Bei einem Streifzug durch den weltgrössten Fischmarkt in Tokio können Besucher die Vorliebe der Japaner zum Thunfisch studieren.
Bauch von Tokio wird er gerne genannt, der grösste Fischmarkt der Welt im Stadtteil Tsukiji. Und dieser Bauch hat vor allem eines: riesigen Hunger. Sein Magen verschlingt täglich knapp 2000 Tonnen Fisch und anderes Meeresgetier, während seine Gedärme einen rasanten Verdauungsvorgang zu absolvieren haben. In der gleichen Nacht, in der die Thunfische noch munter in den Untiefen des Meeres geschwommen sind, bis sie ein Fangnetz in den Kutter hievte, werden sie hier verkauft. Ab dem Fang läuft alles sekundenschnell: ausladen, ausnehmen, inspizieren, auktionieren, zerkleinern, verpacken und abtransportieren.
Schliesslich ist es oberstes Gebot in Japan, dass roher Thunfisch als Sashimi in dünne Scheiben geschnitten oder als Sushi auf ein Reishäppchen gebettet, absolut frisch auf den Tisch kommt. Europäische SushiVarianten mit Frischkäse oder gekochtem Hühnchen sind japanischen Puristen ein Graus. «Fusionküche», sagt Teruyuki Kojima verächtlich, ohne aufzublicken. Der SushiMeister des Peninsula Hotels in Tokio prüft die Konsistenz des Thunfischfleisches: tiefrote magere Scheiben vom Rücken und fett gemaserte Stücke vom Bauch, die als die besseren gelten, weil Fett als Geschmacksverstärker wirkt und die Stückchen auf der Zunge zergehen wie feinste Pralinés. So viel hat man auch als Laie schnell begriffen. Der Rest ist eine Kunstform, die in Japan beinah als Religion zelebriert wird.
Bis zu zwanzig Jahre dauert es, bis ein Koch die Weihung zum SushiMeister erfährt und er annähernd so perfekt mit Reis, Fisch, Seetang, Wasabi und Sojasauce umgehen kann, dass er daraus wahre Wunderwerke zu zaubern weiss.
Das wertvollste Arbeitsutensil von Teruyuki Kojima ist jedoch gut verschlossen im Hotelsafe aufbewahrt: eine schlichte Urkunde mit der Nummer 17153. Übertrieben formuliert könnte man sagen, es ist die Lizenz zum Töten. Sie berechtigt Kojima nämlich, jemandem eine tödliche Kugel in Fischform zu verabreichen. Der Fugu stammt aus der Gattung der Kugelfische und ist der tödlichste aller essbaren Fische. Abgesehen vom Muskelfleisch ist das Nervengift Tetrodotoxin in hoher Konzentration fast überall in dem Tier zu finden. Die besondere Kunst des FuguKochs liegt nun darin, den Fisch so gekonnt zu filetieren, dass der Gast den Verzehr überlebt. Was so schwer nicht sein kann, denn jedes Jahr überleben Japaner den Verzehr von mehr als 10 000 Tonnen Fugu.
Wabbelmuscheln und Seeungeheuer
Wer sich auf dem Fischmarkt in Tsukiji umsieht, weiss bald, dass hier ziemlich alles angeboten wird, was man aus den Meeren ans Tageslicht fördern kann: Unförmige Wabbelmuscheln, mehrarmige Polypen und andere, undefinierbare Ungeheuer, die man nicht einmal von einem FünfsterneKoch zubereitet haben möchte. Der Besuch des Marktes ist allerdings nur etwas für Frühaufsteher oder vom Jetlag Geplagte, die nicht mehr schlafen können.
Um drei Uhr nachts beginnen die Händler in weissen Gummistiefeln mit ihren Taschenlampen die Qualität der angelieferten Waren zu prüfen und deren Preise zu schätzen. Bei einem Tagesumsatz von mehr als zwölf Millionen Schweizer Franken muss hier schliesslich schnell und effizient gearbeitet werden. Ab fünf Uhr früh kann man sich auch als Besucher registrieren lassen, muss aber persönlich da sein, will man einer von den 120 Gästen sein, die in zwei Etappen ab 5.25 Uhr eingelassen werden. Noch wird das wohl eine ganze Weile lang die gängige Praxis bleiben, auch wenn es viele für hygienisch bedenklich halten, wenn Touristengruppen bei der legendären ThunfischAuktion über die ausgelegten Körper stolpern. Die Stadtregierung will den Fischmarkt seit zwölf Jahren vergrössern und deshalb verlegen lassen. Jetzt soll es angeblich im April 2015 so weit sein, aber noch sind nicht einmal die Bauausschreibungen abgeschlossen.
Dabei ist schon der alte Markt eine kleine Stadt für sich. Jede Menge Laster, Gabelstapler und Motorräder sausen umher. Händler rennen mit Sackkarren durch die Gegend oder fahren bollernd seltsam anmutende Dreiradtransporter, die sie, gebeugt über eine Art Benzinfass, im Stehen durch die Gassen lenken. Folgt man den ohrenbetäubenden Glocken der Händler, landet man bald in den Kühlhallen bei der grossen ThunfischAuktion. Mystischer Nebel steigt von den gefrorenen kostbaren Körpern auf, die auf dem blanken Betonboden liegen, von wo sie später mit riesigen Haken weg geschleift werden.
Die vielen rauchenden, kopf und schwanzlosen Leiber erinnern mehr an aufgereihte Bomben als an Fische. Um halb sechs beginnt das Feilschen, und die Fischhändler schreien in unverständlichem Kauderwelsch um die Wette, das akustisch nach AltEdo klingt. Schliesslich reichen die Ursprünge des Marktes zurück bis in eben jene Edo-Epoche des 16. Jahrhunderts, als Fischer hier feilboten, was vom Verkauf an den Shogun übrig geblieben war. Im Sekundentakt wechseln nun Fische im Wert eines Kleinwagens den Besitzer. Den Rekordpreis von umgerechnet etwa 1,7 Millionen Schweizer Franken erzielte im Januar vergangenen Jahres ein 220 Kilo schwerer Blauflossenthunfisch.
Quotenmanagement zum Schutz
Sushi ist in den letzten Jahren international zum kulinarischen Dauerbrenner geworden, sodass die rasant gestiegene Nachfrage nach Thunfisch immer schwerer zu befriedigen ist. Die Zeiten sind vorbei, als man Thunfisch ausserhalb Japans allenfalls aus der Dose kannte. Ein etwa fünf Zentimeter grosses Stück vom besten Blauflossenthunfisch kann in einem exklusiven japanischen Restaurant mehr als 18 Franken kosten. Bis es auf dem Teller landet, hat es vom Broker über die Auktionsfirma und weitere Zwischenhändler oft neunmal den Besitzer gewechselt.
Japaner konsumieren laut World Wide Fund For Nature (WWF) rund 80 Prozent des weltweiten Fangs an Blauflossenthunfisch. Bis 2007 wurden jährlich noch 60 000 Tonnen gefangen, das war mehr als das Doppelte der erlaubten Quote. Weil das für die Fischer zunächst ohne Konsequenzen blieb, brach der Bestand um 74 Prozent ein. Für den Blauflossenthunfisch gilt seit 2013 deshalb eine jährliche Fangquote von 13 400 Tonnen für das Mittelmeer und den Ostatlantik. «Nur ausreichende Kontrollen und vorsorgliches Quotenmanagement können dazu beitragen, dass sich der Bestand des Blauflossenthunfischs bis 2020 erholt», sagt Karoline Schacht, Fischereiexpertin des WWF in Hamburg.
Die Versorgungsknappheit treibt indes die Preise nach oben, doch die Geschäfte laufen erstmal flüssig weiter, genauso wie das Wasser das bestimmende Medium des Fischmarktes bleibt. Es fliesst, rieselt, plätschert und tröpfelt überall: in den Bottichen mit den Lebendfischen, über die Schlachttische und natürlich auch über die eigenen Schuhe. Von der Eisfabrik in riesige Blöcke gefroren und zu kandiszuckergrossen Stückchen zerkleinert, kühlt es die geschlachtete Ware. Sauber und frisch muss alles sein, weshalb es auf dem Markt schon deshalb nicht nach Fisch riecht, sondern allenfalls nach Meer. Fischgeruch wäre ein Zeichen beginnender Verwesung, und das ist hier schlicht undenkbar. Um ein Uhr mittags ist dann alles vorbei, das grosse Saubermachen beginnt. Dann werfen die Wassertankfahrzeuge ihre Sprenkler an und putzen, bis kein Fischschüppchen mehr auf der Strasse liegt.
Text und Bilder Margit Kohl