Mit dem Hundeschlitten durch Finnisch Lappland erlebt man Freiheit, Frischluft und Ferien ganz ohne Stress.
Diese Augen! Wer kann ihrem strahlenden Gletscherblau schon widerstehen? Sibirische Huskys sind einfach schöne Tiere. Im fahlen Licht der Morgendämmerung sehen sie Wölfen ähnlich. Noch dazu, wenn man von der Meute lautstark mit grossem Gejaule begrüsst wird. Immer wieder ruft Schlittenführer Raimo die Hunde energisch zur Ruhe. Doch die verordnete Stille hält keine Minute. Huskys haben viel Temperament und nicht die geringste Lust, das zu verbergen. Jetzt wollen sie nur eines – laufen, laufen, laufen. Kilometerweit und ungebremst durch die kalte Winterwelt.
Minus 23 Grad. Der Schnee knirscht unter den Füssen, und Eiskristalle flirren im Sonnenlicht. Die Landschaft Finnisch Lapplands ist noch ganz in Kälte erstarrt. Es ist zwar schon 10 Uhr morgens, doch der Tag bricht gerade erst an. An den Mittwintertagen kennt man hier nur wenige Stunden Helligkeit. Raimo, 28, blond, wortkarg und mit Hipsterbärtchen, spannt Xenna, Giho, Alonso und den Rest der Hundebande ins Geschirr. Aufgeregt tanzen die Huskys durcheinander oder scharren im Schnee, bevor es endlich mit dem Schlitten im 6er-Gespann durch verschneite Wälder und über zugefrorene Seen geht. Kräftig legen sich die Hunde ins Zuggeschirr. Holpernd schlittern die Kufen durch verschneite Kiefernwälder in Richtung Inarisee, dem heiligen See der Samen, mit dem viele ihrer Sagen und Erzählungen verknüpft sind.
Der legendäre See ist mit etwa 1000 Quadratkilometern und mehr als 3300 Inseln ungefähr so gross wie der Kanton Uri. Weil Finnlands drittgrösster See bereits 250 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt, muss man hier manchmal noch im Juni damit rechnen, dass er zugefroren ist.
Michelin-Männchen mit Sturmbrille
Eine Husky-Safari in dieser urwüchsigen Landschaft, die zur letzten Wildnis Europas zählt, ist mit eine der umweltfreundlichsten und nachhaltigsten Arten, die einsame Gegend zu erkunden. Noch dazu hat Lappland die meisten Husky-Touren-Veranstalter in nordischen Gefilden, wobei eine Husky-Farm aus mehreren Dutzend bis hin zu mehreren Tausend Hunden bestehen kann. Viel Arbeit also für Hundeschlittenführer wie Raimo, die man auch Musher nennt. Im Winter blickt die Sonne jenseits des Polarkreises kaum noch über den Rand des Horizonts und ab zwei Uhr nachmittags wird es bereits wieder dunkel. «Kaamos heisst bei uns die dunkle Jahreszeit von November bis Ende Januar», sagt Raimo. Doch wer braucht hier schon Tageslicht, wenn man dafür an 200 Tagen im Jahr das magische Leuchten der Nordlichter sehen kann? Sobald die grün-gelben oder blau-violetten Lichterwirbel über den Himmel tanzen, wirkt es wie ein Spektakel aus anderen Sphären. Doch gestresste, lichtgewohnte Mitteleuropäer reagieren auf die ständige Dämmerung und die fast schon hörbare Stille bisweilen mit zunehmender Müdigkeit. «Frischluftvergiftung», sagt Raimo dazu und lacht.
Hundeschlittenfahren ist ohnehin nichts für eitle Zeitgenossen, denn wenn einem der frostige Wind durch die Knochen fährt, sind Thermo-Overalls unerlässlich, selbst wenn man darin aussieht wie ein Michelin-Männchen. Doch mit Sturmmaske läuft man sowieso nicht Gefahr, erkannt zu werden. An warme Socken, Mütze oder Handschuhe haben die meisten Gäste bei einer Ausfahrt gedacht, aber an eine Skibrille? Ohne sie treibt einem der kalte Fahrtwind regelrecht die Tränen in die Augen. Und eigentlich will man doch bei einer Husky-Tour die menschenleere Schneelandschaft geniessen.
Regel Nr. 1: Nie den Schlitten loslassen
Nach einiger Zeit ist nur mehr das Trappeln der Hundepfoten zu hören und das Gleiten des Schlittens. Es ist eine Fahrt durchs weisse Winterwunderland: In den Wäldern sind die Bäume bis zur Spitze mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Manchmal hängen die Zweige der Kiefern so tief, dass man sich ducken muss. Eine der wichtigsten Regeln des Mushers lautet: Nie den Schlitten mit eingespannten Hunden loslassen! Nur, was macht man, wenn der Schlitten plötzlich den Musher abschüttelt?
Die Hunde wurden immer langsamer und der Schlitten ist nun mitten auf dem zugefrorenen See zum Stehen gekommen. Toll, denkt man, wir halten hier wohl, um nun auf der baumfreien Fläche vielleicht doch noch ein Nordlicht über dem Nachthimmel zu sehen oder zumindest den herrlich klaren Sternenhimmel zu bestaunen. Beim Blick in die Sterne schauen wir Milliarden Jahre zurück in die Vergangenheit, weil ihr Licht eben Lichtjahre braucht, um uns zu erreichen. Vielleicht entdecken wir einen weit entfernten Stern, den es eigentlich schon gar nicht mehr gibt. Raimo schweigt wie gewöhnlich. Doch als man sich nach einer gefühlten Ewigkeit umdreht, um den Musher zum Weiterfahren zu bewegen, ist weit und breit niemand mehr zu sehen. Raimo, so reimt man sich zusammen, muss wohl bei der rasanten Fahrt über holpriges Wurzelwerk aus der letzten Linkskurve gepurzelt sein, bevor es aus dem tief verschneiten Kiefernwald auf den zugefrorenen See ging.
Kurzeinsatz als Aushilfs-Musher
Jetzt nur keine Panik. Huskys haben einen ausgeprägten Orientierungssinn, der sie nie von bekannten Strecken abkommen lässt, selbst wenn diese im Schneesturm nicht mehr zu erkennen sind. Ausserdem kann das Schlittenlenken so schwer auch wieder nicht sein, denkt man. Also raus aus dem Schlitten und hinten breitbeinig rauf auf die Kufen. Gelenkt wird durch Kommandos und Gewichtsverlagerung und falls es zu schnell werden sollte, so hatte es einem Raimo bei einem Halt gezeigt, müsse man mit beiden Beinen auf das Zackenblech springen, das zwischen den Kufen als Bremse dient. Das beruhigt. Zügel wie bei einer Pferdekutsche gibt es keine. Also schön festhalten und lautstark «Go» rufen. Normalerweise setzen sich die Hunde dann in Bewegung, aber eben nur, wenn die Kommandos von ihrem Musher kommen. Dass Xenna, Giho, Alonso und der Rest der Bande trotzdem lossausen, liegt daran, dass Huskys einfach schlau sind. Längst haben sie in weiter Ferne ihren Musher ausgemacht, selbst wenn Raimo nur als kleines Männchen im roten Anorak zu erkennen ist, das aufgeregt am Waldrand mit den Armen fuchtelt.
Später am Lagerfeuer schickt Raimo zum Dank für das glückliche Ende unserer Schlittenfahrt einen Joik hinaus in die Weite der Landschaft. Dieser kehlige, traditionelle Gesang der Samen erinnert ein wenig an einen alpenländischen Jodler. Auch die Huskys scheinen zufrieden mit unserem Kurzeinsatz als AushilfsMusher. Belohnt wird man dafür mit den treusten Hundeblicken der Welt.
Text: Margit Kohl