Die Inselgruppe im Südpazifik ist noch kaum erschlossen, aber der Mensch hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Mit einem Meerespark will Neukaledonien die einzigartige Unterwasserwelt bewahren.
Mickaël Di Costanzos Kajak gleitet lautlos auf die Rückenflosse eines Riffhais zu. Der Raubfisch hat ihn noch immer nicht bemerkt. Jetzt ist er nur noch wenige Meter entfernt. Als Di Costanzo vorsichtig das Paddel senkt, schnellt der Hai mit einem mächtigen Schlag der Schwanzflosse in die Tiefe und verschwindet hinter der Riffkante. Das Kajak schwankt von der Fluchtwelle und steuert dann seelenruhig auf den Strand zu. Abenteuer-Guide Di Costanzo erschrecken wilde Tiere nicht. Er ist durch Piranhaflüsse im Amazonasgebiet Ecuadors gepaddelt und arbeitete jahrelang als Expeditionsführer im arktischen Spitzbergen. Was ist schon ein Riffhai, wenn man Eisbären und Walrosse im Fahrwasser hatte?
«Als ich das Angebot bekam, in Neukaledonien zu arbeiten, wusste ich, das passt», sagt der Franzose, der sonst nur ungern viele Worte verliert. Er hat auf der entlegenen Inselgruppe im Südpazifik ein neues Zuhause gefunden. Hier hat er die Welt für sich, kann Abertausende Paddelschläge lang einfach nur schweigen und sich hin und wieder eine Zigarette drehen, während der Blick die Steilküste entlangschweift oder sich am Horizont verliert.
Im Gebüsch hinter dem Strand räumt Di Costanzo Kokosnüsse aus dem Weg, um Platz für die Zelte zu schaffen. Zwischen zwei Palmen spannt er unter einer Regenplane seine Hängematte auf. «Nach einem langen Tag auf dem Meer, die beste Art zu schlafen», sagt er. Aus seinem Kajak kramt er Kaffeepulver, Konservendosen und Obst hervor. Unter den Kokospalmen findet sich genügend Totholz, um ein riesiges Funken sprühendes Lagerfeuer zu entfachen. Kein Auge auf der Welt kann es sehen.
Wer das Alleinsein in menschenleeren Landschaften liebt, wird auch Neukaledonien lieben. La Côte Oubliée, die Vergessene Küste, nennen die Neukaledonier den Südosten ihrer Hauptinsel Grande Terre. Von der Welt vergessen scheint indessen der gesamte Archipel. Selbst im Mutterland Frankreich haben viele noch nie von der Inselgruppe zwischen Australien und den Fidschi-Inseln gehört. Dabei ist Neukaledonien selbst auf einer Weltkarte kaum zu übersehen. Allein die Hauptinsel des französischen Überseegebiets ist mehr als 400 Kilometer lang und doppelt so gross wie Korsika. Zu dem auf über 1,3 Millionen Quadratkilometern weitverstreuten Archipel gehören unter anderem auch die Belep-, Chesterfield- und Loyalitätsinseln sowie die touristisch bekanntere Île des Pins.
Schützenswerte Atolle
«Im Pazifik gibt es kaum andere, so wenig erschlossene Inseln», sagt Di Costanzo, «aber auch hier hat der Mensch bereits überall Spuren hinterlassen.» Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden etwa für den Nickel-Abbau auf Grande Terre ganze Bergkämme abgetragen. Die Auswirkungen auf das einzigartige Ökosystem sind mancherorts katastrophal. Die roten Steinbrüche klaffen wie hässliche, ausgetrocknete Wunden zwischen den Urwäldern. Abfallstoffe werden ins Meer gespült und zerstören die Korallenriffe um die Flussmündungen. Immer mehr Frachtschiffe durchqueren die Gewässer um Neukaledonien. Hochseefischerboote haben es auf die reichen Thunfischvorkommen abgesehen. Mit dem immer stärker werdenden Seeverkehr wächst auch die Bedrohung der entlegensten Gegenden der Erde.
Im April 2014 hat die Regierung Neukaledoniens nun den grössten Teil des Meeres unter Schutz gestellt. Mit einer dreimal so grossen Fläche wie Deutschland ist der Parc Naturel de Mer de Corail das grösste, neu geschaffene Meeresschutzgebiet der Erde. Es soll den Lebensraum von unzähligen Tierarten bewahren, darunter 25 Meeressäuger, 48 Hai- und 19 Vogelarten, die auf unbewohnten Atollen brüten.
«Die Einrichtung des Parks ist nur ein erster Schritt, um das riesige Gebiet effektiv zu überwachen», sagt Lionel Gardes, der von Neukaledoniens Hauptstadt Nouméa aus den neuen Park verwaltet. «Wir möchten in Zukunft noch strengere Schutzzonen einrichten, um die Artenvielfalt zu erhalten. Andere Gebiete sollen auch für den Ökotourismus zugänglich sein.»
In Neukaledonien können Taucher 146 verschiedene Typen von Korallenriffen erkunden, die grösste Vielfalt weltweit. Die Unesco hat die neukaledonischen Lagunen bereits 2008 als einzigartiges Welterbe ausgezeichnet. Anders als vielerorts am Great Barrier Reef hat man als Schnorchler oder Taucher selbst die Korallengärten direkt vor Nouméa meist für sich allein. «Wir werden hier nie einen Massentourismus erleben», sagt Gardes. Für Europäer ist die Inselgruppe zu weit, Australier und Neuseeländer fürchten sich vor dem Französischen und Asiaten reisen lieber nach Bora Bora, wo die Überwasserpavillons der Honeymoon-Luxus-Hotels inzwischen die Bilderbuchlagune umzingeln, als müssten sie einen Schutzwall vor einfallen den Backpackern bilden. In Neukaledonien gibt es bisher nur um die Hauptstadt Nouméa und auf der Île des Pins grössere Hotelanlagen. Der Nordosten von Grande Terre ist dagegen bis heute Stammes gebiet. Steil fallen die bewaldeten Hänge ins Meer ab. Davor ragen bizarr geformte Inseln aus der Brandung auf. Von den Felswänden stürzen meterhohe Kaskaden. Die einfachen Hütten der Insulaner sind in der dichten Vegetation und in engen Tälern versteckt. Kaum lässt sich erahnen, dass diese Region seit Jahrtausenden von Menschen besiedelt ist.
Am Strand von Ouvéa ist Neukaledonien dann doch ganz Südseeidylle: strahlend türkises Meer, blendend weisser Sand und in lauer Meeresbrise wehende Kokospalmen. Südliche und Nördliche Plejaden nennt man die unbewohnten Inselchen, die sich wie ein Sternenband an den Enden Ouvéas im Ozean verlieren. Für die einheimischen Fischer liegen hier die besten Fanggründe. «Die Inseln gehören seit vielen Generationen den Bewohnern von Ouvéa», sagt Sivitongo Georgi, ein einheimischer Fischer mit der Statur eines Sumo-Ringers. Immer wieder wollten Investoren ein Hotel oder doch wenigstens eine Pension mit einer Reihe Bungalows entlang der puderzuckerfeinen Sandstrände der Plejaden planen. Aber die Fischer von Ouvéa liessen sich auf keine Verhandlungen ein. «Die Inseln sollen so bleiben wie sie sind», sagt Georgi. «Was bringen uns ein Hotel und viele Touristen, wenn am Ende das Meer verschmutzt ist und es keine Fische mehr gibt? Auf Ouvéa wird es soweit nicht kommen.»
von Winfried Schumacher
Hallo:) Vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag. Da ich nächsten Monat nach Neukaldonien gehen will, hat mir dieser Bericht sehr viel geholfen. Da ich besonders gerne tauche, freue ich mich natürlich, dass es dort 146 verschiedene Korallenriffen gibt.
Nun kann ich mich noch mehr auf diesen wunderbaren Ort freuen.
Freundliche Grüsse
Christina