Auf diesem Stadtrundgang spaziert der Tod mit. Laut Sänger und Dichter Georg Kreisler muss er ein Wiener sein, denn nur dieser hat das richtige Gespür und findet den richtigen Ton. Wenngleich er manchmal sehr direkt ist.
Im Heurigenlokal Mayer am Pfarrplatz ist gerade Ganslzeit. Das bedeutet, es ist November, der Monat, in dem die Martinigänse ihr Leben lassen müssen, weil sie der Legende nach den heiligen Martin von Tours verraten haben. Und die Rache dauert wohl so lange an, wie es Brauch ist, Martinigänse genüsslich zu verspeisen. Doch die Gäste des Mayer kommen nicht nur der Gänse wegen, sie geniessen auch die spezielle Atmosphäre, die zwischen beschwingter Heiterkeit und todessehnsüchtiger Melancholie pendelt.
Dafür sorgt Sänger und Akkordeonist Kurt. Mal spielt er lüpfige Melodien, mal singt er Lieder von Liebe und Tod, vom Wein und von Wien – wie er das bereits seit 66 Jahren tut. Zum Repertoire des 81-Jährigen gehört selbstverständlich auch eine der berühmtesten Melodien, die mit Wien in Verbindung gebracht wird: «Der Dritte Mann», im Original von Anton Karas auf seiner Zither gespielt.
Museum für Filmfans
Der eingänglichen Melodie begegnen wir im «Dritte Mann Museum» wieder – und auch dem Originalinstrument. Durch glückliche Umstände ist Gerhard Strassgschwandtner, Sammler, Kurator, Museumsbesitzer und Gästeführer in Personalunion, in den Besitz der Zither gekommen. Und er ist schon ein wenig stolz darauf, dass er nun das Original ausstellen kann – neben wohl Tausenden von Exponaten, in Form von Bildern, Schallplatten, Filmprojektoren und Gegenständen aus Wiens Nachkriegsjahren. Es gibt kaum einen, der sich besser mit dem Stoff «The Third Man» auskennt als Strassgschwandtner.
Regisseur Carol Reed drehte den Spielfilm 1948 im zerbombten Wien. Der Filmklassiker handelt vom Amerikaner Harry Lime, der aus einem Krankenhaus Penicillin stehlen lässt, es verdünnt, zu Wucherpreisen verkauft und damit den Tod vieler kranker Menschen verursacht. Während einer spektakulären Jagd durch Wiens Kanalisation wird Harry von seinem einst besten Freund erschossen. Und genau durch diese Kanalisation führt eine Tour für interessierte Touristen.
Ab in den Untergrund
Mit einem Helm ausgerüstet, steigen wir im Girardipark die Stufen hinunter. Die Luft wird immer miefiger. Dass da unten echte Abwässer durchfliessen, lässt sich nicht leugnen. Doch Neugierde und Faszination überwiegen. Einige Filmsequenzen werden an die Kanalwand projiziert, aus unsichtbaren Lautsprechern klingt die altbekannte Melodie und alles wirkt auch ohne Klaustrophobie ziemlich beklemmend. Durch einen Seitengang erreichen wir eine «Kanal-Hauptschlagader». Sie ist riesig und man will sich gar nicht vorstellen, dass das Wasser ansteigen könnte.
Kaum dem Kanalabenteuer entronnen, steigen wir die nächsten Stufen hinunter. Wir besuchen die Kaisergruft, das Herzgrüfterl und die Herzogsgruft, die alle direkt mit einander zu tun haben, was an einem habsburgischen Ritual liegt: Die sterblichen Überreste der Habsburger wurden an drei Orten bestattet. Die Herzen kamen in silbernen Urnen ins Herzgrüfterl der Augustinerkirche, die Eingeweide in Kupferurnen in die Herzogs gruft des Stephansdoms und der Rest landete in der Kaisergruft der Kapuzinerkirche. Dort ruhen nun knapp 150 verstorbene Habsburger in Metallsarkophagen. So auch Kaiser Franz Joseph, Kaiserin Sissi und Kronprinz Rudolf. Vor Sissis Sarkophag hat es immer Blumen und eine blanke Ecke weist darauf hin, dass hier der Deckel oft berührt wird. Das soll Frauen mit Kinderwunsch Glück bringen.
Wissbegierde ohne Grenzen
Wir haben von Leichen und Ritualen noch nicht genug und besuchen das Bestattungsmuseum, wo Kurator Dr. Wittigo Keller die Besucher in die makabersten Gepflogenheiten einweiht. Um zu verhindern, dass jemand lebendig begraben wurde, befestigte man am Handgelenk der Aufgebahrten mittels Drahtzug eine Glocke. Diese sollte bei einer Bewegung des nur vermeintlich Toten läuten. Kurator Keller erklärt, dass die Glocke wohl unablässig geklingelt haben muss, denn Verwesungsgase sorgen dafür, dass sich Leichen bewegen. Und weil es so häufig Fehlalarm gab, sei bestimmt kein Wächter mehr nachschauen gegangen…
Familienausflug zum Friedhof
Beerdigt werden die Wiener unter anderem auf dem Zentralfriedhof, dem zweitgrössten Europas. Wer etwas auf sich hält, lässt seinen Abgang pompös gestalten – und dann spricht der Wiener respektvoll von einer «scheenen Leich».
Zur Zeit der Eröffnung 1874 war die «Stadt der Toten» bei den Wienern gar nicht beliebt. Weil der Friedhof so weit ausserhalb lag, war die Anreise lang und beschwerlich. Ausserdem war er nüchtern und wenig einladend. Das änderte sich mit der Einrichtung der Ehrengräberanlage, wo auch Ludwig van Beethoven, Franz Schubert (er wollte neben Beethoven zu liegen kommen) und Johannes Brahms zu finden sind. Mittlerweile ist der Friedhof den Wienern liebstes Spazierrevier.
Wir tun es ihnen gleich und bummeln durch die Anlage. Gerhard Strassgschwandtner weiss auch hier allerlei Makabres zu erzählen. Wussten Sie, dass Leichen nicht von Würmern gefressen werden? Es sind Bakterien, denn Würmer sind nur bis 40 Zentimeter unter der Erde zu finden. Logisch, aber so direkt sagt das nur ein Wiener. Und die Tramlinie 71, die zum Zentralfriedhof führt, nennt der Einheimische ohne mit der Wimper zu zucken «Witwenexpress». Umgangssprachlich ist schon mal zu hören: «Er hat den 71er genommen» (er ist gestorben). Dies entspricht der Wiener Eigenart, den Tod auszulachen und ihm gleichwohl zu huldigen.
Text und Bilder Inge Jucker