Auch alte Meister waren einst junge Wilde. Innovativ, dynamisch, gewieft: So lernen wir Tintoretto in einer hochkarätigen Schau kennen, die ihm Venedig und Washington D.C. zum 500. Geburtstag ausrichten.
Das Prestige eines Künstlers lässt sich (auch) am Namen ablesen. Wer nur mit Vornamen genannt wird, zählt zu den Grossen der Kunstgeschichte: Raffael, Michelangelo, Tizian, Rembrandt. Zu dieser illustren Gruppe gehört auch Tintoretto, vor 500 Jahren als Jacopo Robusti in Venedig geboren (1518/19–1594). Den Rufnamen Tintoretto, das «Färberchen», verdankt er dem Beruf des Vaters.
Tintoretto war ein Zeitgenosse – und Rivale – von Tizian und Veronese, den beiden anderen grossen Malern im Venedig des 16. Jahrhunderts. Gegen die starke Konkurrenz behauptete er sich mit Talent, Ehrgeiz und Geschäftssinn. Das zeigen zwei Ausstellungen zu seinem 500. Geburtstag in Venedig; 2019 reisen sie, zu einer Schau zusammengefasst, nach Washington D. C. weiter. Sie vereinigen eine Reihe prächtiger Gemälde aus Museen in ganz Europa und Nordamerika und gehen spannenden Fragen nach. Was war neu an Tintorettos Malerei? Wer inspirierte ihn? Was machte ihn trotz gewichtiger Konkurrenz so erfolgreich?
Wir lernen den jungen Tintoretto als Maler kennen, der das Vorbild toskanischer Meister wie Michelangelo, Jacopo Sansovino und Francesco Salviati aufnahm und daraus einen eigenen Stil entwickelte. Prägende Elemente sind dynamische Kompositionen, bewegte Figuren und starke Hell-Dunkel-Kontraste. Sie zeigen sich am deutlichsten in den Gemälden zu religiösen und mythologischen Sujets, die für Dogen, Kirchen, Bruderschaften und führende Familien entstanden. Tintoretto war zudem ein begabter Porträtmaler. Auch hier gestaltete er das Bild lebendig: Oft hielt er die Porträtierten in einer Bewegung fest, mit direktem Blickkontakt zum Betrachter. Zum innovativen Stil kamen Tintorettos Talent, sich selbst zu vermarkten, und seine effiziente Arbeitsweise. Er hielt sich selten lange mit Vorzeichnungen auf, sondern entwarf seine Gemälde direkt auf der Leinwand. Danach malte er mit flüchtigen, oft noch gut sichtbaren Pinselstrichen. Das unterstrich die Dynamik und Lebendigkeit seiner Kompositionen – und es ging schneller. Auch nützte er Figurenstudien für mehrere Gemälde oder übermalte und zerschnitt seine Werke, um mit wenig Aufwand neue daraus zu machen.
So gelang es Tintoretto, unterstützt von einer grossen Werkstatt, ein umfangreiches und im Wortsinn bewegendes Oeuvre zu schaffen. Davon zeugen die vielen Werke, die bis heute Kirchen und Palazzi in Venedig schmücken, etwa den Dogenpalast, die Scuola Grande di San Rocco oder die Kirche Madonna dell’Orto. Die Chance, diese und über zwanzig weitere Orte zu besuchen, an denen Tintorettos Werke seit ihrer Fertigung hängen, sollte man unbedingt nutzen: Sie verleiht diesem Geburtstagsfest in Venedig besonderen Reiz.
Text: Regula Weyermann
Bild: Gallerie dell Accademia, Venedig
DIE AUSSTELLUNGEN:
Il giovane Tintoretto. Bis 6.1.2019. Gallerie dell’ Accademia, Venedig. gallerieaccademia.it
Tintoretto 1519–1594. Bis 6.1.2019. Dogenpalast, Venedig. palazzoducale.visitmuve.it
Tintoretto. Artist of Renaissance Venice. 10.3.–7.7.2019. National Gallery of Art, Washington D.C. nga.gov