Bauchwellen nach Büroschluss: Der orientalische Tanz ist eine Alternative zu Wellness-Oase, Jakobsweg und Burn-out-Klinik.
Das grösste Problem ist die Lehrerin. Sie ist so klein und zierlich, dass wir allesamt wie Walküren wirken. Stocksteife dazu. Nie werden wir Anfängerinnen diese Bauchwelle hinkriegen, die durch ihren Körper rollt, als hätte sie keine Wirbelsäule. Nie werden unsere Arme wie Lianen im Wasser schlängeln. Dabei könnte sie wohl noch ganz anders. Doch rücksichtsvoll zerlegt sie jede Bewegung in pädagogische Häppchen wie ein Wort in einzelne Silben: Tupf – Schritt. Tupf – Schritt.
Man sieht dem nüchternen Zürcher Geschäftshaus nicht an, was sich in seinem Untergeschoss tut. Und niemand kann glauben, dass diese Business-Frauen, die nach Büroschluss die Treppe hinunterhetzen, gleich die Uhr abstreifen, die Haare lösen und ein Glitzertuch um die Hüfte knoten werden. Kehlige Laute und Trommeln, drängend und fremd, füllen das Studio. Eine Lichterkette windet sich um die orientalisch niedere Sitzbank; das Steinbrünnlein plätschert wie in einem arabischen Innenhof. Grossmünster und blau-weisse Trams scheinen auf einem andern Kontinent.
Vor zwölf Jahren war Maya Farner eine der wenigen gewesen, die orientalischen Tanz, so die korrekte Bezeichnung, unterrichtete. Heute bietet selbst die Migros-Kurse an. Hausfrauen, die sich früher beim Tricot-Nähen oder Mutter-Kind-Turnen trafen, üben gemeinsam den Hüftschwung. Berufstätige sehen im Beckenkreisen eine Alternative zu Wellness-Oase, Jakobsweg und Burn-out-Klinik. Frauen mit nicht so glanzvollem Leben schminken sich hier eine exotische Seite an. Inzwischen wird in Mehrzweckhallen und Rotkreuz-Kurslokalen unterrichtet. Dass manche Lehrerin kaum mehr von der Sache versteht als ihre Schülerinnen, fällt nicht weiter auf. Hauptsache, es funkelt der Strass und rascheln die Pailletten.
Maya Farner ist die Einzige, die an der Uni Bern – mit Bestnote – den Master in TanzKultur, Spezialfach Orientalischer Tanz, gemacht hat. Und wahrscheinlich die Einzige in der Schweiz, die vom Unterricht leben kann. Ihre Schülerinnen, ein Drittel davon mit Hochschulabschluss, suchen bei ihr wöchentlich nach jener prallen Weiblichkeit, die im Berufsleben verpönt ist. Dank Sachverstand und Logik haben sie Karriere gemacht. «Jetzt möchte ich mich als Frau entdecken», sagt eine Mathematikerin. Eine Sportlehrerin hat ihrem Körper bislang «nur Kraft und Schnelligkeit» abverlangt. Nun will sie wissen, was sonst noch in ihm steckt. Und eine Dritte geniesst schlicht, dass «hier der Kopf nur hinderlich ist».
Breitbeinig und plattfüssig stehen sie vor dem wandhohen Spiegel, geerdet wie die Statuen antiker Fruchtbarkeitsgöttinnen. Diese Haltung lässt den Körperschwerpunkt wieder ins Becken rutschen, dort, wo er einst war. Wie schwankende Blätter im Wind machten die Frauen erst die westliche Kultur, dann Korsett und schliesslich Manolo Blahniks Schuhe mit. Sie pressten die natürliche Mitte immer höher in Richtung Herz und Halszäpfchen.
Maya Farners erste Liebe gehörte dem Flamenco. Fusstritte als Befreiung vom streng religiösen Umfeld ihrer Jugend. Aufbegehren gegen Vorschriften und Dogmen. Die gestampften Ausbrüche taten ihrer Seele gut. Dafür litten die Knie. Sie verlegte sich auf eine Bewegungsform, welche die Gelenke weniger strapazierte, «weil sie nach innen geht». Nach und nach entdeckte sie auch die anderen Vorteile des orientalischen Tanzes. Er bot eine Direttissima zur eigenen Weiblichkeit. «Man kommt nur über den Körper in den Körper.»
Wie die Lehrerin suchten auch viele Schülerinnen die Frau in sich erst in andern Tänzen. Vergeblich. Der Jazztanz macht keinen Unterschied zwischen Männer- und Frauenkörpern. Beim Zumba rackern sich beide Geschlechter auf die gleiche schweisstreibende Weise ab. Beim Pole Dance windet sich die Frau zwar wie im Nightclub um eine Stange. Doch die Fitnessstudios haben aus dem Striptease-Hit längst reine Körperertüchtigung gemacht. Ebenso wenig brachten die Paartänze. «Beim Salsa benötigte ich einen Partner», erklärt eine Biologin. Am Tango störte eine andere, dass der Mann den Ton angibt: «Er fragt, ich antworte.» Eine Fotografin, die fast alles ausprobiert hat, was der Markt hergibt, fand nirgends «so viel Selbstbewusstsein und Kraft wie in den weichen, natürlichen Bewegungen im Dance Studio Maya».
Gegen Mundwinkel, die vom ewig gleichen Trott erzählen
Schon wahr. Manche Gesten scheinen alt vertraut, in entlegenen Hirnwindungen abgelegt und trotzdem sofort wieder ab rufbar wie das einmal gelernte Velofahren oder Schwimmen. Anderes ist schwieriger, als es wirkt. Vom Kopfrucken bekommen wir Muskelkater am Brustbein. Und gelingt die Bewegung nicht perfekt, sehen wir im Spiegel ein Huhn, das über den Hof stolziert. Grösster Spielverderber freilich bleibt das eigene Gesicht. Die Falte zwischen den Augen spricht vom Stress mit Konto und Kindern statt von Wüste und Weite und glutrot untergehenden Sonnen. Die Mundwinkel erzählen vom ewig gleichen Trott statt von Tausendundeiner Nacht.
Maya Farners Kurse sind überrannt, manche dreifach gebucht. Sie könnte zufrieden sein. Sie ist es aber nicht. «Natürlich hat alles Ethnische die Faszination dessen, was man nicht besitzt. Zurückkommen mit dem Gewinn von dort. Aber wir bleiben immer Kopien.» Schlechte Kopien zudem. Für die Ägypter gehört der Tanz zur ge hobenen Unterhaltungskultur und zu jeder Hochzeit. Die Touristen aus Europa und Amerika dagegen sahen im Schütteln von Busen und Bauch nur eines: erotische Anmache. Zumal sie weder Musik noch Text verstanden. Was heute im Westen unter dem plumpen Namen Bauchtanz gezeigt wird, hat nichts mehr mit dem Original zu tun. Fehlende Tiefe und Deutung werden mit Glitzer-BHs, nackter Haut und Chiffon wettgemacht. «Reiner Kultur-Kolonialismus», urteilt Maya Farner.
Eine weitere Wende nahm die Geschichte in den Neunzigerjahren. Die Feministinnen versuchten, den – zwecks weiblicher Selbstfindung als durchaus geeignet eingestuften – Import ideologie-kompatibel zu machen. Die Lösung: der Tribal Dance. Nun tragen die Frauen üppig gerafften Stoff in Erdfarben und tanzen zu eingängiger Folklore aus aller Welt. Und statt die Schaulust des Spiessers zu befriedigen, lassen sie ihren Bauch zur eigenen Erbauung kreisen. Motto: Jede ihre eigene Göttin!
Die weibliche Würde wiederfinden
Das Wort Göttin, keineswegs in hörbare Anführungszeichen gesetzt, gebraucht auch die eine oder andere Schülerin im Dance Studio Maya. «Die Kraft in mir spüren, die Göttin in der Frau», schwärmt eine Psychologin. «Weibliche Würde wiederfinden …» Und springt gleich launig auf, um zu zeigen, was sie meint. Diese flinke Hüftacht ist die Ewigkeitsspirale. Dieser graziös gereckte Arm, der im Profil alle Kurven schön zur Schau stellt, deutet die Verbindung mit dem Himmel an.
Die Psychologin hat sich auch selbst schon als Lehrerin versucht. Gab freilich rasch wieder auf. All die Mütter, die mal erschienen und mal wieder nicht, «wenn der Hansli krank war». All die jungen Mädchen, die nur möglichst rasch die Bewegungsabläufe lernen wollten und denen es «scheissegal war, welche Bedeutung da hintersteckte». Hauptsache, sie können an der Hochzeit der besten Freundin eine Nummer hinlegen. Oder in einem libanesischen Restaurant ein Zubrot verdienen und ihren Busen über vollen Tellern schütteln.
Maya Farners eigener Versuch, den orientalischen Tanz mit modernem weiblichem Bewusstsein zu verbinden, nennt sie move on. «Wenn ein Tanz nur dazu dient, sich als Frau zu entdecken, kann keine Kunst daraus werden. Ich möchte ihm Tiefe und Aussagekraft zurückgeben.» In ihren Weiterbildungsprojekten werden die Frauen nicht nur auf Verführerinnen reduziert. Sie zeigen alle Facetten des Weiblichen, auch die zornigen, wilden, selbstbewussten. Express yourself! Die Musik im Studio wird aggressiver; die Schülerinnen versuchen, die orientalischen Verführungsklischees mit eigenen Empfindungen zu füllen und neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden.
Kunst oder Kopie? Anfängerinnen ist die Frage egal. Denn ihr Körper macht im Spiegel Dinge, die sie ihm nie zugetraut hätten. Benimmt sich, als hätte er einen lustvoll vertrödelten Nachmittag zwischen schwellenden Kissen hinter sich. Diese zuckende Hüfte scheint nicht zum eigenen Leib zu gehören. Dieser Bauch auch nicht, der jedes Mal ruckt, wenn sich die Po backen spannen. Souverän sind die Schritte, erhoben das Kinn. Ha! Wenn der Verflossene wüsste, was er schnöd verschmähte …
Wie effizient dieses neue Körpergefühl ein lädiertes Selbstbewusstsein wieder aufrichtet, beweisen die Briefe in Maya Farners Post. Sie schwärmen vom Studio als «Oase für Leib und Seele, getränkt mit Leben und Kraft». Hier hat man sich «befreit» und «eine verborgene Seite in sich selbst entdeckt». Manchmal fragt ein Mann, ob er mittanzen dürfe. Dann ist der Widerstand der Schülerinnen stets gross. Man möchte die neue Frau in sich ohne männliche Zeugen und Zuschauer ausprobieren.
Sonst ist vom Bauchtanz nicht viel Positives zu berichten. Verfall überall, selbst in seiner Heimat. Die Ägypterinnen haben inzwischen nicht nur den westlichen Tingeltangel-Look übernommen. Sie liessen auch die Brüste nach westlichem Vorbild auf Maxi-Size vergrössern. Jetzt rotieren in den Nightclubs und Hotelhallen von Kairo und Istanbul gewaltige Kugeln im Rhythmus der Musik. Und weil die Implantate ihre industriell-starre Form behalten, fehlt jene leicht ziehende Hautbewegung am Brustansatz – der erotische Clou.
Auch die politische Entwicklung bekommt dem Tanz nicht gut. Die Ägypterinnen, die auf Plätzen und Strassen revolutionäre Parolen skandierten, können mit der Zelebrierung des alten Frauenbildes nicht mehr viel anfangen. Immer schön und verführerisch sein, brav den Kopf in Dauerdemut neigen?
Kaum erfreulicher, wenn auch auf entgegengesetzte Weise, ist, was bei internationalen Wettbewerben gezeigt wird. Es gewinnen durchtrainierte, muskulöse Blondinen aus Ländern wie Litauen und Kanada, die geradeso gut an Body-Building-Anlässen auftreten könnten. Routiniert lassen sie bislang unbekannte Muskeln über den Bauch springen und blicken dabei so unbeteiligt drein, als schnitten sie Wurst auf.
«Männer tun nur blöd»
Zwiespältige Erfahrungen haben Maya Farners Schülerinnen gelehrt, ihr Hobby zu verheimlichen. Besonders am Arbeitsplatz. «Die Männer tun nur blöd», sagt eine Umweltspezialistin, die auf einem städtischen Amt arbeitet. «Das ist privat und nur für mich», wehrt auch eine Hausfrau ab. «Zu Hause bin ich das Mami.» Tatsächlich scheint der Bauchtanz nichts für den Hausgebrauch zu sein. Eine Juristin wollte ihre Gäste mit einer Tanzeinlage zwischen Hauptgang und Dessert überraschen. Brach ihre Darbietung freilich rasch ab, als sie lauter verkrampft lächelnde Gesichter und ihren betreten dreinschauenden Freund sah.
Überhaupt scheinen die Männer schlicht zu grob gestrickt für die Feinheiten dieser Kunst. Im Beckenkreisen, klagen die Frauen unisono, wollen sie partout keine Ewigkeitsspirale bestaunen. Stattdessen greifen sie gleich zu.
Text: Margrit Sprecher, Bild: Cordula von Martha