Robert Parker ist auf das Tessin aufmerksam geworden und bewertet 13 Weine mit Spitzennoten. Die Auszeichnungen sind ein Beweis für die Qualitätsoffensive in der Sonnenstube der Schweiz.
Vor knapp vier Jahren titelte «artundreise»: «Die Erfolgsstory des Tessiner Merlots» und schrieb unter anderem über den sensationellen Erfolg des Winzerduos von der Crone Visini, das mit seinem Spitzenwein Balin, der hauptsächlich aus Merlot besteht, in einer Blinddegustation Château Pétrus geschlagen hat. Für eine solche Flasche bezahlt man je nach Jahrgang über 8000 Franken, während Balin für unter 50 Franken erhältlich ist. Und nun ist vor ein paar Wochen just dieser Balin wieder ins Gespräch gekommen: Der Wein der Mémoire des Vins Suisses, der Schatzkammer des Schweizer Weins, die für besonders authentische und lagerfähige Tropfen steht, gehört zu jenen 13 Tessiner Weinen, die das Verkostungsteam rund um «Weinpapst» Robert Parker mit 90 und mehr Punkten bewertet hat und so gleichwohl in die Champions League der weltbesten Weine erhob. Balin brachte es auf 90+ Punkte. Der Scala 2013, der zu 90 Prozent aus Merlot und zu je fünf Prozent aus Cabernet Sauvignon und Petit Verdot besteht, sogar auf 92 Punkte.
Der Zürcher Oberländer Paolo Visini (52), der die Weine zusammen mit Geschäfts- und Lebenspartnerin Anna Barbara von der Crone (55) in der Nähe von Lugano produziert, freut sich: «Das ist eine schöne Anerkennung und gibt uns Mumm, auf unserer Linie weiterzufahren.» In den vergangenen Jahren habe man auch im Ausland bemerkt, dass es in der Schweiz nicht nur gute Uhren, Käse und Schokolade, sondern auch schöne Weine gibt. «Die Tessiner Merlots können sich auf dem internationalen Parkett zeigen.» Viel mehr Reaktionen als auf die Parker-Bewertung erhielt das Winzerpaar allerdings auf den Mondial du Merlot 2015: Da gewann der Balin des Jahrgangs 2012 mit 94,4 Punkten den Titel «bester Schweizer Merlot». Das Tessin räumte an diesem Wettbewerb neun Goldmedaillen ab. Die Südschweiz überzeugte auch in der Degustation von «artundreise» (siehe Kasten in der Ausgabe 2/2017).
Diese Erfolgsmeldungen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, «dass die letzten Jahre eine Herausforderung waren». Visini spricht die Wetterkapriolen an: 2014 war es gerade im Tessin sehr feucht und regnerisch – ein ideales Klima für die Kirschessigfliege, die Eier in die Trauben legt. Das Folgejahr war trocken und sorgte für kleine Erträge, 2016 war das Jahr der schweren Gewitter. Visini: «Wir machen schon seit 23 Jahren Weine. In den letzten Jahren wurde das Wetter immer extremer.»
Das Tessin, immer wieder als Sonnenstube der Schweiz betitelt, hat mit intensiven Niederschlägen ein für die Weinproduktion herausforderndes Klima. Visini und von der Crone testen deshalb Alternativen zur Merlot-Traube, die über 80 Prozent der Tessiner Rebfläche einnimmt. Die Traube gilt als anfällig für Mehltau. Die Italiener seien diesbezüglich weiter und hätten resistentere Kreuzungen aus Cabernet und Merlot geschaffen.
«Tessiner Merlot ist eleganter»
Noch besser als von der Crone Visini schnitten bei Parker die Weine von Christian Zündel (65) ab. Die Weine des Deutschschweizers, der im Tessin 1986 seinen ersten Merlot-Jahrgang kelterte, gehören zu den grossen der Schweiz, der Chardonnay Dosso ist ebenfalls Teil der Mémoire des Vins Suisses. Der reinsortige Merlot Sass 2013 erhielt 94 Parker-Punkte, der Orizzonte 2013 (95 Prozent Merlot, der Rest Cabernet Sauvignon) 93, der Dosso 2014 ebenfalls 93, der Villa 2013 (Merlot) und der Chardonnay Pianelle 2014 je 92 Punkte. «Wäre das vor zehn Jahren passiert, wäre ich erschrocken. Damals trafen die hoch bewerteten Weine nicht meinen Geschmack», sagt Zündel. Er war überrascht von den guten Noten, «weil meine Weine speziell und eigenständig sind. Fette, mächtige Weine haben mich nie interessiert.» Er habe sich schon lange emanzipiert und sich eher an den Nebbiolos des Veltlins oder des Piemonts orientiert. Was ihm die Parker-Bewertungen bringen, könne er nicht abschätzen. «Früher lösten gute Noten sofort Bestellungen aus. Heute sind die Konsumenten besser informiert.»
Obwohl Parker gleich ein Dutzend Tessiner Weine auszeichnete, gibt Zündel zu bedenken: «Der Hauptmarkt der Schweizer Weine ist noch immer die Schweiz. Trotz Parker sind wir international nicht sehr präsent.» Wirklich gute Schweizer Weine seien im Vergleich mit dem Ausland allerdings trotz hoher Lohnkosten nicht teuer. Entsprechend exportiert der Winzer, der an der ETH Naturwissenschaften studierte, nach Deutschland, Österreich und Italien. «Der Tessiner Merlot ist feiner und eleganter als andere. Viele haben realisiert, dass super potente Weine langweilig sind.» Angesichts des Klimawandels profitiere sein Weingut davon, dass es in Beride liegt, einer der kältesten Weingegenden des Tessins, 18 Kilometer westlich von Lugano.
«Der Merlot ist zurzeit die Sorte, welche hier für die besten Weine sorgt. Das muss aber nicht immer so bleiben. Der Kanton ist auch ein interessantes Weissweingebiet.» Zündel betont, dass es im Tessin einst zwölf Weissweinsorten gab. Sein Chardonnay Dosso hat inzwischen fast so viel Erfolg wie seine Roten. Wohin die Reise geht, werden seine Kinder mitbestimmen: Myra (25) hat eine Winzerausbildung in Auvernier am Neuenburgersee absolviert, Manuel (27) ist Ingenieur, aber am Betrieb beteiligt.
Im Tessin rückt eine neue Generation von Winzern nach. Cristina Monico (37) vom Weingut Moncucchetto und Jonas Huber (34) von Huber Vini sind Mitglieder der Vereinigung «Junge Schweiz – neue Winzer». Monico, die seit 2009 bei Moncucchetto oberhalb des Luganersees arbeitet und für den Winzerverband im Tessin ein Terroirstudium über den Merlot abschloss, sagt: «Das Tessin kann sich mit den besten Merlot-Regionen der Welt vergleichen. Allerdings können die Jahrgänge komplett verschieden sein.» Entscheidend sei, elegante Weine mit schöner Balance zwischen Säure und Struktur zu machen, keine schwere Tropfen. Sie selbst sorgt im 5,5 Hektar grossen Weingut mit dem von Mario Botta geschaffenen Weinkeller für solche Weine und verantwortet 30 000 Flaschen pro Jahr. «Ich bin eine starke und direkte Persönlichkeit, nicht immer einfach. Und so sind auch meine Weine», sagt die Winzerin, die sich in Neuseeland weiterbildete und dort gelernt hat, wie man mit starken Regenfällen umgehen muss.
Einflussreiche Höhenunterschiede
Jonas Huber hat von seinem Vater Dani Ende 2016 den in einem renovierten Malcantoneserhaus aus dem 17. Jahrhundert untergebrachten Weinbaubetrieb übernommen. Der Vater arbeitet noch mit, kümmert sich aber mehr um den Verkauf. Die Rebberge dehnen sich auf einer Fläche von 6,8 Hektar aus. «Dani hat mich in die Geheimnisse eingeführt. Ich will unseren Betrieb nicht gross verändern. Wir haben gute Produkte», sagt der neue Chef, der seine Karriere 2007 mit einem Praktikum bei Raymond Paccot in Féchy begann und danach längere Zeit in der Westschweiz blieb.
2017 wird nun der erste Jahrgang unter seiner Führung. Die Verantwortung ist gross, denn mit dem Montagna Magica (95 Prozent Merlot, 5 Prozent Cabernet Franc), wird im Malcantone ein weiterer Mémoire-Wein gemacht. Die Philosophie des Jungwinzers: «Ein Wein muss eine eigene Persönlichkeit haben, eine schöne Säure, die Frische bringt, und er darf nicht zu viel Alkohol enthalten. Er darf nicht ermüden und muss begleiten können. Ich suche Finesse und Eleganz.» Seine Lieblingstraube ist der Merlot. «Wir produzieren Terroirweine um zu zeigen, dass schon 100 Meter ausreichen, um komplett andere Weine herzustellen.» Und wie einer, der schon lange im Geschäft ist, sagt er zum Schluss: «Wir sind ein kleiner Kanton, der nur wenige Flaschen produziert. Aber die Qualität ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.»
Von Reto E. Wild, Bild Ticino Turismo
Ein neues Haus für Tessiner Weine
Das Tessin ist um eine Attraktion reicher: In der alten Mühle von Ghitello in Morbio (Autobahnausfahrt Chiasso), wunderschön am Eingang eines Geonaturpfads gelegen, wurde Ende März 2017 die Vinothek «Casa del Vino» eröffnet. 41 Weingüter, die für 90 Prozent der Tessiner Weinproduktion stehen, offerieren hier im Mendrisiotto 200 Weine – darunter auch jene der porträtierten Winzer. Spezialitäten wie Salami, regionale Brote oder Alpkäse runden das gastronomische Angebot ab.
Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag, 11 bis 21 Uhr, sonntags 11 bis 18 Uhr.