Kuba steht für Revolutionsromantik, Musik, Lebensfreude und koloniales Flair. Wer den karibischen Inselstaat noch in seiner Ursprünglichkeit erleben möchte, muss sich allerdings beeilen.
Zerfallene Art-Déco-Villen, museumsreife Autos, Pferde, Ziegen und Hunde sogar auf der Autobahn: Die Uhren scheinen im Freilichtmuseum der kubanischen Revolution vor langer Zeit stehen geblieben zu sein. Die Folgen jahrelanger sozialistischer Politik, das US-Embargo, Misswirtschaft und Korruption haben das Land gezeichnet. Eine Fahrt durch Kuba gleicht denn auch einer Zeitreise in die Vergangenheit. Wer seine Reise in Havanna beginnt und dem Malécon, der berühmten Uferstrasse, entlangfährt, kann nur ahnen, dass die karibische Insel im 19. Jahrhundert die reichste Kolonie der Welt war. Die Hauptstadt des Landes wird gegenwärtig – wie andere der historisch bedeutsamen Stätten Kubas – mithilfe von Unesco-Geldern restauriert. Ein beachtlicher Teil von Habana Vieja sonnt sich bereits wieder im alten Glanz. In den Vierteln allerdings, in denen die meisten Einwohner der Hauptstadt leben, prägen noch immer brüchige Mauern und eingestürzte Häuser das Bild. Im Rauch stinkender Abgase chinesischer Lastwagen sieht die städtische Silhouette mancherorts gar so aus, als ob sie durch einen unbarmherzigen Fliegerangriff verwüstet worden wäre. Offensichtlich übten Misswirtschaft und Korruption ähnlich zerstörerische Kräfte aus wie ein Geschwader von Jagdbombern. Die oft besungene Lebensfreude der Kubaner steht in diesen Stadtteilen in krassem Kontrast zu ihrem entbehrungsreichen Alltag. Einen berührenden Einblick in das Leben der Menschen, die hinter diesen bröckelnden Mauern wohnen müssen, zeigt übrigens der kubanische Spielfilm «Conducta», der vor Kurzem auch in der Schweiz eine viel beachtete Premiere gefeiert hat.
In der Nacht geht die Post ab
Wenn am Abend in den Gassen der Hauptstadt afrokubanischer Sound erklingt, scheint die ganze Melancholie des beschwerlichen Alltags vergessen zu sein. Dann wird gefeiert und getanzt. Schöne Frauen, hervorragende Musiker und durchtrainierte Männerkörper sorgen bis tief in die Nacht für ausgelassene Stimmung. Wer diesen Cocktail aus Exotik, Erotik, Tanz und Musik richtig geniessen will, dem ist ein mehrtägiger Aufenthalt in Havanna zu empfehlen. Endlos lange Beine und Artistik vom Feinsten erwarten die Besucher im weltberühmten Tropicana. Die Cabaret-Show wird täglich gezeigt, und ihr Besuch ist gleichsam ein Must auf jeder Kuba-Reise. Wer eine etwas weniger traditionelle Tanzdarbietung sucht, ist im Havana Queens, ganz in der Nähe des Parque Central, gut aufgehoben. Im zweiten Stock eines stolzen kolonialen Gebäudes hat sich der Schweizer Patrick Hofer mit seiner kubanischen Frau Rosario Garcia eine neue Existenz aufgebaut. Die Show ihrer Tänzerinnen und Tänzer strahlt eine moderne Note aus, sogar Streetdancer stehen hier auf der Bühne. Die Truppe wird im September auf ihrer Europa- Tournee auch in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland zu sehen sein. In Zürich beispielsweise im September in der Maag-Halle.
Nach den durchzechten Nächten in der Hauptstadt bietet die schöne Natur im Hinterland Raum für Musse und Erholung. Für die Übernachtungen bucht man am besten private «Casas particulares». Seit einiger Zeit ist es den Kubanern erlaubt, ihr staatlich garantiertes Gehalt, das nicht viel mehr als 20 Franken pro Monat ausmacht, mit privaten Ge schäftsaktivitäten aufzubessern. Sowohl in der Hauptstadt als auch in den touristisch interessanten Zentren wie Viñales, Cienfuegos, Trinidad oder Santiago de Cuba bieten zahlreiche Familien Zimmer für Reisende an.
Von der Möglichkeit, private Hotelzimmer zu vermieten, profitieren auch einige Schweizer Auswanderer. Daniel Ochsner beispielsweise kennt man in der 500 Jahre alten Stadt Trinidad als «El Suizo». Seine Zimmer in der gleichnamigen Casa particular vermietet er mit Erfolg an individuell reisende Gäste. Seit Kurzem ist der sympathische Zürcher auch General Manager der wunderschön restaurierten Mansion Alameda. Wer in Trinidad eine gepflegte, traditionelle Unterkunft mit einem bezaubernden Innenhof mitsamt Brunnen und Garten sucht, ist hier am richtigen Ort.
Zauberhafte Landschaft um Viñales
Rote Erde, grüne Tabakplantagen und die Kegelkarstfelsen der Mogotes prägen die fantastische Landschaft der Sierra de los Organos um Viñales. Auf der Fahrt dahin nehmen wir einen gestrandeten Buspassagier mit. Leider ist unser Spanisch etwa so gut wie der schrottreife Bus, der gerade den Geist aufgegeben hat. Trotzdem reicht es für ein paar Worte und einige kleine Gefälligkeiten. Bevor wir in Viñales ankommen, haben wir unserem neuen Begleiter eine Kiste Cohibas abgekauft, einen Ausflug zu Pferd gebucht und einen Tisch in einem privat geführten Restaurant reserviert. Kubaner sind Künstler der Improvisation, vor allem wenn sie die Möglichkeit sehen, ein paar zusätzliche Pesos zu verdienen. Von sozialistischem Mief und Lethargie ist da keine Spur. Die Öffnung des karibischen Inselstaates kann für die Bevölkerung gar nicht rasch genug kommen. Der Freund unseres Mitfahrers, Pablo, den wir am Abend kennenlernen, spricht nicht nur gut Englisch, er redet auch Klartext: «Der Sozialismus hat unser Land an den Rand des Ruins geführt. Da verblassen sogar die grossen Errungenschaften im Bereich der Bildung und der Gesundheit. Wenn ein hervorragend ausgebildeter Arzt mit eigener Praxis ein monatliches Salär von maximal rund 75 Franken im Monat erreichen kann und, um das Auskommen seiner Familie zu sichern, noch Schweine züchten und Taxi fahren muss, leuchtet auch dem letzten Anhänger der Revolution ein, dass etwas faul im Staate ist.» Gegen Bezugsmarken, beziehungsweise Rationierungskarten (libreta), können die Kubaner zwar ihre Grundbedürfnisse decken. Seifen beispielsweise gelten aber bereits als Luxusartikel und können nur in der eigens für Touristen geschaffenen Währung, dem Peso Convertibile (CUC), erworben werden. Doch auch Geld hilft nicht immer. Die Regale in den verstaubten Shops sind mehrheitlich leer.
Allein, nur eine sehr kleine Minderheit der Kubaner möchte sich deshalb an die Brust der Amerikaner werfen. Fidel Castro werde letztlich auch deshalb verehrt, weil er das Land 1958 nicht nur vom unsäglichen Batista-Regime, sondern von der faktischen Herrschaft der Amerikaner und der alles kontrollierenden Mafia unter Meyer Lansky, dem legendären Kopf der «Kosher Nostra», befreit habe. Castro sei in der Optik der Bevölkerung so etwas wie ein karibischer Wilhelm Tell, mit dem Unterschied freilich, dass der kubanische Revolutionär nicht nur ein Mythos, sondern eine historische Figur ist.
Die Schlacht am Buffet
Nach so viel Nachhilfeunterricht in lokaler Geschichte sind wir reif für die Insel, zumal die Traumstrände Kubas zu den schönsten der Welt zählen. Leider setzt der Staat am Meer hauptsächlich auf All-Inclusive-Hotels. In Varadero, auf Cayo Coco und Cayo Santa Maria sind in der jüngsten Vergangenheit riesige Resorts entstanden. Da es nicht jedermanns Sache ist, täglich gegen Hunderte von anderen Pauschaltouristen in die Schlacht am Buffet zu ziehen, bucht man mit Vorteil ein Haus, das weniger als hundert Zimmer zählt, beispielsweise das Melia Buenavista auf Cayo Santa Maria. Das gepflegte, erst zwei Jahre alte Fünfsterne-Hotel liegt an drei fantastischen Stränden. Die meisten der elegant eingerichteten Zimmer bieten einen umwerfenden Blick auf das türkisblaue Meer. Der Service und die drei Restaurants sind auch für europäische Verhältnisse aus gezeichnet. Und: Die frisch zubereiteten Mojitos sind Weltklasse.
Text Markus Weber, Bilder Markus Lang
Die Lebensfreude der Kubaner ist bewundernswert und toll.
Übrigens soll Jean Ziegler zwischenzeitlich Fahrer von Che Guevara gewesen sein. Man kann sich den braven Soziologen gar nicht mit Zigarre am Steuer einer alten US-Karosse vorstellen.