Familien zog es in Tunesien bislang vor allem nach Djerba, Hammamet und Sousse. Weniger bekannt, aber umso faszinierender ist der «Grand Sud».
Die Badeferienorte Tunesiens erfreuen sich bei Familien grosser Beliebtheit. Das ist verständlich, denn die Tunesier sind sehr kinderlieb und auch das Preis-Leistungs-Verhältnis der meisten Hotels ist bestechend. Nebst Djerba, Hammamet und Sousse gibt es in Tunesien aber noch viel mehr zu entdecken. Will man den «Grossen Süden» Tunesiens kennenlernen, beginnt man am besten auf dem wöchentlichen Viehmarkt der Wüstenstadt Douz. Sie ist bis heute das Handelszentrum für Nomaden und Bauern – und das Tor zur Wüste. Denn gleich dahinter beginnt die sagenumwobene Sahara.
Bereits der erste Blick in die Weite der Wüste lässt ein Gefühl von Freiheit und Erhabenheit aufkommen: rote und weisse Dünen, soweit das Auge reicht. Irgendwann sind die Sanderhebungen so hoch, dass sie auch der beste Jeepfahrer nicht mehr überwinden kann. Dann hilft nur noch der Rücken eines Dromedars.
Natur pur
Kameltouren sind in Douz sehr beliebt und für Jung und Alt gleichermassen geeignet. Unsere Reise in die Wüste gleicht einer Reise zum eigenen Ich. Ohne die gewohnten Annehmlichkeiten wie Radio, TV, Kühlschrank, Badezimmer, Klimaanlage oder Handy-Empfang ist man nach einer kurzen Einführung durch den Kamelführer sehr bald auf sich selbst fokussiert. Genauer gesagt gilt die Konzentration zu Beginn dem Kamel, das wir besteigen sollten. Wir befolgen brav die Anweisungen unserer geduldigen Instruktoren und stellen uns vor das am Boden sitzende Tier, damit es mit uns Bekanntschaft schliessen kann. Dann schwingen wir uns mutig auf das Kissen hinter den Höcker, krallen die Hände fest um den Sattelknauf und richten den Blick erwartungsvoll gen Horizont. Das Kamel scheint begriffen zu haben: Mit zwei abrupten Bewegungen steht es auf und macht sich auf den Weg. Natürlich sind wir beruhigt, dass unser Kamelführer zu Fuss neben dem Tier hergeht.
In Südtunesien ist das Kamel das wichtigste Nutztier. Man schätzt ihre Zahl auf rund
200 000 Exemplare. Vor allem als Last- und Reittier hat es eine grosse Bedeutung, weil es längere Strecken ohne Wasseraufnahme überwinden und eine Last von 200 bis 300 Kilogramm täglich bis zu vierzig Kilometer weit tragen kann. Wenn es Wasser gibt, nimmt es bis zu 120 Liter auf, die es im Gewebe seines Körpers verteilt und speichert. Das Kamel liefert zudem nebst Milch und Wolle auch Leder und Fleisch, denn in Tunesien gezüchtete Kamele landen mittlerweile meistens beim Metzger.
Für uns bedeutet die Begegnung mit dem Kamel vor allem ein einzigartiges Naturerlebnis. Wir geniessen die Sonnenauf- und -untergänge, das Zubereiten der Mahlzeiten, die Pflege der Dromedare, wie unsere einhöckrigen, arabischen Kamele korrekterweise heissen, die Stille der Wüste und nachts ganz besonders den Sternenhimmel. Und wenn dann die Wüstensöhne am Lagerfeuer ihre Geschichten und Witze erzählen oder Lieder voller Sehnsucht anstimmen, herrscht Romantik pur. Das Zeltlager wird jeden Abend durch das Nomadenteam aufgestellt, wobei wir gerne mithelfen. Geschlafen wird auf Matten in einem typischen Beduinenzelt, das sich als sehr stabil und windfest erweist. Wenn möglich übernachten wir aber im Freien – direkt unter dem sternenreichen Himmelszelt.
Unsere Wüstenbegleiter zaubern täglich variantenreiche Kost auf den Teller. Die tunesische Küche basiert auf der Verwendung von Olivenöl und zahlreichen Gewürzen sowie allerlei Gemüse, darunter Tomaten, Rüben, Kichererbsen und Bohnen. Bisweilen wird scharf gekocht, aber keineswegs immer. Traditionell essen die Berber gemeinsam aus einer Schüssel, wobei drei Finger der rechten Hand als Besteck dienen. Fleisch gibt es auf unserem Trekking nur selten und nur dann, wenn es absolut frisch gekauft werden konnte. Besonders geschmeckt haben uns die beiden tunesischen Nationalgetränke, der espressoähnliche Kaffee sowie der Tee – beide stark, heiss und sehr süss in kleinen Gläsern serviert. Obgleich «Alkohol» ein arabisches Wort ist – es kommt von «al kahal» und bedeutet soviel wie «das Zarte» – und der Koran den Rechtgläubigen im Paradies Bäche von Wein verheisst, wissen wir, dass der Islam den Alkoholgenuss verbietet. Natürlich respektieren wir diese Regel und verzichten auf unserem Trekking ebenfalls.
Romantik unter den Sternen
Verlässt man Douz nach den eindrücklichen Wüstenerlebnissen in Richtung Tozeur, durchquert man zuerst den 150 Kilometer langen Salzsee Chott El Jerid. Dann, nach zwei Stunden Fahrt durch die flache, trockene Einöde, sieht man am Horizont eine leuchtend grüne Insel. Es ist keine Fata Morgana, sondern eine aus 200 Wasserquellen gespiesene Oase, in der die beiden Städte Tozeur und Nefta liegen. Trotz der extremen klimatischen Bedingungen mit Höchsttemperaturen bis zu 50 Grad Celsius ist die durch fossile Wasservorräte gespiesene Oase sehr fruchtbar. In Tozeur allein gibt es 150 verschiedene Dattelsorten. Aber nicht nur wegen der Palmenhaine lohnt sich der Besuch von Tozeur. Auch die Medina mit ihren verwinkelten Gassen und überdachten Tunnelwegen ist sehr gut erhalten und wird noch immer von Einheimischen bewohnt. Nach der Ruhe und Weite unseres Trekkings müssen wir uns zuerst direkt wieder an die Betriebsamkeit und Enge der Stadt gewöhnen. Aber die Wüste ist ja zum Glück noch ganz nah und wir beenden den eindrücklichen Tag in der Oase mit einem romantischen Candle-Light-Dinner im Berberzelt unter Palmen und Sternenhimmel.
von Alexandra Voss