Annatina Pelizzatti und Irene Grünenfelder aus Jenins sowie Carina Lipp-Kunz aus Maienfeld sorgen für zauberhafte Weine. Die drei Winzerinnen haben in der einstigen Männerdomäne eines gemeinsam: sie sind Quereinsteigerinnen; das Schicksal hat sie zum Weinbau gebracht.
Annatina Pelizzatti (39) absolvierte eine Berufslehre bei der Post. Es war nicht ihr Wunsch, Winzerin zu werden. Doch 1997 verunglückte ihr Mann tödlich, und sie übernahm den elterlichen Betrieb. Carina Lipp-Kunz (34) ist in einer Winzerfamilie im Heididorf Maienfeld aufgewachsen, bildete sich aber nach der KV-Lehre zur Tourismusfachfrau in Samedan weiter. 2002 verunglückte ihr jüngerer Bruder in den Bergen. Er liebte alles, was mit Reben und Wein zu tun hatte. Geplant war, dass sie an der Seite ihres Vaters langsam in die neue Aufgabe hineinwachsen sollte. Doch im Herbst 2005, zwei Wochen vor der Ernte, folgte der zweite Schicksalsschlag: Der Vater von Carina verunfallte und lag auf der Intensivstation. Nun musste sie von einem Tag auf den anderen die gesamte Verantwortung im Wein- und Destillate betrieb übernehmen.
Von der Dôle-Blanche-Trinkerin zur Vorzeigewinzerin
Auch Irene Grünenfelder (48) hatte anfangs kaum einen Bezug zum Wein. Die Familie ihres Ehemanns besass zwar Land. Das war aber nicht bepflanzt und bestand nur aus einem alten, leeren Stall. Sie studierte in Bern und Zürich neuere Geschichte und Politologie und wurde Primarlehrerin. Eines Tages genoss sie, die sich selbst als frühere Dôle-Blanche-Trinkerin bezeichnet, im Burgund einen Wein. Dieser beeindruckte sie so sehr, dass sie sich sagte: «Das will ich auch machen.» 1993 setzte sie die ersten Reben, 1995 produzierte die Vorzeigewinzerin ihren ersten gelungenen Wein und musste sich dabei das Handwerk von Grund auf aneignen. Dabei machte sie auch Fehler. Ihr Grösster: Sie leerte versehentlich 1000 Liter Maische, die Arbeit eines ganzen Jahres, auf dem Boden aus. Heute keltert sie auf 5 Hektar jährlich rund 20 000 Flaschen. 85 Prozent davon stellen ihre gradlinigen, filigranen Pinot Noirs, der Rest Sauvignon Blanc und seit 2008 Chardonnay.
Annatina Pelizzatti, die mit ihren beiden Töchtern im alten Dorfteil von Jenins in einem ehemaligen Bauernhaus lebt, produziert ähnliche Mengen: auf 3 Hektar gegen 20 000 Flaschen, wobei die Reben im Schnitt 30-jährig sind. 80 Prozent bestehen aus Blauburgunder, der Rest aus Chardonnay, Weissburgunder und Merlot. Ihre Philosophie: «Im Rebberg gut arbeiten, die Trauben gesund nach Hause nehmen und im Keller die Trauben so belassen, wie sie sind und nicht mit Gärmethoden verändern.» So entstehen Weine mit Charakter, mit Ecken und Kanten.
Carina Lipp-Kunz produziert auf 2 Hektar rund 10 000 Flaschen, ebenfalls vor allem Pinot Noir, wenig Chardonnay und alle zwei, drei Jahre einen Schaumwein. «Davon kann man nicht leben. Aber wir haben zudem eine Brennerei mit Destillaten von 40 verschiedenen Produkten aus Graubünden», sagt sie, die am 2. Februar 2012 Mutter von Gian-Marco wurde. Auf jeder Weinflasche markiert sie ihre Handschrift. So steht auf dem «Sélection 2010» (siehe Kästchen) «Zeit. Lebensfreude. Liebe.» «Ich habe damit 10 000mal die Chance, dem Weintrinker eine Botschaft mitzugeben», begründet die Maienfelder Winzerin. Ihr Barriquewein stammt vom Saft 40-jähriger Reben, «die meine Nana gepflanzt hat. Zwei Generationen später kann ich die Trauben auf ihrem Höhepunkt nutzen». Wie Pelizzatti vinifiziert Carina Lipp-Kunz möglichst mit wenigen Eingriffen. «Vielleicht ist das auch weiblich, wenn ich mich gegen eine Computer gesteuerte Gärkühlung entscheide. Ich arbeite lieber von Hand. Dann bin ich näher bei der Materie», sagt die Mutter, die Mitglied bei «Junge Schweiz – neue Winzer» ist.
Frauenweine sind sinnlicher und harmonischer
Sind Frauen die besseren Winzer? Dieser Frage ist Irene Grünenfelder, nunmehr Absolventin der berühmten Weinakadamie Rust am Neusiedlersee, nachgegangen. Sie liess fünf Weine aus dem Burgund und fünf aus Graubünden – darunter Tropfen von mehreren Winzerinnen – blind verkosten. Die Testpersonen mussten sagen, welches die Frauenweine sind. «Diese wurden erkannt. Frauenweine wurden als feiner, gradliniger, harmonischer, sinnlicher, fehlerfreier und weniger tanninhaltig beurteilt», bilanziert Grünenfelder, die selbst fordernde, lebendige Weine mit Finessen liebt – und auch solche produziert. Deswegen zu behaupten, die Frauen seien die besseren Winzer, sei jedoch falsch. «Dass wir drei Winzerinnen wurden, ist purer Zufall. Niemand von uns absolvierte eine klassische Winzerlehre.» Annatina Pelizzatti, die sich mit Irene Grünenfelder auch privat sehr gut versteht, teilt deren Meinung: «Frauen sind nicht einfach die besseren Winzer. Viele Männer arbeiten mithilfe von Frauen und umgekehrt.»
Ihre Pinot-Noir-Reben werden älter und nur besser, ist sie überzeugt. Auf diese Rebensorte möchte sie sich auch in Zukunft konzentrieren – genauso wie Irene Grünenfelder. «Ich möchte für noch mehr Authentizität und Komplexität sorgen. In Blinddegustationen können wir meist noch nicht erkennen, dass unsere Weine aus Jenins sind», räumt sie ein. Die Zukunft ihres Weinguts Eichholz scheint gesichert: Ihr 18-jähriger Sohn Johannes befindet sich im zweiten Winzerlehrjahr. Seine Mutter prognostiziert: «Bis er den Betrieb übernimmt, wird es jedoch noch ein paar Jahre gehen. So schnell gebe ich nicht auf …»
Von Reto E. Wild
Vielen Dank für diesen einfühlsamen Artikel.
Gruss
Röbi
Schade, daß sowas im Domleschg nicht möglich ist, einfach Land zu Rebenland zu machen.
Der Kanton verhindert es:
http://domleschg24.ch/weinbau-im-domleschg-ruckkehr-einer-tradition/
Zitat: „Wir im Domleschg dürfen nur für den Eigengebrauch Trauben anbauen. Dafür dürfen wir 4 Aren (10 auf 40 Meter) aufwenden. Und da unser Wein für den Eigengebrauch gedacht ist, darf er nicht “offiziell” verkauft werden.“