Inverness ist ideale Ausgangsbasis, um Schottlands Seele zu ergründen. Weitab von Jubel, Trubel, Heiterkeit erlebt man so den ursprünglichen Charme wilder Landschaften mit verwunschenen Hochmooren, sagenumrankten Seen und zahlreichen Whisky-Destillerien.
Schottland hat etwas gemeinsam mit Rosamunde Pilchers Cornwall – hier wie dort weitgehend unberührte Landschaften, wechselndem Wind und launischem Wetter ausgesetzt und erstaunlich intakt geblieben. Diese Unversehrtheit kommt auch davon, dass das Spekulationsfieber und die Hochkonjunktur Schottland nie erreicht haben und deshalb die Naturschönheiten nicht geopfert wurden. Überall spürt man das karge Leben, und angesichts der spärlichen Industrialisierung setzt man bewusst auf den Dienstleistungssektor, sanften Tourismus und die wilde, unberührte Natur. So erstaunt es nicht, dass Schottland bis 2020 die gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen speisen will und das Hauptexportprodukt Computersoftware ist.
Vom Verkehrsknotenpunkt Inverness aus mit seinem modernen Flughafen und seinen historischen Stätten lässt sich Schottland hervorragend entdecken und erfahren. Es sind nicht nur die bekannten Musts wie Culloden Battlefield und die St. Andrews Cathedral, sondern auch liebenswerte Sehenswürdigkeiten wie beispielsweise das Titanic Museum (16 Clacknaharry Road), die einen Besuch lohnen. Hier kann man per Video zum Wrack der Titanic tauchen, sieht das Unglücksschiff im Modell und bekommt neben einer Tasse Tee wichtige Informationen. Inverness mit seinen 45 000 Einwohnern lässt sich dank seiner Kleinräumigkeit gut zu Fuss entdecken; immer wieder staunt man über das prächtige architektonische Erbe und herausgeputzte Häuserzeilen, die Besitzerstolz und Geschichtsbewusstsein reflektieren. Zahlreiche viktorianische Herrschaftshäuser inmitten prächtiger Gartenanlagen buhlen um die Aufmerksamkeit der Touristen und sind lohnende Fotosujets. Einmal ausserhalb der Stadt, stösst man auf atemberaubende Moor und Küstenlandschaften. Zwar ist es in den letzten Jahren um Loch Ness etwas ruhiger geworden; das Ungeheuer ist in die Jahre gekommen, doch noch immer lohnt sich ein Abstecher in die traumhafte Landschaft der Highlands, um Ruhe zu tanken und durch wahre Bilderbuchgegenden zu wandern. Absolutes Must für Wander und Naturfans ist Loch Lomond und der Trossachs Nationalpark mit wunderschöner Szenerie. Hier kann man stundenlang unterwegs sein, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Ursprüngliches in Hülle und Fülle findet man hier wie überall in Schottland.
Wechselvolle Geschichte
Immer wieder stösst man auf eindrückliche Zeugen einer wechselvollen Geschichte. Schlösser, Schlachtfelder, Ruinen, prähistorische Steinkreise, Megalithen und Grabkammern, Museen – kein Wunder, dass man sich in diesen geschichts und sagendurchtränkten Gegenden auf den Spuren von Harry Potter wähnt und mit ihm durch Zeit und Raum segelt. Nicht minder beflügelnd wirkt ein Besuch der vielen Whisky-Brennereien, wo einem mit erstaunlicher Hingabe und Detailtreue die Geburt des schottischen Lebenswassers erklärt wird. Nicht weniger als acht Brennereien erfährt man im wahrsten Sinn des Wortes mit dem legendären Malt Whisky Trail. Da kann es schon vorkommen, dass es einem warm ums Herz wird und man froh ist über die frischen Winde von der Nordsee her, die für Abkühlung sorgen.
Schottlands Reichtum an Geschichte und Geschichten macht es nicht einfach, repräsentative Puzzleteile herauszupicken und vorzustellen in der Hoffnung, dadurch das vielschichtige Gesamtbild wiederzugeben. Zu kontrastreich die Gegenwart, zu breit gestreut die individuellen Interessensgebiete der Feriengäste. Soll man beispielsweise die königliche Sommerresidenz Balmoral Castle als royale Highlights für Windsor und Rosamunde-Pilcher-Fans erwähnen? Sollte man unbedingt auf das schmucke Hafenstädtchen Oban hinweisen und es besuchen? (Sollte man, ja!) Und wie ist es mit den Seevogelkolonien und Basalt-Felsformationen auf der Insel Staffa? Müsste man auf der Isle of Skye vom Boot aus eher die Seehundkolonien beobachten oder das Schloss Dunvegan besichtigen oder beides kombinieren?
Edinburghs quirlige Präsenz
Kontraste und Abwechslung findet man allemal. Beispielsweise die Sutherlands als wildeste und einsamste Gegend und als schrillen Gegensatz dazu die quirlige Hauptstadt Edinburgh mit ihrem alles überragenden Wahrzeichen, dem Edinburgh Castle. Aficionados moderner Kunst besuchen hier die Scottish National Gallery of Modern Art, während die National Gallery of Scotland unbestrittene Glanzpunkte klassischer Malerei beherbergt, beispielsweise Tizians Hauptwerke «Diana und Callisto» sowie «Diana und Aktäon», nicht zu vergessen Turners «Heidelberg mit einem Regenbogen». Allein schon das zentral gelegene imposante klassizistische Gebäude – positioniert neben dem Royal Scottish Academy Building und «The Mound» – lohnt die Visite. Von hier aus ist es nur ein Katzensprung zur Princes Street, Edinburghs wichtigster Einkaufsmeile. Da diese weitgehend für den Privatverkehr gesperrt ist, wurde die ursprünglich als Wohnstrasse geplante Princes Street zu einer Flaniermeile geadelt, in der sich Shoppingvergnügen mit Sehen und Gesehen werden verbindet. Nicht zu vergessen die vielen nostalgisch verbrämten Pubs in den Seitenstrassen, in denen sich das Rad der Geschichte mühelos um Jahrhunderte zurückdrehen lässt und lauwarmes Bier die Seele tröstet. Und wem nach frischer Luft dürstet, der besucht die gegenüberliegenden Princes Street Gardens. Auch hier kann man nach den Einkaufsstrapazen relaxen – und mit etwas Glück gar einem Konzert bei der Freiluftkonzertbühne beiwohnen.
Von Werner Knecht