Die glänzende Pracht der White-Sands-Wüste ist atemberaubend schön. Doch das Unschuldsgewand täuscht. Die schneeweissen Dünen waren einst Schauplatz eines verheerenden Experiments.
Die Zeiten sind vorbei, als riesige Zonen im amerikanischen Westen als unerforschte Gebiete auf den Landkarten markiert waren. Doch ein weisser Fleck ist in den USA bis heute geblieben. Etwas verloren und weit ab von allen Touristenströmen breitet sich im südlichsten Zipfel des Bundesstaates New Mexico die White-Sands-Wüste aus. 712 Quadratkilometer strahlend weisse Gipsdünen liegen hier im Tularosa-Becken zwischen den Gipfeln der San-Andres- und Sacramento-Bergketten. Starke Südwest-Winde blasen den Gips durch das Becken und gestalten die Landschaft Tag für Tag neu. Bis zu 30 Meter wandern die haushohen Dünen jedes Jahr. Pflanzen, die hier eine Chance haben wollen, müssen schnell wachsen. Tiere, die im bis zu 45 Grad heissen und ganzjährig trockenen Wüstenkessel überleben wollen, dürfen keine hohen Ansprüche haben. Und dennoch: Auch hier, in dieser glitzernden Todeszone, trotzen mehr als 300 Pflanzenarten den Bedingungen, kämpfen 220 Vogel-, 44 Säugetier-, 26 Reptilien-, sechs Amphibien- und sogar eine Fischart ums tägliche Überleben.
Wer als Wanderer durch das weisse Paradies stapft, bekommt von diesem harten Kampf erst einmal nicht viel mit. Ausser ein paar ausgedorrten Seifen-Palmlilien ist entlang den Pfaden kein Leben zu sehen. Viele Tiere verkriechen sich tagsüber im Gips und warten die kühlen Nächte ab. Die meisten Touristen wagen sich nur wenige Meter von der 13 Kilometer langen, befahrbaren Rundstrasse weg. Von hier aus führen mehrere kurze Wanderwege in die seit 1933 unter Naturschutz stehende Dünenlandschaft hinein. Wer Zeit hat und sich aufmacht, den mit orangen Pfosten ausgesteckten Alkali Flat Trail im Herzen der Wüste zu erkunden, hat die glitzernde Weite für ein paar Stunden ganz für sich. Schon hinter den ersten Dünen ist es totenstill, der Himmel strahlt gnadenlos, die Wüste blendet. Hier gibt es nur noch Weiss, und ausser Weiss nur Blau, Blau über unendlichem Weiss. Das ist pure Schönheit, unbefleckte Wildnis, Natur in ihrer reinsten Form.
Verheerendes Experiment im Juli 1945
Doch der Frieden trügt. Vor nicht allzu langer Zeit wurde die White-Sands-Wüste zum Schauplatz eines verheerenden Experiments. Am 16. Juli 1945 zündete eine Forschergruppe rund um den Physiker Julius Robert Oppenheimer inmitten der Gipsdünen die erste Atombombe der Weltgeschichte. Weniger als einen Monat später beendete die amerikanische Streitmacht mit dem Abwurf zweier Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki den zweiten Weltkrieg. Jahrelang hatten Oppenheimer und sein Team – zeitweilig unterstützt von Albert Einstein – in der Kleinstadt Los Alamos im Norden des Bundesstaates New Mexico zuvor an der Atombombe getüftelt. Im Bradbury Science Museum in Los Alamos sind viele Original-Dokumente aus jener Zeit ausgestellt. Auch einige original erhaltene Atom-Laboratorien kann man hier besichtigen.
Der Test in den frühen Morgenstunden des 16. Juli 1945 hinterliess einen drei Meter tiefen und mehr als 330 Meter breiten Krater. Die extreme Hitze der Explosion verwandelte die umliegenden Gipsdünen in grüne Glasberge. Die Druckwelle war noch 160 Kilometer weit weg zu spüren. Noch heute ist die 1945 etablierte White Sands Missile Range, die das Naturschutzgebiet umgibt, eine militärische Sonderzone. Nur an zwei Tagen im Jahr, den ersten Samstagen im April und im Oktober, werden die streng bewachten Tore zur grössten amerikanischen Militärsperrzone für die Allgemeinheit geöffnet. Tausende Menschen pilgern an diesen beiden Tagen jeweils zur sogenannten Trinity Site, der exakten Stelle, wo die Testbombe vor knapp 70 Jahren gezündet wurde. Die Stelle ist noch immer leicht radioaktiv verseucht.
UFOs, Mutanten und die Pavla Blanca
Der Kontrast zwischen der von weisser Unschuld bedeckten Landschaft und dem düsteren atomaren Kapitel hat die Fantasie der lokalen Bevölkerung in den vergangenen Dekaden zum Blühen gebracht. Nirgendwo werden mehr vermeintliche UFO-Sichtungen gezählt als im Süden New Mexicos. In der Kleinstadt Roswell unweit der White-Sands-Wüste gibt es eigens ein Museum, das den Besuchern angebliche Beweise für die geheimen Experimente präsentiert, welche die amerikanische Armee auf der White Sands Missile Range mit Ausserirdischen durchführen soll. Filme wie der Horrorstreifen «Hills Have Eyes» (USA 2006) nähren den Glauben an atomar verseuchte Mutanten, die in den weissen Weiten der White Sands hausen und unschuldigen Passanten auflauern sollen.
Die älteste Schauergeschichte über die White Sands stammt allerdings aus einer Zeit lange vor den atomaren Tests der 40er-Jahre. Als der spanische Entdecker Francisco Coronado 1540 die Gegend auf der Suche nach den sagenumwobenen Goldenen Städten durchquerte, folgte ihm der junge Abenteurer Hernando de Luna. Mitten in den White Sands wurden Coronado und seine Männer von Apache-Indianern überfallen. Hernando de Luna bezahlte seine Abenteuerlust mit dem Leben. Als die Nachricht von seinem Tod nach Hause zu seiner Verlobten Mañuela gelangte, machte sich die völlig verzweifelte junge Frau auf die Suche nach ihrem ermordeten Hernando. Noch heute, so die Legende, weht sie – die «Pavla Blanca» – des Nachts umhüllt von einem weissen Sandkleid durch die weiten Dünen der White Sands und ruft nach ihrem Mann. Und tatsächlich: Wer spätabends durch die Wüste streift, der kann sie manchmal sehen, wie sie ziellos durch die Landschaft wirbelt und plötzlich wieder hinter den weissen Dünen verschwindet.
von Samuel Schumacher
Die erste Atombombe wurde 110 km nördlich von White Sands National Monument gezündet und White Sands Missile Range ist von Trinity Pont sogar 150 km weit entfernt! Das ist mehr als ausreichend, damit KEINERLEI Gefahr für besiedelte Gebiete bestand, weder damals noch heute. Auch für Alamogordo und die Holloman Air Force Base (wo später die Bundesluftwaffe für Trainingszwecke stationiert wurde) bestand jemals eine Gefahr.