Baywatch in Florida. (Bild: iStock)
Wo Florida leicht, lässig und ohne Schminke ist: An der Küste des Golfs von Mexiko, auf der Pinellas-Halbinsel vor Tampa.
Arbeiten sei nur etwas für Leute, die nicht fischen können und sich ihr Abendessen im Supermarkt kaufen müssen, sagt Bill. Wie sein Freund John ist er längst Rentner, aber immer noch fit und passionierter Angler. Die Karibikküste der Pinellas-Halbinsel in Florida ist nicht nur für die beiden ein Himmel auf Erden. Mehr als 300 Fischarten leben im Golf von Mexico, Bait und Tackle Shops, also Anglergeschäfte, findet man an jeder Ecke. John holt seine Schnur ein und sagt: «Schauen Sie, dort!» Dort ist keine 50 Meter entfernt: Fünf, sechs Delfine gleiten ruhig durchs Wasser. «Ich frage mich, warum die Leute in die Wasserparks strömen, 50 Dollar und mehr ausgeben, um Delfine zu sehen? Hier bei uns, am Pier von Fort de Soto, ziehen sie täglich vorbei, undressiert, mit all ihrer Eleganz – und kostenlos.» Bill nickt zustimmend: «Wohl wahr!»
Fort de Soto ist nicht nur für Angler ein Top-Spot, denn Fort de Soto hat einen dieser endlosen Schneeweiss-Strände. Der als Dr. Beach bekannt gewordene Strandtester Stephen Leatherman listet Fort de Soto aus den insgesamt sechzig Kilometer langen Pinellas-Stränden und den zwanzig vorgelagerten Barrier Islands regelmässig unter die US-Top-Ten. Caladesi Island ist auch immer wieder dabei, Sand Key hatte ebenfalls bereits die Ehre. Kaum einer der Strände hat Palmen, denn Pinien bestimmen das Bild. Pinellas kommt schliesslich von Punta Pinal, dem Pinienpunkt, wie spanische Seefahrer den Küstenstrich zu Beginn des 16. Jahrhunderts nannten.
Ewiger Sonnenschein
Auch wenn das Wetter neuerdings immer wieder Kapriolen schlägt, auf der Pinellas-Halbinsel mit den Zentren Clearwater im Norden, St.Petersburg im Süden und Tampa in der Bucht sowie den weitgehend naturbelassenen Barrier-Inseln gilt weiterhin eine weitgehende Sonnengarantie. Die Printausgabe des «St.Petersburg Evening Independent» gibt es nicht mehr, aber das Blatt schrieb Geschichte. Von 1910 bis 1986 galt die Regel: Scheint die Sonne über Pinellas einmal nicht, gibt es die Zeitung umsonst. Passiert ist das in 76 Jahren 295-mal, also im Durchschnitt pro Jahr keine vier Mal. Vom 9. Februar 1967 bis zum 17. März 1969 zeigte sich die Sonne jeden Tag und die Menschen mussten ihre Zeitung mehr als zwei Jahre bezahlen, was sogar einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde wert war. Jährlich reisen fünf Millionen Gäste an Floridas Golfküste. Miami, vor allem aber Orlando und Disney, schmunzeln über solch mickrige Zahlen. Verbucht doch allein Disney World Jahr für Jahr gut 17 Millionen Besucher in einem einzigen Park. Doch zurzeit ist Weitläufigkeit gefragt, Naturerlebnisse, Delfine, Strände, Sonne. Keine perfekt funktionierende Freizeitindustrie, sondern Beschaulichkeit mit Bill und John statt Micky Maus und Goofy.
Zwischen St.Petersburg und Clearwater regieren die ewig scheinende Sonne, die Strände mit puderzuckerweissem Sand, der so fein ist, dass er unter den Füssen knirscht, und für Kunstbeflissene auch noch Salvador Dalí. Das grösste und bedeutendste Museum mit Werken des exzentrischen spanischen Malers hat Weltklasseformat. Auch die architektonischen Spitzenleistungen können sich sehen lassen. Ob es nun die Skyline von Tampa ist, die futuristische Sunshine Skyway Brücke, die auf 7 Kilometer Länge nach Süden führt, oder die Zuckerbäckerbauweise des «Don Cesar»: Die flamingofarbene «Pink Lady» ist ein historisches Hotel aus den 1920er-Jahren. Al Capone ging ein und aus, Robert Di Niro drehte darin, Tom Petty & the Heartbreakers rockten auf dem Dach und alle Besucher geniessen Geschichte und Geschichten ebenso wie Luxus.
Zimmer gibt es in der Regel allerdings erst ab 500 Dollar. Für dieses Geld könnte man auch fünf Tage in einem netten Cottage direkt am Strand wohnen. Um hundert Dollar pro Bungalow kostet die Nacht mit Schlaf- und Wohnzimmer, Küche und Bad. Wer in der zweiten Reihe nächtigt oder auf ein einfaches Motelzimmer zurückgreift, findet oft schon Angebote ab 50 Dollar pro Nacht. Die Sonne macht keinen Unterschied und versinkt jeden Abend für jeden Besucher gleich rund und rot in den Golf von Mexiko. Am vielerorts mehr als hundert Meter breiten Strand joggen Sportler vorbei und ziehen Pelikane vor orangenem Hintergrund ihre Kreise. Pärchen sitzen eng umschlungen im feinen Sand und warten auf den Sonnenuntergang: das schönste Spektakel, das kein Themenpark der Welt so perfekt inszenieren kann wie die Natur. «Mother Nature does the best job of all», sagt einer der Sonnenanbeter und gönnt sich einen Schluck Bud.
Verlockendes Lebensgefühl
Dass das Lebensgefühl im Westen Floridas stimmt, zeigt auch die Tatsache, dass sich so unterschiedliche Landsleute wie Schotten und Griechen nebeneinander angesiedelt haben: in einer 50 000-Dollar-Hütte oder in der Fünf-Millionen-Villa – je nach Portemonnaie. Die Schotten blasen in Dunedin beim jährlichen Umzug immer noch ihren Dudelsack. Die Griechen tauchen bei Tarpon Springs in altmodischen Anzügen und mit schweren Kupferhelmen nach Naturschwämmen, tischen in den Tavernen frischen Fisch auf und tanzen Sirtaki. Auch Bill und John sind Zugereiste. Bill, 72, kommt aus Minneapolis, John, 71, aus Detroit. Die beiden Angler am Pier von Fort de Soto sind inzwischen umringt von Dutzenden von Pelikanen und Silberreihern.
Wasser beherrscht die Szenerie. Die Bucht, die Wasserstrassen, das offenen Meer. Rund um die Tampa Bay ist ein Boot genauso wichtig wie ein Auto. In den Intracoastal Waterways, den Gewässern zwischen dem Festland und den Barrier-Inseln, sieht man häufig Delfine. Im offenen Meer messen sie sich dann mit den Sunnyboys auf ihren lauten Waverunnern. Über die Howard Franklin Bridge, die zusammen mit zwei weiteren Brücken Floridas grösste Meeresbucht überspannt, kommt man nach Tampa, die Stadt mit mächtigen Wolkenkratzern im Finanz- und Geschäftsviertel sowie Porsches und BMWs im In-Viertel Ybor City, wo Künstler in Lofts kreativ sind und die ursprüngliche Zigarrenfabrik kaum noch als solches erkennbar ist.
Tampa ist der beste Ausgangspunkt, falls man doch nicht ganz ohne die Disney-Maus auskommt: In 90 Minuten ist man in Orlando, eine halbe Stunde dauert die Reise zu Bush Gardens, einem der grössten Tier- und Themenparks in Florida. Dort gibt es Nashörner und Flusspferde, Löwen und Tiger, Alligatoren und Delfine. Sogar Bill und John waren schon dort – «mit den Enkelkindern», sagt Bill. Beide lachen lauthals. «Da hast du als Opa einfach keine Chance.» John blickt Bill von der Seite an: «Aber Fort de Soto ist doch trotzdem schöner. Viel schöner sogar.» Bill nickt zustimmend: «Wohl wahr!»
Text: Jochen Müssig
Gut zu wissen
Anreise: Edelweiss fliegt nach Tampa Bay. flyedelweiss.com
Reisezeit: März und April sind mit 25 Grad sehr empfehlenswert. Die Hauptsaison zwischen Dezember und Februar bringt viele Touristen und hohe Hotelpreise. Hurrikan-Saison ist Juni bis Oktober.
Unterkünfte: Das «Don Cesar» schreibt seit 1928 Geschichte. doncesar.com Auch ein Aufenthalt in einem Beach Cottage lohnt sich. vrbo.com
Mietwagen: Unbedingt von zu Hause mit allen nötigen Versicherungen buchen. Ein Kleinwagen kostet ab 40, ein Cabrio ab 110 Franken pro Tag.
Weitere Auskünfte: visittampabay.com