Paul Cézanne gilt als Vater der Moderne. Eine hochkarätige Ausstellung in London stellt ihn nun auch als innovativen Porträtmaler vor. Besonders interessant sind die Porträts seiner Frau Hortense.
Pablo Picasso und Henri Matisse, die wohl bekanntesten europäischen Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nannten Paul Cézanne (1839–1906) «unser aller Vater». Kunstgeschichte schrieben etwa Cézannes Stillleben: Indem er Äpfel und Krüge, Tische und Tücher aus der Zentralperspektive befreite und vielansichtig darstellte, bereitete er den Boden für den Kubismus. Berühmt sind auch die Ansichten der Mon Sainte Victoire: Über achtzigmal malte der Franzose den markanten Berg nahe seiner Heimatstadt Aix-en-Provence.
Weniger bekannt ist Cézanne als Porträtist, obwohl er im Lauf seines Lebens fast 200 Porträts schuf. Eine hochkarätige Ausstellung mit Leihgaben aus aller Welt füllt nun diese Lücke: «Cézanne Portraits» verfolgt die Entwicklung des Künstlers als Porträtmaler von 1860 bis 1906 und demonstriert, dass er auch in diesem Bereich ein Pionier war. Die Schau entstand in Zusammenarbeit dreier bedeutender Museen: Sie war im Sommer im Musée d’Orsay in Paris zu sehen, gastiert von Oktober bis Februar in der National Portrait Gallery in London und reist danach weiter in die National Gallery of Art in Washington D.C.
Eine schwierige Beziehung
Die Ausstellung zeigt, dass Cézanne zunächst vor allem Menschen porträtierte, die ihm nahestanden: Familienmitglieder, befreundete Künstler, Sammler. In den späten Jahren treten häufiger unbekannte – oder jedenfalls unbenannte – Modelle auf, etwa Bauern aus der Umgebung oder Hausangestellte wie der Gärtner Vallier. Weitaus am häufigsten stellte Cézanne j edoch sich selbst und seine Gefährtin Hortense Fiquet (1850–1922) dar. Er malte 26 Selbstporträts, wie etwa Portrait de l’artiste au bonnet blanc und 29 Porträts von Hortense. Dazu kommen Dutzende von Zeichnungen und Skizzen.
Das Paar verband eine langjährige, aber schwierige Beziehung. Hortense war ab 1869 Modell und Lebenspartnerin des Malers, was er seiner wohlhabenden Familie lange verschwieg. Die Heirat erfolgte erst 1886, vierzehn Jahre nach der Geburt des gemeinsamen Sohns Paul. Vor und nach der Hochzeit lebte das Paar, offenbar auf Betreiben Cézannes, oft getrennt. Die Porträts von Hortense sind heute in alle Winde zerstreut. Die Ausstellung in London bietet die Gelegenheit, über die Hälfte von ihnen Seite an Seite zu betrachten.
Formal sind die Bildnisse von Madame Cézanne klassische Porträts: Brustbilder oder Kniestücke, in denen Hortense als Einzelfigur vor neutralen Hintergründen oder in Innenräumen auftritt. Die Darstellungsweise unterscheidet sich aber deutlich von der damals üblichen Art. Anders als seinen Zeitgenossen ging es Cézanne offensichtlich nicht darum, die Persönlichkeit seines Modells zu erfassen, seine Frau möglichst naturalistisch darzustellen oder gar zu idealisieren. Die gemalte Hortense ist im Gegensatz zum gängigen Frauenbild ihrer Zeit weder schön noch sinnlich. Ihr Blick ist melancholisch oder abwesend, der Gesichtsausdruck undurchdringlich, die Körperhaltung passiv.
Konstrukte aus Farben und Formen
Cézanne zeigt uns Hortense nicht als Frau aus Fleisch und Blut, sondern als malerisches Konstrukt aus Farbflecken und geometrischen Formen. Das wird bereits in einem der frühsten Hortense-Porträts der Ausstellung deutlich: «Madame Cézanne à la jupe rayée». Gesicht, Jacke und Jupe sind aus vielfach abgestuften Farbflächen und -flecken aufgebaut, wobei der Maler die Farbe von oben nach unten immer transparenter auftrug. Die Frauenfigur erscheint gleichzeitig monumental und – wegen der fehlenden Tiefe ihres Schosses – weitgehend flach. Räumlichkeit schaffen vor allem die hintereinander gestaffelten Farbflächen: die gelb-grüne Wand, das Rot des Sessels, die kühlen Blau- und Grüntöne der Kleidung. Ein noch stärker abstrahiertes Bild von Hortense malt das kleinformatige «Portrait de Madame Cézanne». Das Gesicht ist weitgehend auf geometrische Grundformen reduziert. Nur der gewellte Blusenrand und der Kragen mildern die Strenge der fein austarierten Komposition.
In «Madame Cézanne au fauteuil jaune» scheint die stoisch blickende Hortense nur grob aus Farbe und Form gehauen. Die unterschiedlichen Verkippungen von Figur, Gegenständen und Raum irritieren das Auge. Zudem verzichtete Cézanne ganz auf eine sinnliche Wiedergabe von stofflichen Eigenschaften. Doch warum malte Cézanne die Frau, die er physisch nur zeitweilig an seiner Seite duldete, so oft? Wir können nur Vermutungen anstellen. Für Cézanne Modell zu sitzen, war offenbar mühselig. Er arbeitete sehr langsam, wobei er von seinen Modellen verlangte, dass sie während den langen Sitzungen so «reglos wie ein Apfel» verharren sollten. Die wenig schmeichelnden Bildnisse, die er so langsam aus Farben und Formen aufbaute, dürften viele zahlende Auftraggeber abgeschreckt haben. Hortense Fiquet liess sich von diesen Widrigkeiten nicht vergraulen und sass ihrem Mann über die Jahre immer wieder Modell. Ihre Geduld zahlte sich letztlich aus: Die Bildnisse machen Madame Cézanne bis heute so berühmt wie unsterblich.
Von Regula Weyermann, Bilder: Museum of Fine Arts, Boston & The Metropolitan Museum of Art, New York
Die Ausstellung «Cézanne Portraits» war bis 11.2.2018 in der National Portrait Gallery in London zu sehen, danach vom 25.3.2018 bis 1.7.2018 in der National Gallery of Art in Washington D.C.
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