Polarfüchse, schneebedeckte Bergspitzen und mit etwas Glück ein Spionagewal: Bei einer Kreuzfahrt mit der Seabourn Quest sind spannende Naturerlebnisse garantiert.
Die Nacht scheint eine einzige Entschuldigung. Eine Wiedergutmachung für all die Monate, in denen sie zum Tag wurde, das Licht stahl, morgens, mittags, abends, obwohl sie gar nicht an der Reihe war. Nun steht die Sonne auch um ein Uhr nachts über dem Horizont, bringt die Sterne und den Mond in Verlegenheit. Es ist Mittsommer in Island und die Tage und Nächte gehen nahtlos ineinander über, eine Endlosschleife in Weiss. «Wir können von dem Licht nicht genug bekommen», erzählt Sara, die in
Sudureyri wohnt, nahe des nördlichen Polarkreises. «Im Winter schafft es die Sonne nicht über die Berge, dann bekommen wir sie gar nicht zu sehen.»
Der 200-Einwohner-Ort liegt hoch oben im Norden der Insel, im Westen, wo Fjorde Zacken ins Land schneiden, das Wasser selten weiter als einen Pferdeausritt entfernt ist. Wind, Eis und Vulkane haben das Land zerklüftet, es abgeschnitten von der Þjóðvegur 1, die sich wie ein Ring aus Asphalt um Island legt und den Touristen den Weg weist. Um zu den Westfjorden zu gelangen, muss man aber von der Hauptstrasse abbiegen, dorthin, wo das Navigationsgerät zu stottern beginnt. Überall sonst in Island mag der Tourismus der Wirtschaftsfaktor Nummer eins sein, in den Westfjorden ist es die Fischerei, noch immer. Der Golfstrom sorgt dafür, dass das Wasser ständig in Bewegung ist und die Temperatur nie unter zehn Grad Celsius sinkt. «Unsere Fjorde sind tief und voller Fische», sagt Sara, deren Vater selbst zur See fährt. Der Geruch von Fisch hängt in der Luft, das Kölnischwasser des Nordens. In einem kleinen Holzverschlag hängen Hunderte Kabeljau zum Trocknen, im einzigen Café von Sudureyri werden Fischfrikadellen und Fischtran verkauft.
Wenn die Erde Schlamm spuckt
Die Grönlandsee ist aber nicht nur Haupteinnahmequelle der Einheimischen, sie ist auch Reiseroute der Kreuzfahrtschiffe, welche das Land der Feen und Trolle für sich entdeckt haben, sich ihm entlang seiner Umrisse nähern. Kein Stau, der einen Strich durch die Routen-Rechnung machen könnte, allenfalls hünenhohe Wellen, die gegen den Bug schlagen, wenn der Wind wieder einmal kräftig Luft holt. An der Seabourn Quest prallen die Naturgewalten ab. Das erste Expeditionsschiff der US-Luxusreederei trotzt selbst dem Eis der Antarktis. Von Frühling bis Herbst kreuzt es jedoch zwischen Island, Norwegen, Dänemark und Grossbritannien. «Vor dreissig Jahren hätte sie mit ihren 225 Suiten noch als grosses Schiff gegolten, vor 15 als mittelgrosses und heute zählt sie zu den kleinen Schiffen», erzählt Kapitän Aleksander Golubev, der seit zwei Jahren das Kommando auf der Brücke trägt. «Sie ist nicht nur wunderschön anzusehen, sondern hat auch starke Motoren, lässt sich gut manövrieren. ‹Quest is the best›, heisst es bei uns», sagt der Ukrainer und lacht. Ab 2021 und 2022 bekommt der schnittige Dampfer jedoch Konkurrenz: Dann laufen mit der Venture und der Encore zwei neue Expeditionsschiffe der Seabourn Cruise Line vom Stapel.
Mit Schnee und Eis vertraut sind auch die Bewohner des Lavafeldes von Dimmuborgir, zumindest der Sage nach. Jeweils ab dem 12. Dezember wandern die Jólasveinar, die dreizehn Weihnachtstrolle, ins Tal, um Essen zu stibitzen oder die Menschen zu necken. Wie schwarze Skulpturen ragen die versteinerten Spitzen ihres Zuhauses in den Himmel. Das Lavafeld ist Teil des Ausflugs zum Lake Myvatn, dem Mückensee, der seinem Namen im Sommer zweifelhafte Ehre macht. Trotz der Blutsauger plantschen jeden Tag rotwangige Gäste in den Becken, die mit warmem, mineralreichem Wasser gefüllt sind. Die grösste Vulkaninsel der Welt liegt an der Nahtstelle der nordamerikanischen und eurasischen Kontinentalplatten, die jedes Jahr zwei Zentimeter weiter auseinanderdriften – und unter deren Oberfläche es brodelt und zischt. Als wäre die Erde aufgebracht, schleudert sie im Namafjall Hverir eindrücklich und in regelmässigen Abständen kochend heissen Schlamm in die Höhe.
Abenteuergeschichten beim Afternoon Tea
In der Observation Bar im zehnten Stock erzählen sich die Passagiere beim Afternoon Tea von ihren Ausflügen. Von den Wasserfällen und dem arktischen Garten, den mit Gras bewachsenen Häusern und mit Moos überzogenen Felsen. Kellner servieren Scones mit Clotted Cream; Erdbeertörtchen und Gurken-Sandwiches machen die Runde, in den Teetassen klirren silberne Löffel. Pianist John sitzt am Klavier und singt von der Liebe und fernen Ländern. Währenddessen wird im Kartenraum Bridge gespielt, gelesen oder einfach aus dem Fenster geschaut, hinter dessen Scheiben 24 Stunden lang Nature-TV läuft. Ein Vorgeschmack auf das, was die Gäste in den nächsten zwei Tagen, wenn das Schiff auf offener See nach Norwegen übersetzt, erwartet: süsses Nichtstun. Die grösste Anstrengung besteht darin, zu entscheiden, in welchem Restaurant man heute zu Abend speisen wird – im mit Kronleuchtern beleuchteten The Restaurant, im Patio neben dem Pool oder doch lieber im James-Bond-mässigen The Grill von Starkoch Thomas Keller.
Mit Zodiaks zu einsamen Inseln
Poseidon meint es gut, der Atlantik ist zahm, kaum eine Schaumkrone, die Ärger macht. Auf den Fluren stimmen Skulpturen und Bilder von norwegischen und dänischen Künstlern auf die nächsten Reiseziele ein. Vasen, Fotografien und Malereien verwandeln die Korridore und Treppenaufgänge in eine Galerie, die rund um die Uhr geöffnet hat. Auch dann, wenn die Mitternachtssonne den Schlaf zum Duell fordert. Nach dem Abendessen liegt eine Urkunde auf dem Bett: «Hiermit wird bestätigt, dass Sie den nördlichen Polarkreis überquert haben». Bevor das Schiff im norwegischen Honningsvag festmacht, dem Tor zum Nordkap, legt es noch einen Zwischenstopp ein. Es ist fünf Uhr morgens und rund dreissig Passagiere stehen in wasserdichten Overalls auf Deck fünf und warten auf Instruktionen von Iggy. Der Brasilianer verantwortet das Expeditionsprogramm «Ventures by Seabourn», das 2015 ins Leben gerufen wurde. Mit Kayaks oder Zodiaks geht es für die Passagiere dorthin, wo das knapp 2oo Meter lange Kreuzfahrtschiff an seine Grenzen stösst, in enge Fjorde und zu einsamen Inseln. Immer mit an Bord: ein Experte für Flora und Fauna, studierte Biologen, Historiker und Wissenschaftler.
Heute weist Joe aus Somerset die Gäste in die Vogelwelt der unbewohnten Insel Storstappen ein, auf der Papageientaucher, Lummen, Tordalks und Seeadler auf Klippen und Felsvorsprüngen nisten. «Inseln sind die sichersten Plätze für Seevögel, weil ihre Nester dort vor den Polarfüchsen geschützt sind», erklärt Joe, während er das Zodiak nah an das Naturschutzgebiet heransteuert.
Spionage- oder Therapiewal?
In Hammerfest, dem Zentrum der Samenkultur, hoffen die Gäste jedoch auf einen ungefiederten Besucher. Mit Ferngläsern bewaffnet stiefeln die Passagiere den Panoramaweg hoch, auf dessen Gestein noch Schneefetzen liegen, die Überbleibsel des Winters. Seit Ende April sorgt ein weisser Belugawal für Aufregung: Mit Geschirr und Kamera ausgerüstet, tauchte er im Hafen auf. Schnell kam der Verdacht auf, dass es sich um einen russischen Spionagewal handelt. «Er ist sehr zahm und scheint trainiert, inzwischen geht man aber davon aus, dass er mit behinderten Kindern gearbeitet hat», nimmt Joe den vermeintlichen Unterwasseragenten in Schutz. Und tatsächlich: Am Abend, kurz bevor die Seabourn Quest Richtung Dänemark aufbricht, zeigt sich Waldimir, dreht direkt vor dem Schiff seine Runden, als würde er eine Privatvorstellung geben. Genauso schneeweiss wie die Mitternachtssonne, die auch heute wieder die ganze Nacht am Himmel steht.
Text: Tina Bremer
Bild: Seabourn Quest
Die Seabourn Quest
Im Sommer kreuzt das Luxusschiff durch Europa, im Winter durch die Antarktis. Verpflegung – inklusive alkoholischer Getränke und sogar Champagner – ist im Preis inbegriffen. Genauso wie die abendlichen Shows und die täglichen Vorträge. Das Spa ist mit Sauna und Dampfbad ausgestattet und arbeitet mit Dr. Andrew Weil zusammen, ein Experte für integrative Medizin. Täglich finden kostenlose Kurse wie Yoga oder Vorträge zu Akupunktur oder Achtsamkeit statt.