Sie haben eine der höchstgelegenen U-Bahnen der Welt und wollen auch in dreissig Jahren noch vom Wintersport leben: Serfaus-Fiss-Ladis setzen auf Schnee – aller Klimadiskussionen zum Trotz.
Zwickt’s mi, i glaab i tram! Des derf net wohr sein, wo sammer daham? Zwickt’s mi, egal wohin … In seinem Evergreen von 1975 fährt Wolfgang Ambros mit der U-Bahn nach Hause und kann seinen Augen kaum glauben. Uns geht es genauso: Wir fahren auch staunend U-Bahn, aber nicht in Wien oder London, New York oder Tokio, sondern in Serfaus, einem österreichischen Bergdorf auf 1427 Metern Höhe. Sie ist eine der kleinsten und höchstgelegenen U-Bahnen der Welt mit vier Stationen un deiner Beförderungsleistung von immerhin bis zu 2000 Fahrgästen pro Stunde. Da kann man fast nicht anders, als zu summen: «Zwickt’s mi, I glaab I tram!»
«Das mit der U-Bahn begann schon 1976, als es erste Überlegungen gab, unseren heute 1100 Einwohner zählenden Ort verkehrsberuhigt zu machen», sagt Betriebsleiter Ernst Thurnes. «Ein Skilehrer hatte die Idee und neun Jahre später wurde sie umgesetzt: Umgerechnet rund zehn Millionen Euro kostete uns das Projekt damals.» Dabei geht es um ein Luftkissensystem, das wenig Energieverbrauch und wenig Lärm versprach, aber viel Publicity. Gerade werden erste Schritte unternommen, die U-Bahn komplett zu erneuern, um in der Wintersaison 2019/2020 und 25 Millionen Euro später die modernste U-Bahn Europas zu haben. Denn Ernst Thurnes ist sich aller Unkenrufe und der Klimaerwärmung zum Trotz sicher: «Wir fahren hier auch noch in dreissig Jahren Ski!» Und er hat auch einen Grund für seinen Optimismus: 80 Prozent der Pisten von Serfaus-Fiss-Ladis sind momentan beschneibar.
Und so schweben wir vom Parkplatz unterirdisch zur Talstation Serfaus, wo uns die Seilbahnen ins Skigebiet bringen: Die Sonne strahlt, der Schnee glitzert, Eiskristalle funkeln und der Himmel hat jenes Tiefblau, das es nur in den Bergen gibt. Zwei miteinander verbundene Skigebiete warten darauf, von uns erobert zu werden – mit Wolfgang Ambros’ nächstem Evergreen «Schifoan» im Ohr.
Vom Ortler bis zur Zugspitze
Recht lange und konditionell fordernde Strecken wechseln sich mit so mancher Querung ab. Das Verhältnis von blauen und roten Pisten ist ausgewogen, schwarze Kaliber sind eher selten. Das Gebiet von Serfaus-Fiss-Ladis ist etwas für Geniesser, denen das Skifahren genauso wichtig ist wie die prachtvolle Kulisse oder so man cher Einkehrschwung. Die Luft ist dünn und trocken, aber spätestens beim Rundumblick vom Masnerkopf auf 2828 Metern Höhe bleibt einem die Spucke weg. Bei klarer Sicht können Gipfel in hundert Kilometer Entfernung bestaunt werden, vom Ortler im Süden bis zur Zugspitze im Norden, dem höchsten deutschen Berg mit 2963 Metern.
Der Masnerkopf schenkt den Besuchern seine Erhabenheit. Und nach den ersten Momenten der Ruhe folgt des Menschen Unruhe: Handys werden gezückt, um Fotos zu schiessen. Andere packen einen Schokoriegel aus. Nur ein Snowboarder lässt sich partout nicht aus der Ruhe bringen. Er sitzt wie Buddha im Schnee und scheint alpin-philosophische Schlüsse zu ziehen.
Die gut verteilten WLAN-Spots begeistern die Wintersportler mindestens genauso wie die Umgebung. Die Handy-Fotos und Aufnahmen von der Helmkamera wollen ja sofort an die Social-Media-Gemeinde versendet werden. Dann wieder Brille auf und weiter: Nicht auf der schwarzen Masnerkopf-, sondern auf der roten Mindersjochabfahrt – zum Einkehrschwung!
Schon die Römer waren hier zu Gast
Den zahlreichen Wintergästen wird nicht nur auf den Skipisten, sondern auch kulinarisch einiges geboten auf dem sonnigen Hochplateau der drei Bergdörfer: Es gibt feine Restaurants, urige Almen und gemütliche Hütten: alte und neue sowie neue, die auf alt gemacht sind. Eingekehrt sind hier sogar schon die Römer, die an der Via Claudia Augusta im heutigen Ladis eine Raststation eingerichtet hatten. Dort wurden die ersten Touristen des 20. Jahrhunderts sogar noch in Sänften nach oben getragen.
Heute holen sich die Skifahrer und Snowboarder ihr Kurvenöl gerne im «Weiberkessl»: Beliebt ist die Heisse Witwe, ein heisser Pflaumenlikör mit Sahne, die im Schneegestöber (heisser Eierlikör mit Sahne) auf den Flying Hirsch trifft (Wodka mit Energiedrink). Modern bis traditionell geht es in der «Zirbenhütte» zu und her, wo Gulaschsuppe, Germknödel, Kaiserschmarrn, Wiener Schnitzel und Spaghetti unter anderem zu den Topsellern gehören, wie Koch Philipp verrät. Und rund um die «Komperdell Alpe» grasen im Sommer 200 Kühe, von deren Milch pro Sommer 20 000 Kilogramm Butter und Käse produziert werden, die es dann im Winter auf die «Brotzeitbrettl» gibt. «Wir gehören schon zusammen, wir aus Serfaus, Fiss und Ladis», sagt Toni, der Skilehrer im knallroten Pisten-Outfit, der auf der «Komperdell»-Terrasse mit seinen Gästen grad die Sonne geniesst. «Aber wenn es um die Mädchen geht, dann sind wir vorsichtig… Eine aus Ladis? Die muss scho’ suppa guat sei!»
Zwei andere haben sich schnell gefunden: Sie, 35 Jahre alt. Er, geringfügig älter, vor etwa 135 Millionen Jahren in der Kreidezeit langsam gross geworden. Petra Brouwer, aufgewachsen in den Niederlanden auf gerade mal 7,3 Meter über dem Meeresspiegel, hat sich in den 2596 Meter hohen Zwölferkopf verliebt. Sie führt hier die extraterrestrisch anmutende und wohl spektakulärste «Jausenstation» der ganzen Gegend: ein komplett verspiegelter Riesenwürfel mit 360-Grad-Blick auf beeindruckende 3000er. Der Glaswürfel heisst «Crystal Cube», hat was von einem Ufo, liegt schräg, wie verkantet im Schnee und bedarf der Vorbuchung. «Viele Winterfans kommen, um unseren Crystal Cube näher zu betrachten, können aber nicht reinschauen, selbst wenn sie sich am Glas die Nase platt drücken», sagt Petra.
16.07 Uhr, zurück an der Talstation Serfaus: Die Sonne ist hinter den hohen Bergen verschwunden. Gut 8000 Höhenmeter sind bewältigt, 34 Kilometer abgefahren, eine (knappe) Stunde Pause gemacht, einen Erbseneintopf mit Würstchen und einen Germknödel gegessen, ein Radler und einen Jägertee getrunken. Sowie jede Menge Ambros gehört.
Von Jochen Müssig