Genf ist der drittwichtigste Weinbaukanton der Schweiz – und der am meisten unterschätzte jenseits des Röstigrabens. 2015 verspricht, ein Jahrhundertjahrgang zu werden.
Gleich drei Genfer Weingüter sind Teil der renommierten Mémoire des Vins Suisses, was die Bedeutung von Genf als Weinbaukanton unterstreicht. Eines dieser drei Güter ist die Domaine des Balisiers in der Ortschaft Satigny, die zusammen mit Dörfern und Weilern wie Peissy, Peney-Dessus oder Chouilly in der Nähe der Genfer Grossstadt die grösste Schweizer Weinbaugemeinde stellt. Auf 30 Hektar produziert das Weingut jährlich aus 14 Rebsorten rund 150 000 Flaschen. Comte de Peney nennt sich der biodynamische Mémoire-Wein, eine gelungene Assemblage aus Cabernet Sauvignon (67 %) und Cabernet Franc (33 %).
In Peissy befindet sich die Domaine Grand’Cour, die ebenfalls zur Schatzkammer des Schweizer Weins gehört. Seit 1994 widmet sich Jean-Pierre Pellegrin – in der neunten Generation – diesem Weingut. Der 54-jährige Genfer gilt unter den Schweizer Winzern als Meister der Präzision und wurde kürzlich von GaultMillau zusammen mit rund einem halben Dutzend anderen Schweizer Winzern als Ikone bezeichnet – eine Ehrung für sein Lebenswerk. Sein Vater hatte die Trauben der Domäne noch an die Genossenschaft geliefert, die bei grösserer Menge mehr zahlte, jedoch finanziell angeschlagen war. Jean-Pierre entschied sich, die Rebstöcke aus Chasselas und Gamay auszureissen, den 600 Jahre alten Hof und den Keller zu renovieren und in den sanften Hängen 20 Rebsorten auf 15 Hektar zu kultivieren. Heute beträgt die Jahresproduktion rund 50 000 Flaschen mit wenig bekannten Sorten wie Auxerrois, Kerner oder Gamaret.
«Damals wurden in ganz Europa schlechte Rebstöcke gepflanzt, die zu Massenweinen ohne Gout führten. Unsere einzige Lösung war ein radikaler Wechsel», begründet Pellegrin. Der Kurswechsel zahlte sich aus: Heute keltert Pellegrin präzise Weine. Sein roter Mémoire-Wein Grand’Cour gehört zu den finessenreichsten Schweizer Assemblagen auf Bordeaux-Basis, sein reiner Pinot Perhielt 2012 und 2015 am Mondial des Pinots in Sierre jeweils eine Goldmedaille. Das Motto des Ausnahmekönners: schöne Weine so natürlich wie möglich zu produzieren. Auch dank ihm gehört der Kanton Genf zum Besten, was die Schweizer Weine zu bieten haben; die Domaine Grand’Cour zählt zur landesweiten Spitze.
Spitzenjahr dank viel Sonne
Besonders schön wird der Jahrgang 2015. «Es war ein Spitzenjahr wie 1945. Es war nicht zu warm wie etwa 2003. So einen fantastischen Jahrgang haben mein Vater und ich noch nie gesehen.» Als ältester Winzer in Peissy hätte sein Vater nie gedacht, dass man in Genf aus Merlot, Syrah und Cabernet so füllige Beeren mit intensiver Farbe pflücken könne. Sogar 2013, ein Jahr mit viel Regen und wenig Sonne, habe schöne Weine hervorgebracht. «Ja», meint Jean-Pierre Pellegrin, «wir profitieren vom Klimawandel. Wir haben viel mehr Sonne als früher, immer weniger Nebel und seit drei, vier Jahren eine Art Föhn wie im Wallis, und wir wissen nicht weshalb.» Der Walliser Winzer Denis Mercier vermutet deshalb, dass schon in einigen Jahren die besten Lagen für Schweizer Blauburgunder in Genf sein werden. Und Pellegrin ergänzt, dass die Rebstöcke inzwischen, wie fast überall in der Schweiz, pro Quadratmeter viel mehr Trauben hervorbringen würden. Das erlaubt den Winzern, nur die schönsten Beeren auszuwählen. Die Zukunft seines Weinguts scheint gesichert: Seine Tochter Chloé (20) und sein Sohn François (18) helfen manchmal im Keller aus. Sie seien sich der Bedeutung des Erbes durchaus bewusst.
Gamaret sorgt für Weinbaurevolution
Das Beispiel der Domaine Grand’Cour zeigt: «In den Genfer Weinbergen hat sich in den letzten Jahren eine Weinbaurevolution abgespielt», wie das «Vinum» in einer Extraausgabe zu Genf schreibt. Und für einen Teil dieser Revolution ist die neugezüchtete Rotweinsorte Gamaret (Kreuzung aus Gamay und Reichensteiner) verantwortlich. Vor 30 Jahren erstmals gepflanzt, nimmt sie heute in Genf gegen einen Drittel der schweizweiten Gamaret-Produktion ein. Die schnell reifende Neuzüchtung sorgt für farbkräftige, würzige, tanninhaltige Rotweine, die den Brückenschlag zwischen dem traditionellen Duo Pinot Noir/Gamay (im Wallis als Dôle bekannt) und den anderen Rotweinsorten ermöglichen.
Das dritte Mémoire-Weingut ist die Domaine Les Hutins aus dem Dorf Dardagny direkt an der Grenze zu Frankreich. Auf 19 Hektar umfasst sie 15 Traubensorten – ein weiterer Beweis für die enorme Sortenvielfalt im Weinbaukanton Genf. Auch Emilienne Hutin (46) sagt, dass 2015 «exceptionnel» werde. Die Qualität, die Art, wie die Beeren gereift sind, und der hohe Alkoholgehalt veranlassen die Winzerin zu dieser Aussage. Sie vertritt ebenfalls die Ansicht, dass Genf vom Klimawandel profitiert. «Wir dürfen aber nicht vergessen, was dies für unseren Planeten bedeutet», gibt die Genferin zu bedenken.
Ihr Mémoire-Wein ist übrigens der Sauvignon Blanc, eine ihrer Lieblingstraubensorten. Sie versucht, mit ihren Weinen, die tendenziell eher trocken, aber fruchtig und strukturiert sind, die Jahrgänge zu repräsentieren. Und in Zukunft möchte sie die Anbaufläche mit biodynamischen Weinen erhöhen. Unterstützung hat sie von ihrem Mann Jean Hutin und dem 23-jährigen Sohn Guillaume. Der gelernte Patissier hilft punktuell in Dardagny aus. Das Trio stellt einen weiteren Trend fest: mehr und mehr entdecken Kunden aus Frankreich diese Ecke der Schatzkammer des Schweizer Weins.
Von Reto E. Wild