Mittelmotor, 330 PS, tiefergelegtes Fahrwerk: Die Heimat des Porsche Boxster GTS sind die Berge.
Wer mit einem Porsche Boxster GTS eine Reise durch die Schweiz plant, denkt wohl unweigerlich an die Grand Tour of Switzerland. Kürzlich ist im Hallwag Verlag ein Reiseführer erschienen, der eine 1600 Kilometer lange Traumstrasse durch vier Sprachregionen, vorbei an elf Unesco-Weltkulturstätten und 22 Seen, vorschlägt. Die Zahl der Alpenpässe auf der Strecke wird stolz mit fünf angegeben. Für unseren Porsche hört sich dies freilich etwas bescheiden an. Denn: Könnte der Boxster selbst wählen, würde er wohl ausschliesslich über Pässe donnern. Zumal der 330 PS starke 3,4-Liter-Mittelmotor und das tiefergelegte Fahrwerk darauf abzielen, dem Fahrer auf Alpenpässen ein Hochgefühl zu vermitteln. Also ändern wir das Routing, das sämtliche touristischen Schwergewichte der Schweiz ausgewogen und politisch korrekt berücksichtigt. Schliesslich ist unser Fahrzeug auch nicht gerade das, was man spontan als «politisch besonders korrekt» bezeichnen würde. Vor allem, wenn der Sport-Plus-Modus eingeschaltet ist. Oder sollte er besser Donner-Modus heissen? Als wir den Sustenpass überqueren, drücken wir die entsprechende Taste: Beim automatischen Herunterschalten sorgen elektronisch programmierte Fehlzündungen für ein ohrenbetäubendes Crescendo. Damit nicht genug: Mit dem Sforzato des wie von Geisterfüssen betätigten Zwischengases entsteht ein klangliches «Furioso», das selbst den legendären Sound der entgegenkommenden Harleys in den Schatten stellt. Die Motorrad Cracks zollen uns jedenfalls mit einem wohlwollenden Grinsen ihren Respekt. Das aufsehenerregende Strassenkonzert ist freilich nur die eine Seite. Für das perfekte Fahrverhalten sorgt im Boxster GTS das bekannte Porsche Active Suspension Management (PASM) sowie das Fahrstabilisierungssystem PSM (Porsche Stability Management).
Einmalige Strassenlage
Eine Besonderheit im Paket um den Sport-Plus-Modus stellt das dynamische Getriebelager dar. Je nach Fahrsituation werden Steifigkeit und Dämpfung innert Sekundenbruchteilen individuell angepasst. Das ausgeklügelte Wechselspiel führt zu einem stabileren und deutlich präziseren Fahrverhalten. Aufgrund der sehr neutralen und kaum zu überbietenden Strassenlage des Boxster GTS haben sogar stärker motorisierte Super-Sportwagen in den Kurven oft das Nachsehen. Auch im Kampf gegen ungestüme Zentripetalkräfte scheint der Roadster dank den technischen Künsten der Zuffenhausener Ingenieure unbeeindruckt am Boden zu kleben. Beim Aktivieren der Sport-Plus-Taste werden übrigens nicht nur die Lager härter. Auch das Fahrwerk wird straffer und das Schaltprogramm auf «Rennstrecke» eingestellt. Der Boxster wechselt dann erst bei sehr hohen Drehzahlen die Gänge. Der Schaltvorgang verläuft extrem schnell, als würde der Wagen mit einem Katapult von Gang zu Gang geschleudert werden. Schaltung und Soundentwicklung erinnern in diesem Moment gar an einen Formel-1-Wagen. Selbstredend sind Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit dem Porsche würdig (4,7 Sekunden von null auf hundert, 281 km/h).
Konkurrenz aus der eigenen Familie
Mittlerweile hat der ausgezeichnet verarbeitete GTS mit dem rund 10 000 Franken teureren Boxster Spyder eine Roadster-Konkurrenz aus dem eigenen Haus bekommen, die ihm bezüglich Leistung (3,8 Liter-Motor, 375 PS) einen kleinen Schritt voraus ist. Der Vorteil des GTS ist aber eindeutig seine Handlichkeit im Blick auf das automatische Verdeck. Es kann bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h geöffnet oder versenkt werden. Was wir bei unserer Fahrt durch die Alpen mit den langen und schlecht durchlüfteten Tunnels sehr geschätzt haben. Dazu kommt, dass man mit dem GTS genauso schick unterwegs ist wie mit dem Spyder. Schliesslich gilt auch für Autofahrer: Kleider machen Leute, umso mehr, wenn sie auf ihrer Alpentour in Fünfsternehäusern vorzufahren pflegen. Nur einmal fragen wir uns – mehr überrascht als verunsichert –, ob wir nicht doch etwas «underdressed» sind: Als wir bei der neuen Ikone der Berner Oberländer Fünfsternehotellerie, dem «Alpina Gstaad», einen Stopp einlegen, versperrt uns ein Bentley den Weg, um einem dritten Fahrzeug, einem noblen Bugatti, respektvoll den Vortritt zu gewähren. Der arabische Scheich, dessen Wagen mindestens das Zehnfache unseres Testwagens kostet, grüsst uns dennoch sehr freundlich. Von 15 in der Schweiz verkauften Bugattis seien 12 in Gstaad immatrikuliert, klärt uns der Hoteldirektor später auf. Daraus schliessen wir beruhigt: Auch Porschefahrer sind im Alpina sehr willkommen. Das Hotel hat schliesslich deutlich mehr als nur 12 Zimmer.
Am wohlsten fühlt sich unser Boxster eindeutig im Bündnerland. Auf den lang gezogenen, breiten Kurven des Bernina-Passes (2328 m ü. M.) kann er seine Stärken am besten ausspielen. Aber auch der Flüela sowie der landschaftlich reizvolle Albula (von Preda nach Bergün führt die Strecke über die gleiche Strasse, die im Winter in eine Schlittelpiste umfunktioniert wird) bieten ideale Porsche-Routen. Ein weiterer Höhepunkt ist die Fahrt über den Ofenpass ins Val Müstair und dann weiter über den Umbrail (2501 m ü. M.) bis auf das Stilfserjoch. Der zweithöchste Strassenpass Europas liegt auf einer Höhe von 2758 Metern. Was für die Alpe d’Huez als wichtigster Bergpreis der Tour de France gilt, hat auch für das Stilfserjoch als Etappenziel während des Giro d’Italia seine Gültigkeit: Wer hier als Erster ankommt, geht in die Annalen der Ewigkeit ein. Wir kommen zwar nicht als Erste an, bewundernde Blicke ernten wir mit unserem Roadster aber trotzdem. Da sich unsere Sitze auch nach mehreren Stunden noch sehr bequem anfühlen, entscheiden wir uns, weiterzufahren. Die Ewigkeit muss warten.
Von Markus Weber