Wer gerne gut essen geht und dazu einen schönen, lokalen Wein mag, fühlt sich in Kapstadt und Umgebung wie im siebten Himmel. Gastronomie und Weinbau haben gewaltige Fortschritte erzielt.
Das Ellerman House von Relais & Châteaux in Südafrika, hoch über dem Atlantik und zehn Taximinuten von Kapstadts bekannter V&A Waterfront gelegen, gehört weltweit zu den besten Hoteladressen. Der Service ist persönlich, die Aussicht auf die Stadt, das Meer und den Lion’s Head schlicht einmalig. Essen und Trinken werden hier zelebriert.
Südafrika ist das richtige Land dafür. Die Weinindustrie beschäftigt heute 340 000 Arbeitnehmer. Die Anbaufläche dehnt sich auf insgesamt 110 000 Hektar aus und ist damit gut sieben Mal grösser als die Rebfläche der Schweiz. Der Weinführer John Platter’s bewertete in seiner jüngsten Ausgabe 7000 südafrikanische Weine. Inzwischen gibt es im Land über 560 Weingüter. Der Weinbau in Südafrika blickt auf eine lange Geschichte zurück, wurde doch schon 1659 der erste Wein mit Rebstöcken aus Frankreich gekeltert. Mit dem Ende der Apartheid und der damit verbundenen Sanktionen erlebt die Weinindustrie seit 1994 einen Boom.
Am erstaunlichsten zeigt sich die Entwicklung am Weingut Eagles’ Nest im Weingebiet von Constantia, 20 Fahrminuten von Kapstadt entfernt. Kaum zu glauben, dass Eagles’ Nest erst 2005 die erste Ernte eingefahren hat. Nationale und internationale Weinmagazine überschütten insbesondere den Shiraz mit Spitzennoten. Winzer Stuart Both (29), der in Stellenbosch studiert und sich in Saint-Émilion im Bordeaux weitergebildet hat, ist seit 2007 für das «Boutique»-Weingut verantwortlich: «Wir lernen noch immer und analysieren jeden Rebberg. In Zukunft möchte ich nicht nur den besten Shiraz im Land, sondern auch den besten Merlot.»
Grösste Fortschritte mit Chenin Blanc
Eagles’ Nest profitiert von einem durch den Atlantik geprägten kühlen Klima im Tal von Constantia, was bei den Rotweinen zu Eleganz bei gleichzeitiger Aromentiefe und mineralischer Frische führt. In der Provinz Westkap, wo praktisch alle Weine des Landes angebaut werden, sind die meisten Weingüter nicht mehr als fünfzig Kilometer von der Küste entfernt. Die Weinjournalistin Winnie Bowman, die zu den Juroren von Platter’s gehört, erzählt: «In den letzten Jahren gab es gerade bei den Mittelklasseweinen eine enorme Qualitätssteigerung.» Die grössten Fortschritte seien mit der Traubensorte Chenin Blanc erzielt worden. «Früher waren das billige Weine. Heute ist es Südafrikas Sonne in einer Flasche. Chenin Blanc gehört in Afrika die Zukunft.» Zusammen mit Sauvignon Blanc und Chardonnay gehört er zu den drei grossen weissen Rebsorten am Kap.
Ganz auf die Sorten Chenin Blanc und Cabernet Franc konzentriert sich das Familienweingut Raats, das sich an der Vlaeberg Road ausserhalb von Stellenbosch befindet. Bruwer Raats (44), Vater dreier Söhne, schloss 1995 die Landwirtschaftsschule Elsenburg in Stellenbosch ab, arbeitete danach in Bordeaux, im Napa Valley, in Rheinhessen und in der Toskana. Seine Philosophie: «Es gibt Winzer, die haben 18 Weine im Angebot. Alle sind okay, aber keiner ist wirklich gut. Ich möchte Spezialist sein und arbeite deshalb fast nur mit Chenin Blanc und Cabernet Franc, die Südafrika widerspiegeln. Ich hasse es, wenn lokale Winzer sagen, ihre Weine seien wie ein Bordeaux.» Raats Eltern produzierten einfache Tafelweine. Anfangs konnte ihr Sohn, der vor 14 Jahren übernommen hatte, seine Weine nicht verkaufen, weil die Südafrikaner nicht für Qualität bezahlen wollten. «Heute gibt es hier eine neue Generation von 25- bis 45-jährigen Qualitätswein-Geniessern.» Dabei sollte man wissen, dass es den Raats Original Chenin Blanc (ohne Eichenfass) vor Ort schon für umgerechnet 7 Franken gibt. Wie für die meisten südafrikanischen Weine muss man in der Schweiz für die gleiche Flasche jedoch mehr als doppelt so viel bezahlen. «Die südafrikanischen Weine sind zu preiswert», urteilt Weinjournalistin Bowman. 800 Rand oder 64 Franken kostet hingegen das Flaggschiff von Raats: der Mvemve Raats De Compostella. Die Raats produzieren ihn mit Mzokhona Mvemve, der 2002 als diplomierter Önologie der erste schwarze Winzer in Südafrika war. «Wein war nie Teil der Kultur der Schwarzen. Mzokhona ist in einer Township in KwaZulu-Natal aufgewachsen, wo man Bier und Whisky trinkt», begründet Bruwer, weshalb es fast keine schwarzen Winzer gibt.
«Zwischen Neuer und Alter Welt»
Tokara, fünf Kilometer oberhalb von Stellenbosch gelegen, gehört ebenfalls zu den Spitzenweingütern des Landes und fuhr die erste Ernte im Jahr 2000 ein. Hier wirkt Miles Mossop (42), seit 1998 Önologe, der sich in Australien, im Languedoc-Roussillon, im Napa Valley und auf Sizilien weitergebildet hat. Das Mitglied der «Cape Winemakers Guild» sorgt für klassische Weine mit eleganter Struktur und jährlich 600 000 Flaschen. Der Leitsatz des dreifachen Familienvaters: «Enjoy drinking», sagt er lachend. Er sieht mit seinen längeren Haaren wie ein Surfer aus. Surfen und Fischen gehören denn auch zu seinen Hobbys. Danach wird der Riesling- und Barolo-Fan ernsthaft: «Ich möchte die Terroirs widerspiegeln und mag frische, elegante Weine mit Körper und Frucht. Südafrikanische Weine haben ihren eigenen Stil und sind etwas zwischen Neuer und Alter Welt.»
Gleich um die Ecke befindet sich das Delaire Graff Estate. Weinkritiker John Platter persönlich kaufte es 1982; heute wird es vom Schmuckhändler Laurence Graff geführt. Es ist gleichzeitig auch Relais & Châteaux-Restaurant mit einer wunderschönen Aussicht auf die Rebberge. Winzer Morne Vrey (36) macht charaktervolle Weine, die Terroir und Frische zeigen. 60 Prozent davon werden exportiert, in die Schweiz, nach Grossbritannien, Holland, Belgien, Deutschland und die USA. Der Rest wird ab Hof verkauft oder in den eigenen Restaurants konsumiert. Der Botmaskop erhielt eine Auszeichnung als beste Cuvée des Landes. Vrey sagt: «In der südafrikanischen Weinindustrie gibt es viele neue Gesichter, die in Übersee gearbeitet haben. Die Weine werden ehrlicher, frischer und wirklich gut. Wir können stolz darauf sein, was wir in den letzten 15 Jahren erreicht haben – und die Weine sind erschwinglich!» Morne Vrey und seine Weine sind bester Beweis dafür.
Text und Bilder Reto E. Wild