hat der Israeli hingegen aufgehört. Pinot Noir mag eher ein kühleres Klima.
Die meisten Rebberge von Château Golan – ein Schloss gibt es übrigens entgegen dem Namen nicht – befinden sich auf rund 400 Metern über Meer. Auf einer Fläche von 16 Hektar werden jährlich gegen 100 000 Flaschen produziert. Allerdings sind die ältesten Reben des Weinguts erst zwanzig Jahre alt. Die Böden sind vulkanisch, teils lehmig, es gibt nur fünfzig Zentimeter Regen pro Jahr, meist erst Ende Oktober bis Anfang April. Die weissen Rebsorten werden in diesem Teil des Golans bereits Ende Juli, Anfang August geerntet. Ende August folgen Syrah und Merlot, Cabernet im September.
Tradition als Weinanbaugebiet
Château Golan produziert keine koscheren Weine. «Die Art, wie ich Wein mache, eignet sich dazu nicht», begründet Hetz. Er weiss, dass das für den Export ein Nachteil ist. Denn israelische Weine stehen in Konkurrenz zu Wein aus Griechenland, Libanon und Zypern sowie Regionen wie Süditalien oder Südfrankreich. Koschere Weine hingegen haben kaum Mitstreiter und können deshalb tendenziell teurer verkauft werden.
Die Charakteristik israelischer Weine, so Uri Hetz, gleiche jener aus der Neuen Welt. Der Trend gehe aber weg von allzu alkoholhaltigen und konfitürartigen Tropfen. Mehr und mehr werden neue Rebsorten und Weinstile entdeckt. Dass sich die israelische Weinindustrie noch immer in einer Entwicklungsphase befindet, ist erstaunlich. Denn bereits bei Genesis im Alten Testament ist davon die Rede, wie Noah Reben angepflanzt und vom Wein betrunken wurde. Jüdische Bauern haben schon vor über 2500 Jahren Weine hergestellt, die bis nach Ägypten und Rom transportiert wurden. So gesehen zählt Israel zu den ältesten Anbaugebieten der Welt. In den 1880er-Jahren brachte Baron Edmond de Rothschild, Mitbesitzer von Château Lafite, den Weinbau ins heutige Israel.
Für die jüngsten Veränderungen hätten «der Einfluss und die Ausbildung junger Önologen in wichtigen Weinländern wie Frankreich oder Australien gesorgt», sagt Ralph Zimmermann der Schmerling AG in Zürich. Das Unternehmen importiert seit vielen Jahren israelischen Wein, etwa vom Weingut Golan Heights, das 1983 startete und heute neben Weiss-, Rosé- und Rotweinen auch hervorragende Schaumweine (etwa den Blanc de Blancs, Champagner-Methode) produziert. Die Önologen von Golan Heights sitzen inzwischen im Computerraum und tüfteln nach neuen Produktionsmethoden. Mit Erfolg: An der Vinitaly 2011 in Verona wurde Golan Heights als weltweit bestes Weingut just für seine Produktionsart ausgezeichnet. Zur Bewässerung wird entsalztes Meerwasser eingesetzt.
Weinanbau in der Wüste
Doch gerade der Golan mit dem Libanon und Syrien als Nachbarn ist politisch umstritten. Besteht da nicht die Angst, dass diese schönen Hügelzüge rund um den See Genezareth einst wieder Syrien zugeschlagen werden? Uri Hetz antwortet pragmatisch: «Das ist keine schwierige Frage. Wenn die Regierung und die Bevölkerung der Ansicht sind, dass ein solcher Deal mit Syrien eine gute Sache ist, dann suchen wir von Château Golan halt einen neuen Ort. Wir sollten sicher nicht an unserem kleinen Weingut hängen.» Doch ein solcher Landtausch werde nicht über Nacht abgewickelt.
Obwohl die Topografie des Golans geradezu prädestiniert für den Weinbau ist, gäbe es in Israel Platz für Alternativen. Das Weingut Yatir etwa beweist, dass selbst im Süden Israels, in der Wüste Negev, Weinbau möglich ist. Und von Yatir schwärmt Gil Hovav (54) immer wieder. Der Urenkel von Eliezer Ben-Yehuda, der das Hebräische als Muttersprache wiederbelebt hatte, gehört zu den führenden Gastronomiejournalisten des Landes und ist mit seinen Kolumnen, Büchern und TV-Sendungen in ganz Israel bekannt. Wenn er über die Entwicklungen der israelischen Weine sinniert, spricht er von einer zweiten Revolution: «Wir hatten eine erste in den 1980er-Jahren, als die Weingüter Golan Heights und Carmel Mountains wegweisend waren. Heute erleben wir eine zweite Revolution mit Boutique-Weingütern, die sehr regional und aufs Terroir fokussiert arbeiten.» Die Weinlandschaft Israels sei so vielfältig wie noch nie. «Doch Israel ist noch immer auf der Suche nach einem eigenen Stil. Wir haben das perfekte Klima dafür.»
Neben den Roten und dem Rosé von Yatir lobt Hovav Château Golan, die Domaine du Castel vor den Toren Jerusalems, die Schaumweine der Golan Heights sowie die Weingüter Recanati und Dalton. Heute werde in Israel beim Produzieren fast alles ausprobiert – selbst Portwein, Brandy oder Whisky. «Israel ist kein Land der Traditionen, aber der Innovationen. Wir sind eine Start-up-Nation», sagt der prominente Israeli. Lechaim! Auf das Leben! Gibt es irgendwo auf der Welt einen schöneren Trinkspruch?
Von Reto E. Wild
Trendige Lokale
Laut Gastro-Journalist Gil Hovav eröffnen in Tel Aviv jede Woche rund zehn neue Lokale. Im Gratis-Magazin «Time Out», das in Hotels aufliegt, werden die neuen Adressen vorgestellt. Im Trend sind zudem Food Markets wie der im Hafen und im Sarona-Quartier von Tel Aviv. Ein neuer Strassenmarkt öffnet an der Ecke Rothschild Boulevard/Allenby Street.
Weitere Tipps:
Claro: Fleisch- und Fischspezialitäten, trendig, sehr gute Küche, schöne israelische Weinekarte. www.clarotlv.com
Topolopompo: der Fantasie-Name des Lokals steht für die kreative, panasiatische Küche. www.topolopompo.co.il
Port Said: mehr Bar als Restaurant, Treffpunkt der Jugend. www.facebook.com/theportsaid
Machneyuda: im Westen Jerusalems, mitten im Machneyuda-Markt, laut, trendig, immer voll. www.machneyuda.co.il
Chakra: ebenfalls in Jerusalem, faires Preis-Leistungs-Verhältnis, breite Weinauswahl. www.chakra-rest.com/en