Zu Wasser und zu Pferd im chilenischen Nationalpark Torres del Paine.
Patagonien verzaubert durch seine Weite, die spektakulären Dreitausender, von denen sich die Gletscher wälzen, und eine unglaublich reiche Tierwelt. Das Wetter sei unberechenbar, heisst es, doch kann man durchaus Glück haben. Und wohnt man in der exklusiven Explora-Lodge, ist auch ein Regentag keine Katastrophe.
Lohnt sich die 30-stündige Reise in ein Land, das Weltenbummler von Magellan über Darwin und Melville bis Bruce Chatwin alle übereinstimmend als harsch und lebensfeindlich charakterisieren, als grau und neblig beschreiben, windgepeitscht und von kaltem Regen durchtränkt? Aufgrund ihrer Schilderungen von Patagonien habe ich Eisregen, Sturmwinde und einen verschlossenen, durch den täglichen Kampf um die Existenz verhärteten Menschenschlag erwartet. Doch es sollte ganz anders kommen – ob das wohl die Ausnahme von der Regel war?
Unbarmherzig und verwundbar
Unser Fahrer, ein waschechter Patagonier mit indianischen Gesichtszügen ist freundlich und gesprächig. So vergehen die fünf Fahrstunden vom Flughafen Punta Arenas – er ist einer der südlichsten der Welt – in den Nationalpark Torres del Paine wie im Flug. Das schnurgerade, helle Teerband führt durch flaches, graues Land, an den graugrünen Meeresbuchten der Magellanstrasse vorbei. Schmutzige Schafe grasen zusammen mit ihren weissen Lämmern verstreut zwischen den silbernen, niederen Büschen. Am Strassenrand leuchten gelber Löwenzahn und rote Flecken niedriger Sauerampfer. Der Horizont ist gezeichnet von Vertikalen, darüber hängt ein schwerer, grauer Himmel.
Endlos lange Wintertage
Wir fahren an Wäldern vorbei wie aus dem Land der Hobbits: ein Gewirr aus silbernen Skeletten, die aus einem braunroten Sumpf staken; dichte, hellgrüne Bartflechten hängen von den Ästen; vorbei an einsamen, niedrigen Estanzias aus weiss gestrichenem Wellblech mit bunten Dächern, unter deren dunklen Fenstern sich kleine Blumenbeete ducken; vorbei an Gauchos zu Pferd, die mit ihren Hunden kleine Rinderherden entlang der Strasse treiben. Auf halbem Weg kehren wir in einem Gasthaus aus der Gründerzeit ein, mit hohen Räumen und altmodischem Mobiliar. Noch weit entfernt, wo sich im Norden die Wolkenbänder an den letzten Andenausläufern zu stauen beginnen und in Wirbel übergehen, ist unser Ziel.
Es ist bereits Abend, bis wir am Ende der kurvenreichen Piste unser Hotel erreichen, und nach meinem Zeitgefühl müsste es schon längst dunkel sein, doch die Sonne steht noch hoch über dem Horizont. Erst gegen elf verhüllt die Dunkelheit die eindrückliche Kulisse mit türkis- über azur- bis smaragdfarbenen Seen, samtgrünem, rundgeschliffenem Hügelvorland und den markanten, von Gletschern modellierten drei Hörnern mit ihren dunklen, zackigen Lavaspitzen. Mitten in dieser Szenerie thront der flache, weisse Riegel unseres Hotels kühn über einem brodelnden Wasserfall.
Brandversehrte Schönheit
Nieselregen begleitet uns, als wir am nächsten Morgen, wasserdicht verpackt, den hoteleigenen Katamaran besteigen und auf dem spiegelglatten Lago Pehoe davongleiten. Auf der anschliessenden mehrstündigen Wanderung zum Grey-Gletscher bin ich dankbar für den feinen Regenschleier, der die Sicht vernebelt. Ein Waldbrand hatte hier nämlich gewütet und 18 000 Hektaren Natur verwüstet: schwarze Baum- und Buschskelette soweit das Auge reicht. Die berüchtigten patagonischen Winde hatten nicht nur das Feuer angefacht und brennende Büsche über die natürlichen Wasserbarrieren der Seen getragen, sondern auch die fruchtbare Asche weggeblasen. Durch die kurzen Vegetationsperioden in diesen Breitengraden braucht die Flora Jahrhunderte, bis sie sich wieder erholt. Mit kleinen Aufforstungsprojekten versucht man nun der Natur in diesem Unesco-Biosphärenreservat etwas nachzuhelfen.
Neben den wunderbaren Ausblicken auf die Seen und Bergpanoramen heitern nur die gelegentlichen Frühlingsblumen, die neben den verkohlten Stümpfen aus der verbrannten Erde spriessen, das Gemüt etwas auf. Das Bedauern steigert sich noch, als wir das Camp verlassen, in dem der Brand durch gedankenlose Besucher verursacht wurde: Nun tauchen wir ein in eine Landschaft in frischem Hellgrün, wo der Zimtbaum duftet, Bächlein gurgeln und Vögel zwitschern. Hinter einer Wegbiegung stossen wir in dieser Idylle sogar auf einen der raren Huemul-Hirsche mit einem neuen, noch bastbedeckten Geweih. Es ist Paarungszeit, und seine Aufmerksamkeit richtet sich einzig und allein auf das grossäugige Weibchen, das ohne Hast seiner Wege geht.
Noch eine Wegbiegung weiter und der Blick öffnet sich auf den Grey-Gletscher und den See, in den er mündet. Riesige, bizarr geformte Eisberge treiben in dem milchig-trüben Wasser und dazwischen wie ein Stecknadelkopf mit zwei Bugwellen das Kursschiff, das in der Hochsaison zweimal täglich das südliche Ufer des langgezogenen Lago Grey mit dem nördlichen verbindet. Von nahem entpuppt sich die vermeintliche Nussschale dann aber als dickwandiger kleiner Kraftprotz, mit dem es sich ohne Bedenken bis nah an den Gletscherabbruch manövrieren lässt.
Aquamarin und blau marmoriert, türmt sich das Eis dreissig Meter vor uns in die Höhe. Risse, Verwerfungen und Löcher zeugen von den gewaltigen Kräften, die hier am Werk sind. Die Oberfläche ist zernarbt und geschunden. Einen sehr weiten Weg hat das Eis schon hinter sich, denn die sechs Kilometer breite Zunge ist ein Ausläufer des grossen inländischen Eisfeldes. Es ist neben der Antarktis und Grönland die drittgrösste Ausdehnung an ewigem Eis auf Erden. Innerhalb Chiles bildet es ein unpassierbares Hindernis, wenn man vom Norden des Landes in den Süden gelangen will. Man muss es entweder westlich über das Meer oder östlich über argentinischen Boden umfahren oder überfliegen. Doch ganz so ewig, wie es sein Name will, ist dieses Eis nicht: Immer wieder kalbt der Gletscher grosse Brocken, die ins Wasser donnern. Eine Miniatur- Eisscholle treibt auch in unserem Pisco sour, dem chilenischen Nationalgetränk aus Brandy, Limone und Zucker, den wir mit klammen Fingern, dem eisigen Fahrtwind trotzend und den immer kleiner werdenden Gletscher im Blick, auf der Rückfahrt nippen.
Solche und andere kleine und grosse Extras sind das Markenzeichen des chilenischen Reiseunternehmens Explora, das mit seinen drei exklusiven Hotels in der Atacama-Wüste auf den Osterinseln und eben in Patagonien höchste Massstäbe setzt. Zwar hat es in den Zimmern weder Fernseher noch Minibar, doch ist die in den Preisen inbegriffene Auswahl an täglichen Ausflügen, abendlichen Vorträgen, Wellnessangeboten und Drinks an der Bar so vielfältig, dass jeder auf seine Rechnung kommt. Treu seinem Credo «hinaus in die Natur», stellt Explora seinen Gästen ein Team von jungen und motivierten Guides zu Verfügung, die bereit und fähig sind, auch die individuellsten Wünsche in die Tat umzusetzen. Alle Gäste bleiben mindestens vier Nächte, und so setzt man sich jeden Abend in trauter Runde zusammen und wählt mithilfe der Guides aus dem Ausflugsmenü für den nächsten Tag sein Lieblingsprogramm.
Eine Passion für Pferde
Neben seiner Passion für schöne Kulissen, anspruchsvolle Architektur und perfekten Service hat der Besitzer auch seine Liebe zu Pferden in sein Unternehmensmodell einfliessen lassen. In der patagonischen Explora-Lodge hat man sogar auch hier noch die Qual der Wahl: Soll man sich in den Exploraeigenen Reitstall chauffieren lassen und einen flotten Ausritt in die flachen Weiten der echten Pampa unternehmen oder nach einer Wanderung durch ein besonders wildreiches Revier und einem traditionellen Lamm-Barbecue mit den Arbeitspferden der Gauchos auf Tuchfühlung gehen?
Ich wähle das Zweite und freue mich schon auf den Abend, wenn mir das nette amerikanische Paar beim Nachtessen von ihrem anspruchsvollen Aufstieg zu den Torres, den bekannten 3000 Meter hohen Basalttürmen, erzählen wird und der witzige Brasilianer von der umwerfenden Aussicht vom Mirador del Condor und seiner krächzenden Begegnung mit einem grünen, einheimischen Papageien.
Tiere, wohin man blickt
Unsere Wanderung am zweiten Tag geht über waldloses Wellenland entlang einem natürlichen Migrationskorridor, wo es von Tieren nur so wimmelt: Wachsame Pärchen von Andengänsen führen an den Ufern der schilfbewachsenen Tümpel ihren frisch geschlüpften Nachwuchs spazieren. Ein silbergrauer Fuchs trottet im Zickzack mit der Nase am Boden über das steinige Hochland, immer in gebührendem Abstand zu den Nandus, einer mittelgrossen Straussenart, die indigniert ihre langen Hälse recken, bereit zur Verteidigung ihrer Gelege. Wachsam und kampflustig geben sich auch die mit den Lamas verwandten Guanacos. Fotogen zeichnen sich die einsamen, dunklen Silhouetten der Männchen gegen den blassblauen Himmel ab, wenn sie auf den Hügelkuppen stehen und über ihre gut getarnten Herden in den flachen Wellentälern wachen. Nähert sich Gefahr, hört man ihre Alarmschreie und Klicklaute; erspähen sie einen Konkurrenten, versuchen sie ihn prustend, wiehernd und pfeifend mit zurückgelegten Ohren und langgestrecktem Hals zu vertreiben.
Unsere Anwesenheit scheinen sie zu ignorieren, denn seit vor dreissig Jahren der Nationalpark gegründet wurde, wird ihnen von Menschen kein Leid mehr zugefügt. Die Weibchen lassen uns sogar auf wenige Dutzend Meter an ihre langbeinigen Jungen herankommen, bis sie sich zum Gehen abwenden. Fürchten müssen sie heute nur noch den Puma, den wir zwar nicht zu Gesicht bekommen, dessen Spuren – insbesondere Guanaco-Skelette mit gebrochenem Genick – aber überall verstreut herumliegen. Blitzblank sind die Knochen, denn was der Puma übrig lässt, teilen sich die riesigen Kondore, die unentwegt am Himmel ihre Kreise ziehen. Dass diese eindrucksvollen Vögel mit ihrer weissen Halskrause den Menschen auch früher schon Eindruck gemacht haben müssen, belegen die gut erhaltenen Malereien, die wir in einer Höhle an unserem Weg «entdecken».
Alles Glück der Erde…
Nachdem die indianischen Ureinwohner von den europäischen Siedlern praktisch ausgerottet wurden, sind es heute die Gauchos, die einen für die Gegend noch authentischen Lebensstil pflegen. Sie erwarten uns mit ihren Pferden im Quincho, dem traditionellen patagonischen Grillhaus, aus dem es verführerisch duftet.
Bereits am Morgen haben sie in der Mitte des geräumigen Rundhauses Feuer gemacht und das Lammfleisch, auf einem Doppelkreuz flach gespannt, nicht über, sondern neben das Feuer zum Braten gestellt, damit das Fett nicht in die Glut tropft. Ist es nach Stunden gar, greifen sie hinter den Rücken, wo jeder ein grosses Messer in einer Scheide im Hosenbund stecken hat, und zerteilen das Fleisch in mundgerechte Stücke. Dazu gibt es Empanadas: Teigtaschen mit Mais.
Nach dem Essen nichts wie in den Sattel. Die Pferde sind folgsam und willig – perfekt für das anspruchsvolle Terrain. Hinter den Gauchos mit ihren weiten Reithosen, Berets, bunten Halstüchern und den Messern hinter den breiten Gürteln am Rücken tauchen wir ein in eine grandiose Landschaft: Im Westen meandert in einem Canyon tief unter uns, von grauen, hohen Schuttwänden gesäumt, der Rio de las Chinas. Im Norden erheben sich aus einem unendlichen, moosgrünen Teppich die verschneiten Andenriesen, und im Südosten türmen sich die drei spitzen Säulen der Torres del Paine in den klaren Himmel. Braucht man da mehr?
Von Lucie Paska