Mehr als 762 000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland, einige davon als Winzer. Eine Reise nach Frankreich, Australien, Spanien und an die Mosel zu begeisternden Weinen und Eidgenossen.
Multitalent Donald Hess bringt es laut «Bilanz» auf jährlich über 20 Millionen Weinflaschen. Yello-Mann Dieter Meier sorgt für Bioweine aus Argentinien. Unternehmer und Weinliebhaber Silvio Denz engagiert sich in Frankreich, und auch Rudolf Bindella besitzt ein eigenes Weingut, allerdings in Montepulciano. Diese Liste liesse sich beliebig fortsetzen.
Hildegard Horat (62) hat bereits 1983 ihre erste Rebe gepflanzt – südwestlich von Montpellier, gut acht Fahrstunden von Zürich entfernt. «Mein damaliger Freund kannte die Gegend. Das Gut selbst war in einem desolaten Zustand. Wir mussten praktisch bei null anfangen», erzählt die Schwyzerin. Heute bewirtschaftet die einstige Stuckateurin, die sich in der Rebbauschule von Béziers weiterbildete, eine Fläche von acht Hektaren und produziert jährlich rund 25 000 Flaschen. Die steinigen Böden verursachen viel Arbeit, «deshalb haben wir Sorten angepflanzt, die uns Freude machen, also Syrah, Malbec, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc». Horat, die selbst gerne kräftige, konzentriere Rotweine mag, macht Weine, die auch nach zehn Jahren noch eine gewisse Jugendlichkeit bewahren. Ihre Reben gedeihen in Okzitanien, das an Spanien grenzt und zu den grössten Weinregionen der Welt zählt. Auch touristisch ist die Region attraktiv, mit acht Unesco-Welterbestätten, dem Canal du Midi, den Städten Toulouse und Montpellier, dem besonders gut erhaltenen mittelalterlichen Carcassonne und rund 300 Sonnentagen pro Jahr. Und Horat ist Mitbegründerin von Vinifilles. So nennen sich 18 Winzerinnen der Region, die sich zusammengeschlossen haben, um den Bekanntheitsgrad der einzelnen Güter zu erhöhen und sich gegenseitig zu helfen, etwa nach einem Hagelschlag. 2018 planen die Vinifilles, sich dem Schweizer Publikum nach 2016 ein zweites Mal mit ihren Weinen zu präsentieren.
80 Jahre alte Riesling-Rebstöcke
Der Churer Daniel Vollenweider (47) ist zumindest einem Teil des deutschen Fernsehpublikums bekannt, berichtete doch die ARD über seine Geschichte: 1999 kaufte der einstige Vermessungstechniker eine Hektare Rebfläche in der Wolfer Goldgrube in Traben-Trarbach an der Mosel. Die Lage ist so steil, dass sie nur zu Fuss erreichbar und zu bewirtschaften ist. Heute ist das Weingut auf fünf Hektaren angewachsen, 80 Prozent davon in der Goldgrube mit bis zu 80 Jahre alten Riesling-Rebstöcken, die zu den besten an der Mosel zählen. «Das Gebiet habe ich dank meinem jetzigen Importeur Max Gerstl kennengelernt. Er hatte mir einmal eine Flasche Riesling vorbeigebracht und fand, die Weine seien sehr spannend», erzählt Vollenweider. Im Jahr 2000 absolvierte der Bündner ein Praktikum bei Dr. Loosen an der Mosel. Bald ergab sich eine Möglichkeit, sich mit relativ wenig Geld in diesem harten Beruf selbständig zu machen. Vollenweider sagt: «Ich hatte nie damit gerechnet, dass ich hier bleibe. Das Winzern ist finanziell eine Gratwanderung mit vielen Risiken, aber ich habe mir mit der Selbständigkeit meinen Lebenstraum erfüllt.»
Der Pinot-Noir-Liebhaber, der bei Georg Fromm in der Bündner Herrschaft und in Neuseeland arbeitete, setzt ganz auf Rieslinge, die nicht in neuen Barriques ausgebaut und trotzdem körperreich sind. «Wir haben saure Böden. Das gibt den Weinen eine spezielle Aromatik», erklärt Vollenweider. Seit 2009 sind seine Weissweine zudem bewusst trocken und stark von den Schieferböden geprägt.
Seine neue Heimat habe sich in den vergangenen Jahren als Ferienregion enorm entwickelt, sagt Vollenweider. Als bestes Haus in Traben-Trarbach bezeichnet er das Jugendstilhotel Bellevue mit dem Restaurant Claus Feist. Preiswerter und mit «grossartigem Frühstück» sei der Trabener Hof. Das Lieblingsrestaurant des Bündner Winzers: der «Reiler Hof» im Nachbarsort Reil.
Biodynamisch in Australien
Die Weintrauben von Marianne Herren Lanz respektive von Lanz Vineyards reifen im australischen Barossa Valley. Das Tal gilt als älteste Region im australischen Weinbau. Hier haben Legenden wie Wolf Blass oder Peter Lehmann den Anbau geprägt. «Als Berner sind mein Mann Thomas und ich schon früh ausgewandert – an die HSG nach St. Gallen, um zu studieren, und nach Zürich, um zu arbeiten», erzählt Marianne Herren Lanz. Der «Down Under»-Virus habe sie bereits in den Siebzigerjahren gepackt, aufgrund der Willkommenskultur und Freundlichkeit, der freiheitlichen Denkart, des Humors und des Pioniergeistes der Australier. Beim Aufbau von Lanz Vineyrds halfen australische Freunde. David Paxton, ein überzeugter Biodynamiker, sein Sohn Michael und Richard Freebaim zeichnen als «Winemaker» verantwortlich. Marianne Lanz erklärt: «Ganz ausgewandert sind wir nicht. Unsere Jungs sollten in der Schweiz aufwachsen.»
Lanz Vineyards dehnt sich auf 16 Hektaren aus. Hauptsächlich wird Shiraz an gebaut, aber auch Mourvèdre und Grenache. Daraus werden die beiden Hauptweine der Region gekeltert: der Barossa Shiraz und der GSM, eine Assemblage aus Grenache, Syrah und Mourvèdre. «Die Zeiten von schweren alkoholischen Weinen sind vorbei. In Australien kommen immer mehr bekömmliche Weine mit 13,5 Prozent Alkoholgehalt auf den Markt. In der Schweiz ist das leider noch nicht bekannt», sagt Lanz.
Die Weine von Lanz Vineyards erinnern an Tropfen aus kühleren Gebieten. Lanz begründet: «Wir steuern den Erntezeitpunkt sehr genau und keltern die verschiedenen Lagen separat. Auch ein reiner Shiraz ist ein Blend aus Shiraz von diversen Lagen.» Lanz Vineyards stehen für sortentypische, authentische Weine mit Eleganz. Das sieht auch James Halliday so. Der australische Weinkritiker bewertet die Lanz-Weine regelmässig mit 93, 94 bis 97 Punkten. Der Jahrgang 2012 hat an der Expovina zwei Goldmedaillen geholt. Auf ihre Pläne angesprochen, sagt Lanz: «Nach den positiven Erfahrungen mit einem biologisch bewirtschafteten Teil werden wir vermehrt auf biodynamisch umstellen. Mit neuen Sorten zu experimentieren, überlassen wir anderen. Der Shiraz ist das, was das Barossa ausmacht.»
Von Zürich-Höngg nach Spanien
Mit teils denselben Traubensorten wie die Australien-Schweizer arbeitet der Önologe Martin Rüegsegger aus Rüttenen SO (62), allerdings in Utiel-Requena im Hinterland von Valencia. In dieser aufstrebenden Weinregion befindet sich die Finca Casa Lo Alto auf einer Anhöhe von 650 Metern über Meer. Rüegsegger verantwortet die Finca seit 2004. Vorher leitete er die Domaine Zweifel in Zürich-Höngg. In Spanien kämpft der Solothurner mit einer Reihe von Herausforderungen: 2500 Sonnenstunden sowie weniger als 450 Millimeter Regen pro Jahr, Temperaturen gegen 36 Grad im Sommer und kalte Winter.
Das bereits 1796 gegründete Weingut dehnt sich auf 168 Hektaren aus, wovon 59 Hektaren aktiv mit Reben bewirtschaftet werden. «Weil Wasser Mangelware ist, ist die Vegetation nicht so üppig wie in der Schweiz», stellt Rüegsegger fest. «Die Böden stammen aus Meeressedimenten, die vergleichbar mit dem Jura sind.» Der Öno-loge lebt rund 180 Tage im Jahr in Spanien. «Meine Scholle habe ich jedoch noch immer in der Schweiz.» Seine Tropfen zeigen sich dank dem sonnenreichen Klima sehr fruchtbetont, «und ich schaue, dass die Weine relativ viel Fleisch am Knochen haben. Man merkt den Weinen nicht an, dass sie teilweise einen Alkoholgehalt von 15 Prozent haben. Sie präsentieren sich dicht und harmonisch.»
Rüegsegger, der seine Pensionierung vorbereitet, hat neue Parzellen im Fokus und will das Weinmachen zusammen mit vier Festangestellten weiter optimieren. «Die Qualität kommt aus dem Rebberg», ist er überzeugt. Auch als Renter werde Spanien ein Land sein, dass er immer wieder gerne besuche, ist er sich sicher. Dann hat Rüegsegger vielleicht auch Zeit, einmal zu den anderen Schweizer Weinmachern im Ausland zu reisen.
Von Reto E. Wild