Von britischem Understatement keine Spur: die Ingenieure des neuen Range Rovers nehmen für sich in Anspruch, den besten Geländewagen der Welt gebaut zu haben. In Marokko trat das Luxus-SUV zur Beweisführung an.
Der neue scheint auf den ersten Blick wie der alte. Er ist unverkennbar ein Range Rover. Und das ist gut so. Die klaren, horizontalen und vertikalen Designlinien sind geblieben, im Innern stechen die edlen und aufwändig verarbeiteten Materialien ins Auge. Der neue Range Rover ist aber eindeutig eleganter als sein Vorgängermodell. Dies auch dank seiner etwas tiefer gehaltenen und leicht nach unten gezogenen Dachlinie. Die diskreten Änderungen im Design täuschen leicht darüber hinweg, dass die vierte Generation des luxuriösesten Geländewagens der Welt ein komplett neues Fahrzeug ist. Einmalig in der SUV-Luxusklasse ist die Verwendung von leichtem Aluminium bei der Konstruktion der Karosserie. Im Vergleich zur konventionellen Stahlbauweise hat sie eine Gewichtsreduktion von 39 Prozent gebracht. Dank weiteren Einsparungen im Fahrzeug ist der neue Range Rover um 420 Kilogramm leichter geworden.
Auf 2100 Kilogramm abgespeckt, mit zwei drehfreudigen und sparsamen Dieselmotoren im Angebot – das Spitzenmodell in der Land-Rover-Familie steht fast ganz im Zeichen von Nachhaltigkeit und «Downsizing». Niedrige Verbrauchs- und akzeptable Abgaswerte zeichnen besonders den neuen 3,0-Liter-TDV6-Dieselmotor aus. Die CO2-Emissionen des 258 PS starken Triebwerkes betragen gemäss Werksangaben «nur» noch 196 g/km. Auch der Verbrauch liegt bei vernünftigen 7,5 Litern für 100 Kilometer. Ein beachtlicher Fortschritt. Zumal die Fahrleistungen sehr beeindruckend sind. Ein Drehmoment von 600 Nm sorgt für genügend Durchzugskraft, und der Spurt von 0 auf 100 km/h gelingt in 7,9 Sekunden. Wer sich für den grösseren Dieselmotor entscheidet, verfügt im 4,4-Liter-Achtzylinder-Aggregat über ein Drehmoment von 700 Nm (zwischen 1750 und 3000/min.). Und selbstredend stehen da ein paar Pferde mehr im Stall (339 PS).
Für Motorenfreaks, die mit dem Begriff des «ökologischen Fussabdrucks» nicht viel anfangen können, steht ein 5,0-Liter- V8-Motor mit 510 PS im Angebot. Die enorme Kraft dieses Triebwerks beschleunigt den Range Rover in nur 5,4 Sekunden auf 100 km, und es versteht sich von selbst, dass die hochgezüchteten Pferde bei 250 km/h automatisch zurückgebunden werden müssen. Man muss aber kein Hardcore-Fan sein, um sich von den Fahrleistungen dieses Motors begeistern zu lassen. Der grosse Benziner bringt die Sportwagenqualitäten des luxuriösen Geländewagens besonders gut zum Ausdruck. Natürlich ist die Klimaerwärmung nicht gerade das Gesprächsthema, wenn man das Gaspedal durchdrückt, den Range Rover in die Kurven legt und das automatische Dynamic-Response-System dafür sorgt, dass der Wagen nicht zu stark einknickt. Die Strassenlage ist fantastisch, beinahe könnte man vergessen, in einem Geländewagen zu sitzen. Da kommt pures Sportwagenfeeling auf.
Dabei brilliert der Wagen erst richtig, wenn er seine Geländetauglichkeit unter Beweis stellen darf. Das Auto kann fast alles. Und es macht auch fast alles – und dazu noch selbstständig. «Terrain Response» heisst dabei das Zauberwort. Der Automatik-Modus erkennt die Beschaffenheit des Untergrunds selber. In Bruchteilen von Sekunden schaltet das System von matschigen Böden auf Sand oder Schnee um. Der Wagen hat Talent, keine Frage. Der Fahrer hingegen braucht es kaum noch. Allein, wer in einer steilen Steigung in den Dünen nur zögerlich das Gaspedal betätigt, versinkt trotz ausgefeilter Technik im Sand. Wenn es in der Wüste um die Kunst des Driftens geht, ist Gefühl noch immer alles. Zum Glück. Soll doch das Fahren im Gelände in erster Linie Spass bereiten und der Person hinter dem Steuer die Illusion vermitteln, dass sie noch immer gebraucht werde. Auch im steinigen Flussbett bestärkt der Wagen den Fahrer in dessen Gefühl, er habe alles im Griff. Tatsächlich fährt der Range Rover auch hier fast allein. Und sogar dann, wenn die Motorhaube unter dem Wasserspiegel reissender Bäche zu verschwinden droht, arbeitet sich der Wagen unbeirrbar weiter. Bis zu einer Wassertiefe von 90 Zentimetern zeigt das Luxus-SUV nicht den Hauch von Problemen. Und die Füsse bleiben schön trocken.
Der neue Range Rover müsse nicht nur vor der Oper, sondern auch im Gelände glänzen, betont Design-Chef Gerry McGovern. Diesen Anspruch haben die britischen Ingenieure bei weitem erfüllt. Die Messlatte liegt nun sehr hoch: Wer künftig den Titel des besten (luxuriösen) Geländewagens für sich beanspruchen will, kommt am neuen Range Rover nicht vorbei. In der Schweiz wird er Anfang 2013 bereitstehen. Stephan Voegeli, Chef von Jaguar Land Rover Schweiz, rechnet für die ersten 12 Monate mit dem Verkauf von 300 Exemplaren. Auch wenn die meisten Käufer vermutlich weder Opernliebhaber noch Offroad-Freaks sind – 120 Fahrzeuge sind schon bestellt. Das neue Modell dürfte den vom Evoque ausgelösten Hype um die Marke Land Rover weiter vorantreiben. 2012 betrug das Wachstum aller sechs Modellreihen in der Schweiz unglaubliche 139 Prozent. Weltweit sind es immer noch beachtliche 44 Prozent.
Text: Markus Weber