Bligg, ihr habt soeben eure «Service Publigg»-Tour beendet, jetzt steht die Festivalsaison vor der Tür – du bist viel unterwegs in der Schweiz. Hast du schon Regionen entdeckt, in denen du Ferien machen würdest?
Auf jeden Fall! An meinem Job schätze ich extrem, dass ich die Schweiz so gut kennenlerne. Für das Album «0816» war ich oft im Appenzellerland, auch privat. Musikerkollegen haben mich zum Beispiel zum Alten Silvester eingeladen. Ein sehr schöner Brauch, in den viel Liebe und Aufwand gesteckt wird. Solche Einblicke sind eine Bereicherung. Im Appenzellerland würde ich gerne Ferien machen. Auch das Tessin gefällt mir sehr. Ich habe meine letzten Sommerferien in der Schweiz verbracht.
Wo?
Auf Balkonien. In Zürich. Ich bleibe in den Ferien gerne auch einmal zu Hause, um ganz alltägliche Dinge zu tun und Leute zu besuchen, die ich lange nicht gesehen habe.
Magst du den Sommer in Zürich?
Sehr. Ich habe das Glück, am See zu wohnen. Im See zu schwimmen und die Berge zu sehen, hat schon was. Gleichzeitig ist in der Stadt viel Action. Ich finde, im Sommer sucht die Stimmung in Zürich ihresgleichen. Ich verreise darum lieber im Winter.
Du bist auch beruflich oft im Ausland. Die Proben für die «Service Publigg»-Tour waren in Berlin, für das Album «Bart aber herzlich» warst du in New York. Warum?
Für die «Service Publigg»-Tour haben wir eine 100-minütige Show auf internationalem Level auf die Beine gestellt, die es so für Schweizer Künstler eigentlich nicht gibt. Das heisst, ich war ein Stück weit gezwungen, auf Leute zurückzugreifen, die mit dieser Grösse von Acts vertraut sind. Auch die Infrastruktur war wichtig. Da fährt man in Deutschland nicht schlecht. Zudem schwingt bei solchen Proben im Ausland der Klassenlager-Charakter mit. Das ist gut für den Teamgeist. Ich bin viel unterwegs für die Musik. Grundsätzlich bin ich aber darauf bedacht, hier zu machen, was man hier machen kann. Ich finde es stumpfsinnig, ein Album in Los Angeles aufzunehmen, nur damit man das nachher in die Biografie schreiben kann. Für das Album «Bart aber herzlich» waren wir in der Songwriting-Phase zwei Wochen in New York, weil der Rummel nach «0816» so gross war, dass wir hier nicht in Ruhe arbeiten konnten.
Also war es eher eine Flucht als die Suche nach Inspiration?
Damals schon, ja. Aber im Ausland zu texten, kann sehr inspirierend sein. Vor allem, weil man Zeit und Luft hat. Ich habe mein Notizbuch immer dabei.
Deine Musik ist sehr verwurzelt in der Schweiz. Hilft dir die Distanz beim Schreiben von Songs?
Um eine gewisse Objektivität zu wahren, hilft der Abstand bestimmt. Ich habe schon einige Songs im Ausland geschrieben. «Mamacita» vom aktuellen Album entstand zum Beispiel in einem Hotelzimmer in London. Seit fünf Jahren gehe ich über Weihnachten immer nach London. Ich schnappe mir eine Person, für die ich während des Jahres wenig Zeit hatte, und wir verbringen ein paar Tage zusammen. Das letzte Mal wollte ich mit einem guten Freund gehen, der iranischer Staatsbürger ist. Wir mussten dann aber am Flughafen erfahren, dass Grossbritannien nicht zum Schengen-Raum zählt und er nicht einreisen darf. Vor dem Einsteigen ins Flugzeug wurden wir innerhalb von 20 Sekunden wie siamesische Zwillinge getrennt. Ich bin dann alleine geflogen. In London hat es stark geregnet. Bis mein «Ersatz»-Freund nachkam, habe ich Equipment gekauft und im Hotelzimmer ein kleines Studio aufgebaut. Dort ist der Song entstanden. Er handelt ja auch von Städtetrips.
Bist du der Städtereisen-Typ?
Zu Städtereisen kommt es, wenn die Zeit knapp ist. Ich mag europäische Städte, vor allem Paris, Barcelona und London. Auch in New York bin ich gerne. Vielleicht, weil es die europäischste Stadt der USA ist. Ich war auch schon in L.A. Ich bin vertraut mit Städten. Aber ich reise generell gerne. Ich war schon viermal in Thailand und mehrmals auf den Malediven.
Welche deiner Reisen ist dir speziell in Erinnerung geblieben?
Kuba war ein sehr spezielles Erlebnis. Musikalisch konnte ich dort vieles aufsaugen, auch auf der Strasse. Aber vor allem der Kommunismus und das ganze System haben mich beeindruckt. Havanna als Stadt war überraschend. Man muss wirklich dort gewesen sein, um sich ein Bild machen zu können. Auf Fotos sieht alles so farbenprächtig und wunderschön aus, aber es hat schon ziemlich schmutzige Ecken. Als Tourist eine andere Währung zu haben als die Einheimischen, fand ich speziell. Zudem war ich alleine unterwegs, das hat die Wirkung noch verstärkt.
Reist du gerne alleine?
Ich fand es extrem nötig, einmal alleine zu verreisen, und ich würde es jedem empfehlen, der noch nie alleine unterwegs war. Es ist gut, um sich selber noch ein Stück besser kennenzulernen. Aber rein nach dem Lustprinzip verreise ich lieber in Gesellschaft.
Wo warst du noch nicht, möchtest aber unbedingt mal hin?
In den Norden. Nach Schweden, Irland oder auch Kanada. Das Grüne dort reizt mich, die Natur. In Skandinavien finde ich auch die Architektur interessant. Ich mag diesen Landhaus-Stil. Mein grösster Traum ist es aber, mit einem Camper eine Tour quer durch Europa zu machen. Für ein halbes oder ein ganzes Jahr.
Bevorzugst du den Camper einem Luxushotel?
Beides hat seinen Reiz. Aber wenn ich nur noch eine Reise machen könnte, würde ich mich für den Camper entscheiden.
Ist die Musik eines Landes ein Thema für dich?
Ja, klar. Das ist wahrscheinlich bei Musikern, wie wenn ein Architekt verreist. Der achtet auch als Erstes darauf, wie der Flughafen konzipiert ist. Wenn ich in Kuba bin, höre ich schon gut hin, was die Band in der Ecke spielt. Kuba hat sehr gute Musiker. Wie auch L.A. Die traditionelle Musik eines Landes interessiert mich – meistens zumindest. Ich hatte diesbezüglich ein lustiges Erlebnis.
Erzähl!
Nachdem die ganze «0816»-Geschichte, bei der ich viel mit dem Hackbrett-Spieler Nicolas Senn zusammengearbeitet habe, so durchstartete, brauchte ich eine Pause und flog nach Thailand. Die ersten Klänge, die mir da an der Hotellobby ins Ohr stiegen, kamen von einer Asiatin, die im Schneidersitz ein Hackbrett spielte. Das Instrument, die Zither, kommt ursprünglich aus Asien. Nicht, dass ich es nicht mehr hören wollte, aber ich suchte eigentlich ein bisschen Abstand.
Bist du auch gerne im Ausland, weil du so Abstand von Fans hast und dich unerkannt bewegen kannst?
Ja, auch. Nachdem ja die Medien extrem scharf darauf sind, zu erfahren, wer die Freundin von Bligg ist oder eben nicht, gehe ich oft ins Ausland, wenn ich ein «Rennen» mit einer jungen Frau habe. Darum gab es auch schon den einen oder anderen Spa-Besuch in Österreich.
Marco Bliggensdorfer, alias Bligg, gehört mit über einer halben Million verkauften Tonträgern, drei Nummer-eins-Alben und zwei Nummer-eins-Singles, ins gesamt vier Top-Ten-Alben und acht Top-Ten-Singles zu den erfolgreichsten Schweizer Musikern. Immer wieder hat er die Grenzen der Musikgenres ausgelotet, am stärksten wohl mit seinem Song «Volksmusigg», den er für das TV-Format «Die grössten Schweizer Hits» 2007 mit der Appenzeller Streichmusik Alder einspielte. Der grosse Durchbruch gelang ihm kurz darauf mit dem Album «0816». Im Oktober 2013 ist sein achtes Studioalbum «Service Publigg» erschienen, das nach drei Wochen Platin status erreichte. An den Swiss Music Awards im März erhielt Bligg zum dritten Mal die Auszeichnung für das «Best Album Urban» sowie für den «Best Hit National».
Interview: Stefanie Schnelli