Zentralvietnam entwickelt sich zaghaft zu einer Ferienregion. Besucher entdecken ein ursprüngliches Land mit friedvollen Menschen, die Langsamkeit und Entschleunigung zelebrieren.
Lan van Do ist ein kleiner, dürrer Mann. Er wurde in der Provinz Phu Cat in Zentralvietnam geboren, ist dort aufgewachsen und hat seine Heimat nie verlassen. Ohne Übersetzer kann er den Besuchern nichts Wörtliches zu seinem Land überliefern. Und doch erfährt man bei ihm mehr über Vietnam, als mancher Guide berichten könnte. Der Gast blickt in ein faltiges Gesicht mit hellwachen Augen, die sofort die Umgebung scannen. Vietnam ist eines der letzten kommunistischen Länder der Erde, wenngleich die Politik bereits 1986 eine vorsichtige Wende von Marx zu Money einleitete. Aber die Alten wissen immer noch, dass man niemandem von der ersten Minute an trauen darf. So ist Lan lange Zeit zurückhaltend und abwartend. Eisbrecher bei 30 Grad im Schatten ist eine Dose Cola, die ihn dazu bringt, zu lächeln und zu erzählen. Lan hat kaum noch Zähne, eine Spätfolge der Mangelwirtschaft. Heute können die Menschen in Vietnam fast alles bekommen, auch die medizinische Versorgung gilt als ausreichend, selbst in ländlichen Gebieten. Aber viele Vietnamesen sind schlichtweg arm und müssen von rund hundert Franken im Monat leben.
Lan war ein Kind, als er anfing, seinem Vater bei der Arbeit zu helfen. Sechzig Jahre später ist zwar der Vater nicht mehr da, aber der Sohn betreibt noch immer dasselbe Business. Er fertigt vietnamesisches Nationalheiligtum, die Non Las. Das sind jene geflochtenen Kegelhüte, die man aus Filmen, Prospekten und Büchern kennt. Sie spenden Schatten, wenn sich die Frauen in der Hitze des Tages über die Reisfelder beugen, und sie bieten Schutz vor dem prasselnden Wasser, das in der Regenzeit vom Himmel fällt. Die Hüte sind robust und halten lange, Lan präsentiert sein ältestes Exemplar, das vor 170 Jahren entstand.
Kopfbedeckung mit symbolischem Wert
Es gibt nurmehr weniger als hundert solcher Hutmacher wie Lan in Vietnam. «Plastik macht das Geschäft kaputt», erzählt er. Die nachgemachten Non Las sind deutlich günstiger. Wer bei Lan einkauft, muss ab zwanzig Franken rechnen, es können aber auch 275 Franken sein. Bis zu zehn Tage dauert es, einen Hut von Hand zu fertigen. Man braucht dafür die Blätter des Zhang Tree. Sie werden von Hand in Streifen geschnitten, zu Tausenden eingefädelt und verwoben. Die Ringe zum Befestigen schneidet Lan aus der Ananaswurzel, die regen- und sonnenfeste Schicht besteht aus Blättern des Kokosnussbaums. In die Spitze des Hutes sticken die Tanten und Töchter von Lan den Namen des Besitzers ein. Ausserdem erhält jeder Non La Verzierungen auf der Innenseite. Bei Frauen werden traditionell Symbole eingenäht, welche die Tugenden der Vietnamesinnen widerspiegeln sollen: Fürsorge, Schönheit, Geschick und Glückseligkeit.
Wer will, kann sich auch die Symbole für Gelassenheit, Ruhe und Langsamkeit einsticken lassen. Dabei tragen die Menschen in Zentralvietnam all das bereits im Herzen und in den Genen. Gemeinhin kann man sie als die rücksichtsvollsten Autofahrer des Erdballs bezeichnen. Keiner käme auf die Idee, wild zu beschleunigen oder zu drängeln. Selbst die unzähligen Mofas und Roller sind im Verkehr voll akzeptiert. Wer sie überholt, gibt als Vorwarnung ein vorsichtiges Hupzeichen, hält einen grosszügigen Sicherheitsabstand ein und erhöht den Druck auf das Gaspedal nur sanft. So fühlt sich Entschleunigung auf der Überholspur an. An das langsame Tempo muss sich der Europäer erst einmal gewöhnen. Es herrscht auch in der Küche. Die besten Rezepte dauern Stunden und werden nicht gekocht, um satt zu machen, sondern um den Gast mit Freude und Liebe zu erfüllen. Wer Kaffee bestellt, erhält einen Phin-Filter, der auf jede einzelne Tasse gestellt wird. Es handelt sich um den vermutlich langsamsten Brühvorgang der Welt. Europäer schütteln den Kopf über so viel Langsamkeit. Die Vietnamesen lachen über die ungeduldigen Ausländer. Nach zehn Minuten ist die Tasse halb voll. Immerhin schmeckt der Kaffee sehr stark und erinnert ein wenig an italienischen Espresso.
Ein Stück weit ist diese innere Ruhe und Gelassenheit natürlich dem Buddhismus, Religion Nummer eins in Vietnam, geschuldet. Er ist aber nicht so präsent wie in anderen asiatischen Ländern, wo an jeder Ecke ein Tempel samt Ganesha wartet. In Vietnam gibt es in jeder Provinz ein grosses Kloster, was mehr oder weniger der kommunistischen Maxime geschuldet ist, alles zu zentralisieren.
Buddha den Bauch kraulen
Beim Besuch des Tieng-Hung-Klosters nahe der Stadt Qui Nhon trifft man im Eingangsbereich gleich auf den Lieblings-Buddha der Vietnamesen. Di Lac ist ein runder Geselle mit lachendem Gesicht und strahlenden Augen. Er sitzt dort, um zu demonstrieren: Glück, Gesundheit, Geld und Fröhlichkeit sind das Schönste im Leben. Angesichts seiner Körperfülle scheint jede schnelle Bewegung ausgeschlossen. Er ist Sinnbild einer Gesellschaft, die sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Man darf ihm den Bauch streicheln, Selfies sind erwünscht. Es ist ein erfrischender Umgang mit Religion, der sich im Tempel fortsetzt. Die Gläubigen bringen Opfergaben für die einzelnen Götter. Und so stehen auf den Altären Energiedrinks in der Sonderedition und Pralinen in der Designerpackung. Für die Götter muss es schon etwas Besonderes sein. Ein Stück weiter Richtung Qui Nhon steigen Besucher zum tausend Jahre alten, hinduistischen Champa-Tempel empor. Auch wenn es diesig ist, reicht die Sicht auf Hochhäuser der Stadt, die erst in den vergangenen Jahren entstanden sind, und auf die Küste mit ihren Sandbuchten. Nur wenige Hotels und Resorts haben sich bisher dort angesiedelt. Der Touristenboom, der in Vietnam vor rund zwanzig Jahren mit Rucksacktouristen anfing und Zentren wie die Halong-Bucht mit Millionen von Besuchern pro Jahr hervorbrachte, ist noch nicht in Zentralvietnam angekommen. In Planung ist zwar ein Grossprojekt mit Golfplatz und Safaripark in der Nähe des Flughafens. Aber das Meer in der Bucht von Qui Nhon gehört noch den Fischern und nicht den Badegästen.
Die bunten Boote tuckern zu den Fang- und Zuchtkäfigen im Wasser, die nachts beleuchtet sind, weil das Tintenfische anlockt. Bis dato gibt es auch kaum touristische Agenturen, die Rundfahrten oder Ausflüge anbieten. Wer will, muss sich an die Hotels halten. Einige machen sich die Mühe und bieten ein entsprechendes Programm an. Das Anantara Qui Nhon, zu dem auch das günstigere Avani-Hotel gehört, hatb zusammen mit den einheimischen Mitarbeitern ein ansprechendes Ausflugsprogramm auf die Beine gestellt. Die Resortgäste haben die Möglichkeit, Fischerdörfer zu besuchen, Reispapier herzustellen und einen der letzten Hutmacher des Landes kennenzulernen.
Lan findet es gut, dass Besucher nun endlich auch in seine Region reisen. Es bereitet ihm sichtlich Freude, seine Tradition in die grosse, weite Welt hinaustragen zu können. Er weiss aber auch, dass der Tourismus eine Chance für seine Enkel und deren Kinder ist. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Familie nochmals drei Generationen vom Non-La-Business leben kann, ist eher gering.
Text Christian Schreiber
Bild iStock
Gut zu Wissen
Anreise: Edelweiss fliegt von November bis März jeweils montags und donnerstags nonstop von Zürich nach Ho Chi Minh City. www.flyedelweiss.ch
Hotels: Das edle Resorts Anantara Qui Nhon Villas liegt direkt an der gleichnamigen Bucht.
Das Avani ist hübsch und preiswert.