Immer mehr Spitzengastronomen bieten in ihren Gourmettempeln Weine vom Zürichsee an: Die edlen Tropfen von der Goldküste sind selbst im internationalen Vergleich einen Schritt voraus.
Nach diesem Sommer, der keiner war (2014), erstaunt Cécile Schwarzenbachs (56) Aussage: «Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Trauben in unseren Rebbergen hängen gesehen. Haben wir in den nächsten Wochen warme Tage und kühle Nächte, wird der Jahrgang 2014 gut.» Sie muss es wissen, gehört sie doch zusammen mit ihrem Mann Hermann (57), Sohn Alain (31) und dessen Freundin und ausgebildeten Winzerin Marilen Muff (29) zu den Machern des in der fünften Generation geführten Familienbetriebs Schwarzenbach Weinbau in Meilen am Zürichsee. Inzwischen bringen es die Schwarzenbachs bei acht Hektar auf eine Jahresproduktion von 60 000 Weinflaschen, wobei die wichtigsten Rebsorten der Blauburgunder (2,2 Hektar) sowie die Weissweinsorten RieslingSilvaner (1,5), Sauvignon Blanc (1,5) und Räuschling (2,2) stellen.
Letztere ist eine alte Rebsorte, die schon in der Römerzeit kultiviert wurde und noch im 20. Jahrhundert zu den schweizweit am meisten verbreiteten Weintrauben gehörte. Da der Räuschling im Anbau als aufwendig gilt – der Ertrag ist unregelmässig, bei regnerischem Herbstwetter platzen die Beerenhäute –, wurde er immer seltener. Und seine markante Säure kommt bei Weineinsteigern meist weniger gut an als etwa RieslingSilvaner. Heute gehört der Räuschling wieder zu den Spezialitäten am Zürichsee und wird von rund zwei Dutzend Winzern angebaut. Der Räuschling der Lage Seehalden von Schwarzenbach wurde sogar in die Mémoire des Vins Suisses aufgenommen. Der Verein berücksichtigt nur hochwertige Schweizer Weine mit Alterungspotenzial. Dank der Säure kann man den Räuschling Seehalden – die ersten Reben wurden 1989 gepflanzt – gut zehn Jahre lang lagern und sollte ihn erst ab dem dritten Jahr geniessen. Besitzer Hermann Schwarzenbach hat letzthin sogar einen Räuschling von 1895 – nein das ist kein Tippfehler – kredenzt, den man noch immer trinken konnte!
Höhere Öchslegrade dank Klimaerwärmung
Die Südlage Seehalden auf 420 Metern über Meer sorgt für grosse Weine mit einer feinen Zitrusaromatik und floralen Düften, was sie zu idealen Begleitern für Süss und Salzwasserfische, Krustentiere, ja sogar für Kalb und Geflügelfleisch sowie Käse macht. Sowohl der einst als sauer verschriene Räuschling als auch der wenig schmeichelhaft als BeerliWy bezeichnete Blauburgunder haben heute bei Schwarzenbach ein ganz anderes Format. «Früher hat man alle Trauben geerntet. Jetzt wählen wir bewusst nur einen Teil davon aus», begründet Cécile Schwarzenbach die Qualitätssteigerung. Und: «In der Vergangenheit starteten wir mit der Weinlese nie vor Oktober. Nun beginnen wir bereits Mitte September.» Die Reblagen am Zürichsee profitieren von der Klimaerwärmung, was gleichzeitig zu höheren Öchslegraden führt.
Ihr Sohn Alain, der nach einer Winzerlehre Erfahrungen in Neuseeland und Australien sammelte und in Wädenswil mit der Meisterprüfung abschloss, möchte Weine machen, die das Gebiet repräsentieren. «Unser Terroir wird völlig unterschätzt. Die Leute denken, wenn das Wetter kalt und schlecht ist, könne es ja keine guten Weine geben. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.» Heute würden sich viele Neuzuzüger für die Meilener Weine interessieren; den Weinbauern am Zürichsee nützt der Trend hin zu mehr Regionalität.
Winzer Erich Meier (40) aus dem benachbarten Uetikon am See betont, dass die ZürichseeWeine heute auch vom Glarner Föhn und der optimalen Bodenbeschaffenheit profitieren. Er, der sich nach einer Schreinerlehre und einer Winzerausbildung in Maienfeld und im Rafzerfeld 1995 entschied, den elterlichen Betrieb zu übernehmen, bewirtschaftet heute als Selbstkelterer 6,3 Hektar und produziert jährlich 32 000 bis 35 000 Flaschen mit elf Traubensorten. Blauburgunder, Chardonnay und Sauvignon Blanc sind seine wichtigsten. Er bezeichnet sie als «TopSorten». In den letzten 13 Jahren hat Meier die Rebfläche verfünffacht, wobei er einen Teil davon nach wie vor pachtet.
Meier bestätigt, was auch Cécile Schwarzenbach voraussagt: «Der Ertrag in diesem Jahr ist gut. Da sich meine Rebberge in einer Höhe von 480 bis 550 Metern befinden, wird die Weinlese bei schönem Wetter bis in den November reichen.» Die Weine des nebenberuflichen Feuerwehrmanns der Gemeinden Uetikon und Männedorf sind weniger fruchtbetont, deshalb vielmehr Essensbegleiter als nur Aperitif. Der im Holzfass ausgebaute Pinot Noir und der Chardonnay verkaufen sich sehr gut und mit dem Viognier gehört Meier zu den wenigen Winzern der Region, die auf diese weisse Sorte setzen. Der Winzer aus Uetikon hat sich wie die Familie Schwarzenbach durchgesetzt: Seine edlen Tropfen finden sich heute in der gehobenen Gastronomie wie im Dolder Grand, im Park Hyatt und im Mesa in Zürich, im Adler Hurden oder im Seven in Ascona
Die Kaufkraft der Zürcher nutzen
Am Zürichsee fühlt sich auch der Sauvignon Blanc wohl, wie das Weingut Schwarzenbach mit seinem gelungenen Vertreter beweist. Es ist der Lieblingswein von Cécile Schwarzenbach. Sehr zugänglich zeigt sich der Lemberger, der in Österreich als Blaufränkisch bekannt ist. Für eine weitere Spezialität in Meilen sorgt der Freisamer, eine Neuzüchtung aus Silvaner und Grauburgunder. Hauptsächlich auf Räuschling und Pinot Noir setzt Diederik Michel (41). Er hat seinen holländischen Vornamen als Namensgeber für seinen Weinbetrieb benützt und sich erst dieses Jahr als Winzer in Küsnacht selbständig gemacht. Als zweifacher Familienvater geht er ein Risiko ein. Nach einem abgebrochenen Wirtschaftsstudium hat Michel bereits vor 15 Jahren seine Liebe zum Wein entdeckt, arbeitete vorerst aber als Chef de Bar im Velvet in der Nähe des Paradeplatzes in Zürich sowie im Gran Café am Limmatquai. 2011 bis 2013 war er Kellermeister bei Zweifel. Ein Berufsberater sagte Michel nach diversen Tests, dass er in der Hotellerie oder in der Önologie seine Erfüllung finden werde; 2013 ist sein erster Weinjahrgang. Dazu unterhält er mit der Winzerfamilie Welti einen Pachtvertrag. Unterstützt wird Diederik Michel von seiner Frau Patricia (36). Die gelernte Krankenschwester hilft beispielsweise bei der Auswahl der Etiketten. «Ich schaute Betriebe in Australien an. Die waren mir viel zu weit weg. Danach absolvierte ich ein Praktikum in Bandol und suchte dort nach einer Möglichkeit. Doch in Südfrankreich hat es nur Weine und fast keine Konsumenten», begründet Diederik Michel den Start am Zürichsee. Er glaubt, dank der Nähe zu Zürich und der Kaufkraft der Bevölkerung reüssieren zu können. «Hier kenne ich die Menschen und weiss, wie sie ticken.» Am meisten freut er sich derzeit über seinen Pinot Blanc. Mit dem ersten Jahrgang 2013 ist ihm der Start ins Winzergeschäft gelungen. Und es sieht alles danach aus, als ob der neueste Jahrgang noch besser wird
von Reto E. Wild
Ich stelle es mir sehr schön vor, sein Leben als Winzer am Zürichsee zu leben…