Wer die unvergleichliche Romantik auf einem traditionellen Windjammer erleben möchte, muss kein professioneller Segler sein.
Den Wind in den Haaren, das Glas Champagner in der Hand, glitzerndes Abendlicht auf der tanzenden Gischt und aus den Lautsprechern klingt «The Conquest of Paradise»: Die Star Clipper setzt ihre mächtigen Segel und nimmt Kurs auf den Sonnenuntergang. Die Stimmung ist erhaben und feierlich. Gemächlich fahren wir aus dem vom Meer umspülten Vulkankrater von Santorini. Segelromantik pur.
Zeitreise durch die Geschichte
Unsere Route von Athen nach Venedig ist ein Klassiker der europäischen Seefahrt. Phönizier, Griechen, Römer, Byzantiner, Venezianer und Osmanen haben diese Strecke bereits befahren. Unser Segeltörn gleicht denn auch einer Zeitreise durch die europäische Geschichte. Santorini, Heimat einer Zivilisation, die älter ist als das alte Athen, Korfu, das venezianische Bollwerk im Kampf gegen die Osmanen, Kotor, dessen sagenhafte Bucht an einen norwegischen Fjord erinnert und von der Unesco als Weltnaturerbe geführt wird, Dubrovnik, Korču und Hvar, historische Schmuckstücke an der Küste Kroatiens – sie alle standen über Jahrhunderte in einem aufreibenden und verlustreichen Spannungsfeld zwischen venezianischen und osmanischen Macht- und Eroberungsgelüsten. Unsere täglichen Ausflüge ins Lehrbuch der Geschichte werden morgensmit fundierten Vorträgen des Cruise Directors vorbereitet. Nach der Rückkehr an Bord wird am Abend an der Tropical Bar unter dem offenen Sternenhimmel leidenschaftlich debattiert. Die gegenwärtigen Spannungen Europas mit der Türkei haben im Licht des historischen Kontextes ein neues Gesicht bekommen. Schwelt da eine Glut, in der eine jahrhundertealte Rivalität wieder auflodern könnte? Wie sind die Ansprüche des Herrschers am Bosporus auf die griechischen Inseln vor der türkischen Küste zu deuten? Die Fragen bleiben unbeantwortet.
Kleiner Junge mit grosser Vision
Mikael Krafft heisst der schwedische Unternehmer, der sich in den Neunzigerjahren mit dem Bau der beiden Schwesternschiffe Star Flyer und Star Clipper einen Kindheitstraum verwirklicht hat. Schon als Knirps war der Stockholmer fasziniert von Segelschiffen. So fasziniert, dass er als Zwölfjähriger ohne das Wissen seiner Eltern in einem kleinen hölzernen Segelboot allein 70 Seemeilen, davon 23 über offenes Meer, segelte, um die ehrwürdige «Pommern», die heute als Museumsschiff in Mariehamn vertäut ist, zu bestaunen. Nach dieser Begegnung war für ihn klar, dass er eines Tages selbst ein traditionelles grosses Segelschiff auf die Ozeane bringen würde.
1987 erinnerte sich Krafft an die Erlebnisse seiner Kindheit: «Wir lagen mit meiner Segelyacht bei St. Martin vor Anker. Es war eine dieser tropischen Nächte. Die Sonne versank gerade im Ozean und eine leichte Brise wehte durch die Takelage. Ich dachte an die Segeltouren meiner Jugend zwischen den 28 000 Inseln im Archipel von Stockholm und wusste: Der Moment war gekommen, um die Träume meiner Kindheit zu verwirklichen.» Mehr als das: Im Jahr 2000 hat Krafft nach den beiden Viermastern Star Flyer (1991) und Star Clipper (1992) auch noch einen Fünfmaster, die Royal Clipper, bauen lassen. Und im Frühling 2018 wird ein viertes Schiff, die Flying Clipper, mit Platz für bis zu 300 Passagiere, vom Stapel laufen.
Gut durchmischte Gästeschar
Nicht nur Segelenthusiasten – auch Familien und jüngere Gäste – fühlen sich auf den Schiffen der Reederei Star Clippers sehr wohl. Die Windjammer fahren in der Karibik, im Mittelmeer und in Asien hauptsächlich kleinere Häfen an und liegen länger als grössere Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Dass die Segel sehr oft erst nach Sonnenuntergang gesetzt werden, schätzen vor allem diejenigen Gäste, die den Abend gern individuell in Restaurants, Bars und Clubs verbringen. Ebenfalls angenehm ist die bunte Durchmischung der Passagiere. Vom erfolgreichen Unternehmer aus Israel über den australischen Restaurantbesitzer bis zur amerikanischen Soziologiestudentin: Die Reisenden stammen aus allen Ecken der Welt.
Cornelia Gemperle, General Manager von Kuoni Cruises, ist selbst ein grosser Fan der Star-Clippers-Schiffe. Auch wegen der entspannten Stimmung an Bord: «Die Gästeschar wächst rasch zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen, zumal sie sich auch aktiv an den Manövern beteiligen kann. Täglich werden mindestens einmal die Segel gesetzt.» Möglich wird die familiäre Atmosphäre auch dank der übersichtlichen Gästezahl (die Zwillingsschiffe Star Clipper und Star Flyer nehmen maximal nur je 170 Passagiere auf) und der vergleichsweise grosszügigen Platzverhältnisse auf Deck. Die schön gestalteten Kabinen auf den beiden Schiffen sind allerdings eng bemessen. Wer auf den Luxus und die Grösse beispielsweise der Suiten der Europa 2 oder der Sea Cloud 2 nicht verzichten möchte, wird auf die Flying Clipper warten müssen. Alle andern werden sich der Faszination und dem Charme der bestehenden Star-Clippers-Schiffe nicht entziehen können.
Von Markus Weber